„Schattierungen“, so heißt das erste Stück. Schattierungen – so dunkel, wenn auch differenziert, möchte man weder das Leben noch die Werke übertiteln, die an diesem Abend zur Aufführung kamen.
Es galt, Helmut Bieler zum 75. Geburtstag zu feiern – einem „Doyen“, wie man so schön sagt, der Bayreuther Neuen Musik. Wenn man es genau betrachtet, ist er der einzige ansässige, zudem nicht in Bayreuth geborene Musiker, der sich jahrzehntelang und immer noch unermüdlich um die Gegenwartsmusik in Bayreuth kümmert. Grund genug, dass einige seiner Weggefährten sich im Auftrag des Tonkünstlerverbandes Bayreuth im Orgelsaal der Hochschule für Evangelische Kirchenmusik trafen, um ihn, der ebenso über ein „liebenswürdiges Wesen“ wie über ein „immenses Wissen“ verfügt (wie der langjährige Hochschulleiter und ehemalige Leiter des Tonkünstlerverbandes Hans Schmidt-Mannheim in seiner kleinen Festrede sagte), zu ehren: durch Werke, auch durch wenige Worte. Viele Worte hat man über Bieler gemacht, indem man dem Jubilar in der renommierten Buchreihe „Komponisten in Bayern“ den jüngsten Band widmete. Theresa Henkel stellt ihn vor und kommt zum Schluss: „Bielers Musik ist das Abbild seiner Biographie“. Sie scheint sehr ernst gewesen zu sein; Bieler ist ein Kriegskind, Prägungen blieben nicht aus. Die Musik tönt herb in den Raum: sehr bewegt – aber auch sehr ruhig. Bieler ist nach außen ein Mann des freundlichen Ausgleichs und des bestimmten, aber zurückhaltenden Worts, dem manchmal ein verschmitztes Lächeln übers Gesicht gleitet. Schon die „Schattierungen“ für eine Soloflöte und Klavier, glänzend ausgeführt von Anja Weinberger und Marina Palmer, bezwingen durch beides: die Meditation und die Eruption. Die „Herbstmusik“ für Klavier und Violoncello, bravourös gebracht von Wolfram Graf und Tatjana Hubert, ist nicht die Musik eines alternden Mannes, auch wenn Bieler sie mit 65 schrieb. Bieler bewegte sich in den letzten Jahren zunehmend auf den Pfaden einer nur undeutlich verhüllten Tonalität. Man mag das, in Abwehr aller Freitönigkeit, als „Altersweisheit“ bezeichnen, aber gleich blieben die Attacken: die Pranken lieben immer noch die clusterhaften, weit von einander entfernten Akkorde. 1993 schrieb er mit dem Choralvorspiel und der -meditation über „Der du die Zeit in Händen hast“ ein relativ stilles Orgelstück, das vom Schlagzeuger Bernd Kremling mit einem zauberischen Übergang versehen und von Regionalkantor und Kulturpreisträger Chris-toph Krückl intim genug gebracht wird. Am Ende aber wird es krachen: im Kriegsstück „Verleih uns Frieden gnädiglich“ für Orgel und Schlagzeug, das Bieler 1993 zur 800-Jahr-Feier der Stadt Bayreuth komponierte. Es wurde ein Tongemälde, das nach dem konzentrierten Flötensolo „O Heiland, reiß die Himmel auf“, einer Uraufführung, größte Wirkung machte. Ein flehentlicher Choral stößt da auf eine Schlagzeugbatterie, Haydns „Missa in tempore belli“ scheint nicht weit zu sein, der Rest muss – nicht allein angesichts des Terrors, der am Abend über Paris einbrach – Schweigen sein. In ihm mag die Musik Helmut Bielers sacht nachklingen. Bielers Musik, man hörte es an diesem Abend, will immer den Dingen auf den Grund gehen. Dass er bei dieser Suche – als Komponist, Lehrer und Mensch – von Dogmen frei blieb: auch dafür müsste man ihn feiern.