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Das flexible Orchester

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Oder: Wie Marktzwänge neue Kreativität freisetzen
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Gerade hatte ich das Vergnügen, mit fünf ausgezeichneten Musikern eine komplette „Fledermaus“-Inszenierung zu bestreiten. Das Rüdersdorfer Festival- Orchester (RFO) besteht aus Flöte, Klarinette, Violine, Klavier, Gitarre und Kontrabass.

Diese Besetzung bietet zahlreiche Klangfarben und klingt wie ein richtiges, vollbesetztes Orchester. Ich bearbeitete das komplette Stück und wandte alle Tricks an, die mir meine Hochschullehrer (lauter alte Theaterhasen) beigebracht hatten: Die Violine kann unter den zwei Holzbläsern platziert werden, das macht den Sound leicht und obertonreich, die Violine in der Mitte ermöglicht elegante, bewegliche Sätze, und die Violine oben über einem Duosatz in weiter Lage ergibt “schmachtende”, liebliche Klänge. Das Klavier bekam das Figurenwerk, die wuchtigen Akkorde, die rezitativischen Stellen und die Nebenstimmen und Gitarre und Bass erzeugten das Flair des Kaffeehauses und der temperamentvollen südosteuropäischen Folklore.

Ich saß vom 1. Studienjahr an in der Leipziger Musikalischen Komödie an der Gitarre und am Banjo. Da lernt man den Theaterbetrieb gründlich kennen. Und da ich eigentlich Komponist und Arrangeur bin, kamen bald die ersten Anfragen nach Spezialbearbeitungen. “Carmen” für 12 Musiker, Offenbach-Operetten für neun oder drei Musiker. Und so reduziere ich seit 30 Jahren die Partituren meiner geschätzten Vorgänger; meistens Opern und Operetten, weil niemand mehr die großen Orchester bezahlen kann. Die „Fledermaus“ ist meine 29. Produktion, die besonders viel Spaß gemacht hat.

Wie sind unsere Orchester entstanden? Monteverdi saß noch mit vier Solostreichern in seinen Opernaufführungen. Lauten, Theorben und ähnliche Instrumente waren den stillen Tod gestorben, die Violine begann ihren Siegeszug durch Raum und Zeit. Dann kamen – geborgt von den Fürstenhöfen – gelegentlich Trompeten und Posaunen dazu. Das Barockorchester kam im Wesentlichen auch mit Streichern, einer Flöte, zwei Oboen und einem Fagott aus. Der Meister saß am Cembalo. Mozart führte die bis dato verachtete Klarinette ein. Weber exponierte die Hörner und die Piccoloflöte. Wagner erfand allerlei hohes und tiefes und sehr spezielles Blech. Die Franzosen steuerten die Harfe bei und das weiche Blech, insbesondere das Cornet á Pistons. Tschaikowski liebte die Bassklarinette, die Celesta und allerlei Tschinellen und Tamburin. In Berlin wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Tuba und das Harmonium erfunden. Alles, was an Instrumenten danach folgte, fand keinen Eingang mehr in die Landschaft und die Struktur der Liebhaberorchester. Und genau diese Entwicklung spiegelt sich im Repertoire beinahe aller Liebhaberorchester: Barock-Klassik-Romantik-frühe Moderne und Schluss. 200 Jahre Musikgeschichte Mitteleuropas von Bach bis Hindemith, immer wieder. Das kennt man, das kann man, das kann man aus eigener Kraft besetzen oder mit Aushilfen ausfüllen und das kann man dem treuen Stammpublikum anbieten. So war es immer und so soll es bleiben.

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