Die weltweite Verbreitung des Corona-Virus und die damit einhergehenden Sicherheitsmaßnahmen treffen auch die Musikszene schwer: Opern und Theater mussten schließen, Festivals und Konzertreihen abgesagt werden. Auch Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen haben ihre Pforten geschlossen. Auch wenn vom Bund Finanzhilfen und Sozialpakete kommen, stellt der drohende und tatsächliche Verdienstausfall Musikerinnen und Musiker vor große finanzielle Herausforderungen. Jetzt sind lösungsorientierte Ansätze und ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung der eigenen Arbeit gefragt, erklärt DTKV-Vizepräsident Ekkehard Hessenbruch im Gespräch.
neue musikzeitung: Herr Hessenbruch, Sie sind Gründer und Leiter einer privaten Musikschule. Was hat es bedeutet, sie schließen zu müssen?
Ekkehard Hessenbruch: Die Krise hat sich aus unserer Sicht angeschlichen wie ein immer größer werdendes Ungeheuer: Zuerst kommt die Hiobsbotschaft, dass Landeswettbewerbe und der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ ausfallen müssen. Tausende Jugendliche haben seit dem letzten Sommer oder länger mit ihrer Lehrkraft die Programme vorbereitet, mit viel Begeisterung und unentgeltlicher Extrazeit. Sofort gebe ich den Jugendlichen als Pädagogin oder Pädagoge andere Ziele und plane als Ersatz für diese wegfallenden Wettbewerbe größere Veranstaltungen und Vorspiele. Aber dann nimmt die Krise ihren Lauf, und es kommt zum Verbot jeglicher Veranstaltung und zur größtmöglichen Minimierung sozialer Kontakte.
Die Herausforderung für uns lag darin, auf diese ständig wechselnden Szenarien kreativ und mit Augenmaß zu reagieren, bis schließlich klar war, dass der Unterricht nicht mehr als Präsenzunterricht stattfinden kann. Auf die Frage, was die Schülerinnen und Schüler jetzt brauchen, war unsere Antwort: Sie brauchen Kontakt, Perspektiven, Inhalte, Struktur, Ziele und Sinnstiftung – auch wenn sie nicht in die Musikschule kommen dürfen.
nmz: Sie setzen derzeit auf ein online-Unterrichtsmodell. Wie sieht das genau aus?
Große Palette an Möglichkeiten
Hessenbruch: Wir unterrichten entweder in Echtzeit über Skype oder über Audiofiles, die uns die Schüler schicken. Diese Audiofiles werten wir aus und schicken den Schülern ausführliche Übe-Anweisungen; oder wir bieten eine Kombination aus beidem an. Die Palette ist da recht groß, auch die Ansprache der Schüler auf die verschiedenen Angebote variiert.
Die Chance bei dieser Art Unterricht liegt darin, dass ich in kleineren Einheiten mit kürzeren Zeitabständen arbeiten kann, also etwa dreimal 20 Minuten anstatt einmal 60 Minuten pro Woche, weil die Anfahrtswege ja entfallen. Im besten Fall bekommen die Schülerinnen und Schüler alle zwei bis drei Tage eine überschaubare Aufgabenstellung, die sie in der kürzeren Zeit auch gut abarbeiten können. Dadurch haben sie einen anderen Stundenplan als bisher. Die Eltern haben uns signalisiert, dass diese Art Unterricht nicht nur den Alltag ihrer Kinder sehr gut strukturiert. Viele üben auch kontinuierlicher, bedingt durch die kürzeren Zeitabstände zwischen den Unterrichtseinheiten. Allerdings fehlen wie gesagt zeitnahe Veranstaltungen und Auftritte oder Live-Proben als zusätzliche Motivation.
nmz: Was erfordert dieses Online-Angebot von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern?
Technische Ausstattung
Hessenbruch: Zunächst einmal die technische Ausstattung. Viele verfügen nicht über Möglichkeiten wie Skype oder Zoom oder wollen es auch nicht. Deshalb haben wir verschiedene Angebote: Manche schicken uns ihr Soundfile per WhatsApp oder laden sie in die Cloud; im letzteren Fall kann ich sogar eine klangliche Beurteilung abgeben, weil die Qualität besser ist. Ich bekam zum Beispiel gleich zu Beginn eine Audiodatei von neun Minuten, darauf spielt ein Bundespreisträger ein sehr komplexes Stück. Beim Abhören trug ich in eine Kopie der Noten mit einem Rotstift fortlaufende Zahlen ein. In der Mail, die der Schüler dann von mir bekam, waren zu jeder Zahl ausführliche Übe-Anweisungen.
Beim Live-Unterricht per Skype muss der Dialog auf beiden Seiten disziplinierter gestaltet werden, denn durch die Audioübertragung kann ich nicht einfach spontan sprechen oder spielen wie im direkten Miteinander. Wenn ich meine Schülerinnen oder Schüler konzentriert hören will, muss ich den Abschnitt, den sie spielen sollen, festlegen und sie dann ausspielen lassen. Dann gebe ich eine Rückmeldung und kündige an, welchen Abschnitt ich jetzt vorspiele und auf was sie dabei hören sollen. Zwar ist die Audioqualität vergleichsweise schlecht und damit anstrengend, aber wir haben gelernt, kleinmaschiger und damit strukturierter zu arbeiten. Mir ist aufgefallen, dass das bei manchen effizienter ist, als wenn ich sie längere Abschnitte spielen lasse.
nmz: Was ist der Unterschied zum herkömmlichen Unterricht?
Hessenbruch: Beim online-Unterricht per Skype sind dynamische oder klangliche Feinheiten zum Beispiel durch die komprimierte Audio-Übertragung schwer über das Vorspielen zu vermitteln. Da sind wir beide auf meine Ansagen und die Bildübertragung angewiesen. Außerdem lässt sich das künstlerische Moment einer Live-Situation niemals ersetzen. Wir können mit Schülerinnen und Schülern zwar an Technik und Literatur arbeiten, aber was sich in einer Kammermusik- oder Korrepetitionsstunde oder auch in einem Konzert direkt überträgt, ist online natürlich nicht zu erreichen. Diese Initialzündung, der Funke, der auf verschiedenen Ebenen spontan überspringt, das geht nur im direkten Austausch. Ich beschränke mich deshalb beim online-Unterricht im Moment weitgehend auf das Erlernen von Notentext. Wenn ich die Schülerinne und Schüler dann nach den Osterferien wiedersehe, kann ich darauf aufbauen und das unmittelbare musikalische Erleben wieder mit einbeziehen.
Konsequenzen
nmz: Schließungen von Einrichtungen, Vermeiden sozialer Kontakte: Was heißt das für kleine Musikschulen und Solo-Selbständige?
Hessenbruch: Pädagoginnen und Pädagogen können kurzfristigen Folgen zumindest vorübergehend durch alternative Unterrichtsformen begegnen, wie wir sie jetzt gerade umsetzen. Damit lassen sich Abmeldungen vermeiden, die unweigerlich kommen würden, wenn überhaupt kein Unterricht mehr stattfände.
Die größere Gefahr ist aber die Finanzkrise, die sich parallel zur Corona-Krise jetzt schon in vielen Branchen dramatisch zeigt. Und da muss sich das Unterrichtsangebot aufs Neue bewähren, wenn es nicht vollständig ausgehöhlt werden soll. Denn bei geringeren Einkommen wird in jedem betroffenen Haushalt die Frage auftauchen, was man sich noch leisten kann und will.
Beim rein künstlerischen Betrieb ist die Situation wesentlich kritischer. Der künstlerische Funke, der überspringt, braucht die Live-Situation. Wer als konzertierender Künstler mit laufenden Einnahmen rechnen muss, braucht schnelle finanzielle Hilfen. Denn mit einer online-Präsentation – etwa Videos in den sozialen Netzwerken – können konzertierende Musikerinnen und Musiker vielleicht im Gespräch bleiben, Geld verdienen sie damit nicht. Sie haben nicht die Möglichkeit einer Überbrückung, wie wir sie im pädagogischen Bereich gerade praktizieren.
Auch wenn die bestehenden Einschränkungen nach Ostern gelockert werden, müssen wir spätestens im Herbst oder Winter mit erneuten Einschränkungen rechnen. Denn die vielbeschworene „Durchseuchung“ (sprich Herdenimmunität) der Bevölkerung von zwei Dritteln werden wir mit den momentanen Maßnahmen bis zum nächsten Winter nicht erreichen. Eine 2012 von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Risikoanalyse für eine viral bedingte Pandemie geht von drei Infektionswellen über drei Jahre aus. Deshalb sind wir gut beraten, das jetzige Geschehen gründlich auszuwerten, um uns auf die nächste Welle besser vorzubereiten.
Erwartungen an die Kulturpolitik
nmz: Was erwarten Sie von der Kulturpolitik und finanziellen Hilfsangeboten, etwa dem Hilfspaket der Bundesregierung, steuerlichen Erleichterungen oder Notfallkrediten?
Hessenbruch: Es wird sicherlich Abmeldungen an Musikschulen geben. Manche Menschen werden sich fragen müssen, ob sie sich noch Musikunterricht leisten können. Und da haben wir – abgesehen vom unternehmerischen Handeln – einen pädagogischen Auftrag, der auch in letzter Zeit öffentlich immer stärker wahrgenommen wird.
Wir müssen uns die Frage stellen und den öffentlichen Diskurs führen, ob wir wirklich die pädagogischen Wegbegleiter sind, deren Angebot gerade in Krisen wie dieser als menschliche Grundausstattung wahrgenommen wird. Wenn wir das deutlich machen können, werden finanziell gebeutelte Haushalte andere Sparpotenziale suchen, etwa klimaschädliche Fernreisen. Wer Musikunterricht dagegen nur als Freizeit und Bespaßung sieht, wird ihn für entbehrlichen Luxus halten.
Vielleicht findet aufgrund dieser Krise ein Umdenken hinsichtlich der Werte statt, für die es sich lohnt zu leben. Vielleicht entwickelt sich ein anderes Qualitätsbewusstsein im Hinblick auf das eigene Leben. Und darauf sollten wir uns konzentrieren.
Trotzdem werden wir – wie fast alle anderen Branchen – natürlich Einbußen haben. Die aufgelegten Rettungspakete von Bund und Ländern müssen daher rasch und entschlossen genutzt werden. Damit selbständige Musikerinnen und Musiker am Ende aber nicht wieder hinten runterfallen wie bei der Verteilung so vieler anderer öffentlicher Mittel, rate ich, krisenbedingte Verdienstausfälle genau zu dokumentieren. Denn es wird ja nicht wie bei Angestellten genau zu beziffernde Ausfälle geben, sondern die Engagements oder Unterrichtsverträge fallen nach und nach einzeln weg. Nicht nur jetzt, wo alles verboten ist, sondern auch später, wenn kaufkraftbedingt weitere Einbußen kommen.
Pädagogisches und unternehmerisches Denken gefragt
Aber in erster Linie sollten wir versuchen, unserem pädagogischen Auftrag gerecht zu werden und Schüler weiter im Arbeitsprozess zu halten und zu fördern. Denn die Ausfallsentschädigungen werden aufgrund der großen Zahl von zu erwartenden Anträgen wesentlich niedriger liegen als die entgangenen Einnahmen. Von den pädagogischen und gesellschaftlichen Kollateralschäden ganz zu schweigen, die durch Wegfall unserer Tätigkeit entstehen würden. Hier ist pädagogisches und unternehmerisches Denken und Handeln gefragt.
Interview: Ines Stricker
Aktuelle Informationen und Hinweise zu den Themen rund um die Corona-Krise gibt es unter dtkv.net/org
Beachten Sie zum Thema Corona-Krise auch die Seiten 12, 4, 14 und 15 bis 17 in dieser Ausgabe der neuen musikzeitung. Weitere aktuelle Informationen auch immer tagesaktuelle unter www.nmz.de