Brücken bauen, das war das Motto, unter dem Sachsen die Feier ausrichtete, und es kamen in den 16 Bürgerdelegationen der Länder lauter Ehrenämtler aus dem Bereich Musik. Der Landesmusikrat Niedersachsen hatte mich als Vorsitzende des DTKV vorgeschlagen, und so fand ich mich in einer Gruppe von 16 Leuten, die das Land Niedersachsen vertreten sollten.
Wir, die wir im Ehrenamt hauptsächlich geben, durften eine ungewohnte Rundumversorgung erleben: Das fing bei mir im Bahnhof Braunschweig an, wo ich zustieg, alles bestens organisiert vorfand, einschließlich eines Lunchpaketes. Wir waren zusammen mit den Delegationen der anderen Länder im Hotel Maritim untergebracht, das ausschließlich für die Delegationen reserviert war. Nach einer Führung durch die Hofkirche mit einem kleinen Konzert an der Silbermannorgel (Bach und Widor, natürlich Musik vom Feinsten!), einem Kaffetrinken an der längsten Kaffeetafel Deutschlands im Zwinger, Besuch im niedersächsischen Pavillon mit der obligatorischen VW-Currywurst und Empfang beim Oberbürgermeister ging es zur abendlichen Licht- und Lasershow in den Elbauen. Meine anfängliche Skepsis wurde aufs angenehmste enttäuscht. Ein Film, auf die Altstadt projiziert, mit der Geschichte Sachsens und der Wende, vielleicht ein bisschen zuviel Pathos beim Sprecher, aber insgesamt großartig gemacht, und lauter entspannte fröhliche Dresdner (und andere) auch das gemeinsame Singen der Nationalhymne war schön. Und ein Feuerwerk so hinzukriegen, dass es aussieht, als tanzten Delphine am Himmel, muss man erst mal können! Am nächsten Tag gab es dann die eigentlichen Feierlichkeiten. Wir mussten zuerst durch den Sicherheitscheck, waren damit den ganzen Tag im abgesperrten und gesicherten Bereich und erlebten den ökumenischen Gottesdienst, den eigentlichen Festakt in der Semperoper und den Empfang bei Gauck. Quasi als Gesamtpaket (was nicht allen Konfessionslosen in unserer Gruppe gefallen hat!). Motto des ökumenischen Gottesdienstes – katholisch, evangelisch und griechisch orthodox – war „Du sollst ein Segen sein“, was ganz schön auf unsere Arbeit im Ehrenamt passt! Es kamen außer den Geistlichen auch Bürger zu Wort, die an die Wende erinnerten. Die Musik kam vom Organisten der Frauenkirche, Samuel Kummer und dem Solotrompeter der Dresdner Staatskapelle, Mathias Schmutzler, Chor und Ensemble der Frauenkirche, sehr geeignet, den feierlichen Charakter des Gottesdienstes zu unterstreichen. Wir hatten unsere Plätze direkt gegenüber der Orgel schon sehr früh einnehmen müssen und konnten so in aller Ruhe auf die Prominenz unten schauen: Merkel, Tillich, Dreyer, Roth, Schäuble, Pau und andere mehr. Nach dem Gottesdienst wurden wir mit Bussen zur Semperoper gebracht und durften uns auf den paar Metern zwischen Bus und Eingang das Pfeifkonzert und die Beleidigungen („Volksverräter“ und anderes) anhören. Schön ist das nicht, wenn man bedenkt, dass wir uns im Ehrenamt engagieren. Hier läuft ganz eindeutig etwas aus dem Ruder, und man kann nur hoffen, dass die Politik da eine Antwort findet.
Der Festakt selbst war wunderbar: vernünftige Reden von Bundestagspräsident Lammert und Ministerpräsident Tillich, die daran erinnerten, dass die Wende Verdienst der Ostdeutschen war. Von Tillich habe ich zweimal gehört, dass er sich bei den Westdeutschen für die finanzielle Hilfe bedankt, und darauf hinwies, man sehe ja, wie gut das angelegt sei und dass überhaupt in Sachsen sich alles zum Guten gewendet habe (einschließlich einer wieder steigenden Geburtenrate!). Die Dresdner Staatskapelle unter Thielemann spielte die Leonorenouvertüre und ein zweites Stück, das wie Strauss anfing und wie Gershwin endete und sich als „Reminiscence“, Musik zum Film „Come back, little shiba“ des Dresdner Komponisten Franz Wachsmuth, herausstellte, und auch der Dresdner Kreuzchor sang. Eine Gruppe Jugendlicher führte Breakdance vor, eine andere tanzte mehr klassisch und der Höhepunkt für mich war ein Schaupieler (Philipp Lux) im grauen Anzug, auf einem grauen Stuhl, nicht mehr, und dann sprach er Lessing, die Ringparabel, das war großartig und sehr berührend, deutsche Klassik in Reinkultur. Beim anschließenden Mittagessen gesellte sich die niedersächsische Justizministerin Niwisch-Lennartz zu uns. Wie viele Politiker war sie erstaunt zu hören, dass es freiberufliche Musikerzieher gibt! Sie erzählte von einem Projekt in der Justizvollzugsanstalt Hameln, in der Klavierunterricht erteilt wird, die Rückfallquote sei dort auffallend klein! Also Kollegen: versucht’s doch mal! Und Gauck gesellte sich zu jeder Delegation und gab jedem die Hand!
Eine Dampferfahrt nach Schloss Pillnitz gab reichlich Gelegenheit, mit dem ein oder anderen ins Gespräch zu kommen. Diese Gespräche am Rande waren das eigentlich Wertvolle, ob es ein Begegnungschor (Geflüchtete und Einheimische), ein kleines Festival in einer Kleinstadt oder noch etwas anderes ist: alles interessant und die Leute prima. Eigentlich kann man jedem nur empfehlen, ein Ehrenamt anzunehmen. Man tut etwas Sinnvolles und begegnet vielen prima Leuten, und wenn ein gewisser Spassfaktor nicht zu kurz kommt … Niedersachsen gebührt übrigens das Verdienst, als einziges Land die Wichtigkeit des DTKV für die Musikkultur im Lande angemessen gewürdigt zu haben, ich habe keinen anderen DTKVler getroffen!