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Beethovens Stern und Diabellis Sternschnuppen

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Trotz Corona und abgesagten Veranstaltungen kein stilles Gedenken zum 250. Geburtstag!
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Braunschweig. Wenn wir das Licht eines Sterns am Himmel betrachten, ist dieser meist schon viele Jahre erloschen. Auch Beethovens Stern leuchtet ungebrochen weiter und trotz der im Jahr 2020 wegen Corona abgesagten Veranstaltungen zu seinem 250. Geburtstag bleibt das Gedenken an ihn kein stilles.

Auch in meiner Klavierklasse protestierte niemand, als ich (quasi als Fortsetzung des Haydn-Projekts von 2019) Stücke von Beethoven ankündigte, aber Diabelli? Warum noch ein Diabelli? Doch das hat einen wichtigen Grund.

Beethovens großartige „33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli op.120“ (1824) wären ohne Diabellis Walzerthema nie entstanden. Dieser einfache, aber zugleich genial komponierte Walzer besticht durch seine eingängige Melodie. Diabelli war scheinbar vom Variationspotential seines Themas sehr überzeugt, denn er gab es den zahlreichen zu dieser Zeit in Wien lebenden bekannten Komponisten und bat, je eine Variation für das Jubiläumsheft seiner Firma beizusteuern, die er dann in einem Sammelband veröffentlichen wollte.

Beethoven lehnte zunächst eine Teilnahme ab, fand dann aber den schlichten Walzer doch so reizvoll, dass er ihn zur Grundlage seiner „Diabelli-Variationen“ machte, an denen er ca. 4 Jahre lang, von 1819-1823, arbeitete. Diabelli war von dem Ergebnis so begeistert, dass er Beethovens Beitrag als Band 1 „Erste Abteilung“ zuerst veröffentlichte.

In ca. 5 Jahren trug Diabelli mehr als 50 weitere Variationen anderer Komponisten als Beiträge zu seinem Projekt zusammen, die er dann alphabetisch geordnet als Band 2 („Zweite Abteilung“) herausgegeben hat. Diese Variationen sind bis heute ein in der Musikgeschichte einmaliges Projekt geblieben und spiegeln in der Mehrheit den musikalischen Geschmack der Zeit wider. Dass die Komponisten nicht voneinander abschreiben konnten, ist klar. Die Schüler*innen beeindruckte jedoch am meisten, dass es erstaunlicherweise dennoch keine zwei Stücke gibt, die sich in der Idee ähneln würden. Darin liegt die Faszination der Musik mit ihren unendlichen Möglichkeiten, genährt einzig und allein von der musikalischen Phantasie und den harmonischen Regeln!

Das vier Zeilen lange Thema von Diabelli kann jede*r Schüler*in leicht lernen und so aktiv das Walzerthema, das auch Beethoven vorlag, auf sich wirken lassen. Die übrigen Variationen aus Diabellis zweiter Sammlung sind nicht für jeden leicht zu bewältigen. Hier kann aber ein Teil der fortgeschrittenen Schüler*innen in einen Kosmos eintauchen, in dem jede Variation für sich wie ein kleiner Stern funkelt, wenn sie auch vor dem übermäßigen Glanz des Sterns Beethovens heute oft blass und nichtig erscheint.

Dabei sind einige der angefragten Komponisten damals wie heute bekannt, wie Ignaz Moscheles, Franz Schubert, Carl Czerny, Johann Nepomuk Hummel oder Franz Liszt. Andere Namen wie Joachim Hoffmann, Franz Schoberlechner, Leopold E. Czapek sind auf Anhieb nichtssagend, bis man ihre Musik anspielt und die Freude an der Erfindung immer wieder neuer Lösungen für Diabellis Stück von 32 Takten teilt. Und eben auf diese Freude kommt es an.

Einige Schüler*innen haben auserwählte Walzer der zweiten Sammlung gespielt und festgestellt, dass sie im Sinne der Variationsform das vorgegebene Thema sehr abwechslungsreich und erfinderisch aufgreifen und umformen, sich teils aber doch nur wie gut konzipierte Klavieretüden spielen lassen und vom Beethovenschen Schwierigkeitsgrad ganze Galaxien weit entfernt sind. Darin liegt der Beweis für Beethovens Genialität.

Beethovens Variationen sind wie die Goldberg-Variationen von Bach ein Kunstwerk: vollkommen, unerreichbar, einzigartig, und sehr komplex und anspruchsvoll zu hören wie zu spielen. Mit Diabellis Variationssammlung konnten sich die Schüler*innen aber auf die Reise in dieses Universum machen: kleine Sternschnuppen statt dem alles überstrahlenden Fixstern Beethoven.

Was die Schüler*innen auch sofort wahrgenommen haben, ist, dass Beet­hoven zum Cover-Man des Jahres 2020 wurde und dass sein berühmtestes Portrait von Joseph Karl Stieler aus dem Jahr 1819 als Vorlage für unzählige Variationen diente: mal im Popart-Stil, mal verkitscht glitzernd, mal als Collage, immer bunt, grimmig-nachdenklich und geheimnisvoll wie La Gioconda oder wie bei der Künstlerin Güde Renken: bunt und charmant. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Möge der Leitstern Beethovens seine Strahlkraft behalten: damals wie heute, trotz und wegen Corona sowieso.

 

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