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Den Mut haben, dagegen zu halten

Untertitel
Eine junge Solistin für Rolf Hempels Violinkonzert „Duell“
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Tanja Becker-Bender ist 18 Jahre jung und steht am Beginn einer Karriere als Geigensolistin. Am Samstag, 25. Oktober, wird sie die Solistin bei der Uraufführung von Rolf Hempels Violinkonzert „Duell“ in der Stuttgarter Musikhochschule sein. Ihre erste Uraufführung bestreitet die Geigerin zusammen mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter Anton Zapf. „Duell“ ist das zentrale Werk eines Konzertabends, der im Rahmen des Deutschen Musikfestivals Orchestermusik unseres Jahrhunderts vorstellt. nmz: Verehrte Frau Becker-Bender, wie kam es, daß Rolf Hempel sie als Solistin anfragte? Becker-Bender: Wir kennen uns ganz gut von der Hochschule, und er sagte, daß er gerne jemand Jungen hätte, der das spielt. Vor etwa einem Jahr, genau zur Zeit vor meinem Abitur, hat er mich angerufen und mich gefragt, ob ich das machen würde und ich habe gleich begeistert zugestimmt, weil ich es für eine wichtige Erfahrung halte und außerdem ist es eine Premiere für mich. nmz: Es ist Ende Juli, sind Sie nervös wegen der kurzen Vorbereitungszeit? Becker-Bender: Ich bin es gewöhnt, relativ schnell auch große Werke zu lernen und habe gerade – bis vor ein paar Tagen – das Beethoven-Konzert probiert und zum ersten Mal aufgeführt. Da bekommt man schon ein bißchen Selbstvertrauen. nmz: Sie haben bei einer Reihe prominenter Lehrer gelernt. Charakterisieren Sie ihre Lehrer doch bitte mit ein, zwei Eigenschaften. Becker-Bender: Es waren völlig verschiedene Arten, zu unterrichten, deshalb ist es schwierig, das zu sagen. Zudem war ich ja damals noch ein Kind. Also, Helmut Zehetmair hat sich sehr lieb um mich gekümmert und mir die Stücke herausgesucht, die ich spielen sollte und das war noch eher kindgerecht gewesen. Er hat sehr viel Wert darauf gelegt, daß man viele Konzerte und öffentlich spielt. Er sagte, das Podium ist der beste Lehrer. Er hat damals schon das regelmäßige Konzertieren bei mir eingeleitet. Bei Wolfgang Marschner war das dann schon so, daß er sehr auf Freiheit beim Spielen geachtet hat, er hat selber dazu improvisiert und da kam viel Musikantisches rein und Spontanes. Was bei ihm jedoch alles auf solider Arbeit basierte, er ist sehr umfassend gebildet. Und bei Wilhelm Melcher ist es sehr schwer etwas zu sagen, weil ich fast alles bei ihm gelernt habe, was ich kann. Er ist als Kammermusiker sehr subtil im Ausarbeiten von Stücken, aber das heißt nicht, daß er sich nur auf Kammermusik versteht. Gerade bei Konzerten hat er mir sehr viel vor dem Auftritt geholfen und ist immer dabeigewesen, wenn ich geprobt habe mit Orchester. Er hat sich da sehr liebevoll um mich gekümmert. nmz: Können Sie sich als Solistin noch für Kammermusik engagieren? Becker-Bender: Das Seraphim-Quartett, bei dem ich mitspielte, existiert leider nicht mehr. Als ich nach London ging, war es mir nicht mehr möglich weiterzuspielen. Aber mir liegt einfach sehr, sehr viel daran, im Quartett zu spielen. Um eine gute Solistin zu sein, wenn man die Werke wirklich ausdeuten möchte, dann muß man auch Kammermusik gut beherrschen. Da geht heute leider sehr viel daran vorbei und vieles ist nur Show, aber das muß ja nicht so bleiben. nmz: Sie haben ein Jahr in London bei David Takeno studiert. Jetzt gehen Sie nach Wien zu Günter Pichler, dem Primarius des Alban Berg Quartetts. Warum? Becker-Bender: Ich habe London nicht fluchtartig verlassen. Ich genoß die Zeit dort sehr, und ich möchte auf jeden Fall den Kontakt halten zu all meinen Freunden und vor allem zu meinem Lehrer, David Takeno, von dem ich wahnsinnig viel gelernt habe. Er kam oft um sieben Uhr morgens und hat gesagt, spiele mir mal Brahms Konzert vor, der Saal ist gerade so schön frei. Das hat so viel Spaß gemacht, das hat mir einen riesigen Trainingseffekt gegeben. Es gab ein bißchen Probleme mit dem Schulsystem. Die Schule unterstützt es nicht besonders, wenn man Konzerte spielen möchte und man war sehr abhängig davon, was sie einem vorsetzten dort. Ich sollte schön brav in alle Unterrichtsfächer gehen. Und zu mehr hat es dann nicht mehr gereicht. Ich wollte einfach ein bißchen selbständiger sein, als es dort eben möglich war – und das erhoffe ich mir von Günter Pichler in Wien. Die Art wie das Alban Berg Quartett spielt, gefällt mir sehr gut. Sie analysieren die Werke unglaublich genau, und trotzdem ist das spontan, was sie alles machen. nmz: Sie spielen eine italienische Meistergeige von Joanes Baptista Guadagnini von 1761 aus dem Fonds der Deutschen Stiftung Musikleben. Becker-Bender: Das war ein Riesenglück letztes Jahr, daß ich die Geige bekommen hatte, das hat mich selber am meisten überrascht. Ich hatte ein paar Jahre lang eine sehr gute Geige aus der Landessammlung Baden-Württemberg und dann irgendwann hieß es, die trägt einfach nicht mehr, wenn ich mit dem Orchester spiele und ich bräuchte ein stärkeres Instrument. Überraschenderweise hat es bei der Deutschen Stiftung Musikleben dann gleich beim ersten Mal so hingehauen. Ich kam mit der Geige unheimlich gut zurecht, obwohl die Jury die für mich ausgesucht hatte, und nicht ich selber. nmz: Wie funktioniert eigentlich so eine Vergabe? Becker-Bender: Hier bei der Landessammlung war es so, daß ich so zehn, elf Geigen zur Auswahl hatte. Ich bin mit Wilhelm Melcher hingefahren und wir haben da eine ausgesucht und das war sicher eine gute Wahl gewesen. In Hamburg jedoch hat die Jury sehr, sehr lange getagt und offensichtlich heiß diskutiert, wem welches Instrument zu geben sei. Und offensichtlich haben sie gut entschieden. nmz: Sie sind also glücklich...? Becker-Bender: Es hat mich sehr erfreut, wie die sich da reindenken in die Spieler, wo sie uns doch nur relativ kurz gehört haben. Und die Geige habe ich nun seit mehr als einem Jahr und bin nach wie vor glücklich. Und als ich neulich gerade Beethoven gespielt habe, da sagten die Leute, die Geige sei einfach ideal für das Konzert, die strahlt so schön. nmz: Wieviel Prozent ihres schönen Tones machen Sie aus, wieviel die Geige? Becker-Bender: Ich habe eine Weile gebraucht, mich an die Geige zu gewöhnen. Ich mochte sie von Anfang an, aber sie ist sehr schwer zu spielen, vor allem in den Tiefen. Da braucht man doch eine Weile um zusammenzufinden, und man ändert auch irgendwie seine Art zu spielen. nmz: Sie bauen doch auf den Möglichkeiten dieser Geige Ihr Spiel auf und können nicht alle zwei Jahre wieder von vorne anfangen. Wie lange dürfen Sie denn dieses „Leihinstrument“ behalten? Becker-Bender: Ein Jahr nach der Vergabe muß man wieder spielen. Ich habe jetzt im Februar wieder vorgespielt und habe sie für zwei weitere Jahre bekommen, dann muß ich wieder vorspielen und dann kann ich jeweils den Vertrag für zwei Jahre verlängern bis ich dreißig bin. nmz: Welche Programme haben Sie derzeit „drauf“? Becker-Bender: Ich bin zur Zeit wahnsinnig gut bedient mit dem, was ich öffentlich zu spielen bekomme, was man mir angetragen hat, was ich mir selber ausgewählt habe. Ich hatte erst letzte Woche die Premiere mit dem Beethovenkonzert und in knapp zwei Wochen spiele ich zum ersten Male Brahms Konzert, und das sind eigentlich die zwei großen Konzerte. Es ist wie ein Geschenk für mich, daß das so zusammentrifft. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, so ein bißchen Stücke zu entdecken von ein paar bekannten Komponisten, die weniger gespielt werden. Gerade in der modernen Musik, da gibt es noch sehr viel zu entdecken. Ich habe Schnittke gespielt und Arvo Pärt, zwei Komponisten, die mich fasziniert haben. Ich denke, das ist eine ewige Suche, insofern freue ich mich auch auf die Uraufführung des Violinkonzertes von Hempel. nmz: Was, außer der Musik, spielt für Sie noch eine wichtige Rolle im Leben? Becker-Bender: Ich spiele ganz gerne hin und wieder Klavier. Ich lese sehr gerne, ich möchte mich nach wie vor mit Mathematik beschäftigen... nmz: Mathematik...? Becker-Bender: Mathematik und Musik gehören bei mir eng zusammen. Es ist eine ähnliche Gedankenwelt, mit derselben Klarheit und Logik. Ich interessiere mich sehr für Mathematik und ich spiele mit Vorliebe Bach. Da kann man sicher Logik dahinter finden. Ich halte es schon für nötig, zu wissen in welcher Umkehrung ein Akkord steht, wenn ich ihn spiele. Wobei das dann bei der Aufführung selber nicht im Vordergrund stehen sollte, es muß dann im Unterbewußtsein sein. nmz: Sie stehen am Beginn einer Karriere als Solistin. Die Konkurrenz ist groß. Wie schätzen Sie Ihren „Marktwert“ ein? Becker-Bender: Der Musikbetrieb nimmt eine bedenkliche Entwicklung: Alles ist auf Sensation gemacht, man muß alles mit drei Jahren schon gespielt haben. Wie die Musik gedacht und empfunden wurde, ist sehr oft nicht mehr das Ziel heutiger Interpretationen. Musiker vergessen heute oft, daß sie ihre ganze Existenz eigentlich den „Kollegen“ verdanken, die ihr Leben dran gesetzt haben, um ihre Werke zu schreiben. Und denen es dabei ökonomisch nicht gut ging: Schubert, Mozart, da gibt es etliche Beispiele. Und wir machen eigentlich unverantwortliche Sachen mit ihrer Musik. Geige spielen sollte nicht zur Sportart werden, man sollte nicht in Ranglisten denken. Man muß den Mut haben, dagegen zu halten. Tanja Becker-Bender im Gespräch mit Andreas Kolb
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