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„Das Europahaus“ – texten singen musizieren

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Gespräch mit Musiklehrer und DTKV-Mitglied Gilbert Kuhn über Lernfreude und digitale Medien im Musikunterricht
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Mainz. Das Klassenzimmer wird zum Tonstudio umfunktioniert, und die Schüler werden zu Produzenten, Performern und Kameraleuten. So geht es seit drei Jahren über eine gewisse Zeitspanne pro Schuljahr in der Berufsbildenden Schule 1 in Mainz zu. Die Musikklasse von Gilbert Kuhn beteiligt sich jährlich am Europäischen Wettbewerb, der mit jeweils über 70.000 Schülern der älteste und größte Schülerwettbewerb in Deutschland ist. Für den Wettbewerb werden Songs und Musikvideos produziert. Mit Erfolg: Drei 1. Preise auf Landesebene und zwei Preise auf Bundesebene hat Gilbert Kuhn mit seinen Schülern bereits eingefahren. Das Interview führte Carina Vogel.

neue musikzeitung: Herzlichen Glückwunsch zu dem Erfolg! Wie sind Sie darauf gekommen, bei dem Europäischen Wettbewerb mitzumachen?

Gilbert Kuhn: Ich suche immer nach Wegen, die Interessen und Stärken der Schüler hervorzuheben und an ihrem Wissen anzuknüpfen. Wenn ich die Schüler frage, was sie im Unterricht machen wollen, sagen sie meistens: „was Praktisches“, „Musik machen am besten“. Das nehme ich dann ernst, und suche nach Möglichkeiten dies umzusetzen. Bei meiner Unterrichtsvorbereitung stieß ich auf die Ausschreibung des Europäischen Wettbewerb mit interessanten Aufgaben, die völlig frei bearbeitet werden können. So konnte ich der Klasse vorschlagen, dass wir texten und komponieren, und dies mit einem aussagekräftigen Video verbinden. Die Schüler waren begeistert von dem Thema, standen aber respektvoll vor dieser schwierigen Aufgabe.

nmz: Wie sind Sie das Projekt angegangen?

Kuhn: Mir war wichtig, Vertrauen aufzubauen in die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten und dass wir gemeinschaftlich diese Aufgabe meistern können. Es gibt Schüler, die Talent fürs Singen oder Rappen haben. Einige Schüler sind instrumental vorgebildet. Einige Schüler können mit Kameras und Schnittprogrammen umgehen, manche können tanzen oder sie bringen sich sportlich ein. Manche haben das Talent, Geschichten zu erzählen und diese auf den Punkt zu bringen. Dadurch, dass die Schüler sich selbst einbringen, sind sie kreativ, lebendig und mit Freude bei der Sache.

nmz: Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Kuhn: Erst wurden die Schüler angeleitet, sich mit Inhalten und Formen der Popmusik zu beschäftigen. Das Thema ist den Schülern bekannt und man hat ein Ziel vor Augen. So kann man strukturiert und konzentriert vorgehen. Als nächstes bekommen die Schüler einen Songwriting Workshop von mir. Dann geht es an die konkrete Aufgaben: texten, komponieren, den Song aufnehmen, Regiebuch für das Video schreiben und einiges mehr. Jeder bringt sich nach seinen Möglichkeiten ein. Darüber hinaus kann man auch fächerübergreifend arbeiten und andere Fächer oder Abteilungen fragen, ob und wie man zusammenarbeiten kann.

nmz: In welchem Zeitraum findet das statt?

Kuhn: Die Unterrichtsplanung umfasst ca. vier Monate. Ich mache mit den Schülern gemeinsam einen Plan, wie wir das alles bis zum Abgabetermin schaffen. So lernen die Schüler auch, strukturiert auf ein Ziel hinzuarbeiten. Die Schüler machen immer freiwillig mit. Ohne einen gewissen Eigenantrieb der Schüler würden die Ergebnisse lange nicht so überzeugend werden. Es geht auch nicht primär darum, Preise zu gewinnen. Die musikalische Aktivität, miteinander etwas zu schaffen, kreativ zu agieren und sich auszudrücken, darum geht es bei dem Projekt. Das sage ich auch immer den Schülern. Natürlich ist es schön und auch wichtig, dass die Schüler ein Feedback bekommen und bestenfalls einen Preis. Schirmherr ist der Bundespräsident, und ich hatte schon Schüler, die nach Berlin auf eine mehrtägige Veranstaltung eingeladen wurden, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung jedes Jahr für besonders talentierte Teilnehmer/innen durchführt.

nmz: Das klingt sehr spannend. Haben Sie für dieses Schuljahr wieder ein Projekt geplant?
Kuhn: Dieses Jahr machen wir wieder beim Europäischen Wettbewerb mit. Ich konnte eine Klasse dafür gewinnen. Wir schreiben einen Song und drehen ein Musikvideo dazu. Der Titel steht schon fest: „Das Europahaus“. Die Schüler haben schon viele gute Ideen, und ich freue mich schon auf die Umsetzung.

nmz: Wie sehen die Rahmenbedingungen für solche Projekte aus?

Kuhn: Die Rahmenbedingungen wie Raumgröße und Ausstattung der Musikräume müssen stimmen. Computer, Tablets und eine große Anzahl an Instrumenten sind erforderlich. Oft muss das eigene Equipment zum Einsatz kommen, und verschiedene Instrumente müssen geliehen werden.
Das bringt einen hohen organisatorischen und zeitlichen Aufwand mit sich. Nicht nur für den Lehrer, sondern auch für die Schüler fallen einige Stunden Extraarbeit am Nachmittag an, um zum Beispiel zur passenden Location für einen Videodreh zu fahren oder um am Computer den letzten Schnitt zu machen. Ich finde, es lohnt sich, und ich bin jedes mal überrascht, was in den Jugendlichen steckt, wenn man ihnen etwas zutraut.

nmz: Das klingt nach modernem Musikunterricht. Welches Gewicht haben da die digitalen Medien?

Kuhn: Der Umgang mit digitalen Medien ist ein großer Gewinn für den Musikunterricht, der für mich sogar einen Hauptpfeiler des Musikunterrichts darstellt. Das Smartphone und der Computer sind für die Jugendlichen wichtige Medien und sie verbringen viel Zeit damit. Das ist für mich ein guter Ansatzpunkt, die Schüler zu motivieren, sich mit Musiksoftware zu beschäftigen.
Heutzutage gibt es über die gängige Musiksoftware wie Aufnahme- und Notationsprogramme hinaus einige kleine Apps mit denen man musikalische Aktivitäten ausprobieren kann. Der Umgang mit virtuellen Instrumenten, Loops und Effekten kann schnell erlernt werden, und schon entstehen kleine Songs.
Auch das Erstellen von Klangcollagen mit Umweltgeräuschen oder synthetischen Klängen zu abstrakten Bildern oder besonderen Ereignissen war schon Aufgabe für meine Schüler, bei der wir digitale Medien genutzt und die Jugendlichen mit Freude experimentiert haben.
Vorteilhaft für den Musikunterricht sind auch aktuelle Programme, die die Möglichkeiten bieten Videomaterial einzubinden. So kann man etwa Filmsequenzen vertonen und so Filmmusik Techniken entdecken, noch bevor man die Fachbegriffe dafür kennt.

https://www.europaeischer-wettbewerb.de/leis-wolf-yobo-cristea/?land=37…
https://www.europaeischer-wettbewerb.de/tobias-lux/?media=151&ewcat=272

www.gilbertkuhn.de

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