„Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten“, lautet der vielleicht weiseste Sinnspruch von Gustav Mahler. Wie recht er hat, erlebten wir gerade dieser Tage, wenn Tausende Italiener zwischen Bari und Mailand pünktlich um 18.00 Uhr auf ihren Balkonen erschienen, die Nationalhymne oder Werke aus Klassik und Volksgut trällerten, um zu bekunden: Wir stehen zusammen. Musik verbindet – nicht nur in den Zeiten von Corona, sondern immer und überall und solange wir Menschen existieren. Und was versinnbildlicht dieses Miteinander, dieses Vereint-Sein in der Musik, besser als ein Orchester?!
Sicherlich war es alles andere als Zufall, dass sich das Berliner Sibelius Orchester zum Jubiläumskonzert anlässlich seines 40-jährigen Bestehens für eine Komposition Mahlers entschied: seiner 2. Sinfonie. Gerade in einem nicht-professionellen Klangkörper – darf man im Beethoven-Jahr den im 19. Jahrhundert positiv besetzten Begriff der Dilettanten verwenden? – geht es ganz besonders auch darum, was nicht in den Noten steht: Freude am gemeinsamen Musizieren, wie es in Konzerten des Sibelius Orchesters hör- und sichtbar zum Ausdruck kommt.
Bei seinem ausverkauften Konzert in der Berliner Philharmonie am 8. März kam dieser Mahler’sche Ansatz spielend zum Vorschein. Insofern wäre es töricht, die Darbietung in typischer Manier eines Kritikers zu bewerten, zu erwähnen, dass es hier oder da zu leise, zu laut, zu schnell, zu langsam, zu dünn, zu dick oder was immer war. Solisten, Chöre und noch nicht mal der Dirigent sollen hier ausdrücklich nicht genannt werden. Gehuldigt werden soll allein der übergeordnete Gedanke, 40 Jahre lang Werke und Zusammenhalt geprobt zu haben. Der begeisterte Applaus sprach für sich. Mag es noch so abgedroschen klingen: Der Funke sprang zum Publikum über – und worum sollte es in der Musik sonst gehen, wenn nicht darum? Das ist es, was am Ende zählt, wie nicht zuletzt die italienischen Balkone beweisen.
Daher: Danke, liebes Sibelius Orchester, dass du seit 40 Jahren das Musikleben Berlins auf deine besondere Weise bereicherst. Im Programmheft zu seinem ersten Konzert am 26. Januar 1981 – damals noch in einer Schule – war von einer «Aufbauarbeit» in den ersten sechs Monaten die Rede, die «trotz mancher guten Probe durch viele Rückschläge und einem Austausch der Mitglieder von immerhin etwa 70 Prozent gekennzeichnet war». Ohne Trubel und Fluktuation geht es nie in einem Klangkörper, dessen Mitglieder nicht von ihrer Kunst leben. Umso erstaunlicher ist die Bilanz: 80 Konzerte in und um Berlin sowie Tourneen nach Israel, Frankreich und Mexiko.
Man darf oder muss den Hut ziehen, dass sich das Orchester an einen beinahe eineinhalbstündigen Brocken wie die «Auferstehungssinfonie» gewagt hat. Wie erwähnt: Die Auswahl des Werkes war natürlich eine bewusste Entscheidung. Zufall indes war es, dass das Jubiläumskonzert in eine Zeit fiel, die zum Inhalt von Mahlers 2. Sinfonie passte. Er behandelte darin existenzielle Sinnfragen: „Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten? Ist das alles nur ein großer, furchtbarer Spaß? Wir müssen diese Fragen in irgendeiner Weise lösen, wenn wir weiter leben sollen.“ Auch in diesem Mahler’schen Sinne freuen wir uns auf den 50. Geburtstag des Berliner Sibelius Orchesters.