Mit großer Mehrheit wählten die Bundesdelegierten des Deutschen Tonkünstlerverbandes auf ihrer Jahresversammlung in Mannheim im September Prof. Christian Höppner zum neuen Präsidenten. Damit tritt der Generalsekretär des Deutschen Musikrats die Nachfolge von Cornelius Hauptmann an, der nicht mehr für das Amt zur Verfügung stand. Wir sprachen mit Prof. Christian Höppner über seine Motivation und zukünftige Herausforderungen.
neue musikzeitung: Neben ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit als Generalsekretär des Deutschen Musikrats und als Professor für Cello an der Universität der Künste in Berlin engagieren Sie sich bereits in vielen Gremien und Jurys, etwa im Deutschen Kulturrat, in der Carl Bechstein Stiftung, beim Frankfurter Musikpreis, dem Deutschen Musikinstrumentenpreises oder beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, um nur einige zu nennen. Was hat Sie motiviert, für das Amt des Präsidenten des DTKV zu kandidieren?
Prof. Christian Höppner: Glücklicherweise verbinden sich die Bereiche, in denen ich mich engagiere, ursächlich nicht nur mit meiner Haupttätigkeit beim Deutschen Musikrat, sondern auch untereinander. In der kulturpolitischen Arbeit geht es meines Erachtens immer auch darum, Zusammenhänge herzustellen. Präsenz in unterschiedlichen Verbänden und Gremien ist da sinnvoll und erleichtert die Arbeit. Für mich ist eine hohe Motivation überall dort gegeben, wo ich sehe, dass mein Engagement ein sinnvolles Ganzes ergibt, und dass die Summe der Einzelaktivitäten mehr ist als nur deren Addition. Das ist die Grundlage meines ehrenamtlichen Engagements seit meiner Studentenzeit – dass die künstlerisch-pädagogische Arbeit, die ehrenamtliche und die kulturpolitische Arbeit eine sinnvolle Trias bilden. Als mich das Präsidium des DTKV fragte, ob ich mir vorstellen könnte, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, habe ich nach einer Zeit des Überlegens genau aus diesem Grund zugesagt. Wenn der Deutsche Tonkünstlerverband sich als kulturpolitische Kraft versteht und nach vorne schaut, dann motiviert mich das.
nmz: Was sind, Ihrer Einschätzung nach, die großen Herausforderungen, denen sich auch ein Verband wie der DTKV in nächster Zeit stellen muss?
Höppner: Ein gemeinsames Kraftfeld zu bilden in den politischen Entscheidungsprozessen! Zum einen betrifft dies die Zugänge zu den sozialen Sicherungssystemen. Durch die Coronakrise sind bestehende Probleme wie die soziale Sicherung freiberuflicher Kreativer wie unter einem Brennglas noch einmal deutlicher geworden. Insofern ist diese Krise auch eine Chance, jetzt nicht nur Detail- oder Einzelverbesserungen zu fordern, sondern grundlegend nachzudenken; etwa über die Diskrepanz zwischen der Wertschätzung, die die Gesellschaft den Kreativen entgegenbringt, während sich diese andererseits in der finanziellen Wertschätzung, also darin, was die Gesellschaft bereit ist, in Kultur zu investieren, nicht hinreichend widerspiegelt.
Das zweite wichtige Thema ist die musikalische Bildung. Ich weiß, dass der DTKV hier sehr engagiert ist. Er steht ebenso für künstlerische wie pädagogische Exzellenz. Eine Aufgabe sehe ich darin, diese Kompetenzen noch stärker zu verbinden mit allen Bereichen der musikalischen Bildung und daraus auch kulturpolitische Forderungen zu formulieren. Diesen Prozess würde ich gern verstärken und begleiten.
nmz: Da kommt das eingangs erwähnte Netzwerk ins Spiel …
Höppner: Ja, und ich denke, auch in der Sichtbarkeit nach außen wird es wichtig sein, dass viele nicht nur an einem Strang ziehen, sondern sogar am selben Ende dieses Stranges. Wir brauchen diese gesellschaftliche Kraft jetzt. Wir brauchen nach diesem Superwahljahr, der Coronakrise sowie den gesellschaftlichen Umbrüchen, zu denen die Klimakrise ebenso wie der demografische Wandel gehört, jetzt eine ganz andere Konzentration auf Ziele und Forderungen, die wir gemeinsam haben, und die noch nicht ausreichend sichtbar werden im kulturpolitischen Leben. Es gilt, klarzumachen, dass das, was wir tun, nicht in Nischen stattfindet. Im Gegenteil: Der DTKV ist ein wunderbares Beispiel für kulturelle Vielfalt im Sinne der gleichnamigen UNESCO-Konvention, die uns eigentlich eine Steilvorlage bietet für das, was wir gemeinsam an Interessen haben und fordern, nämlich Schutz und Förderung des kulturellen Erbes, der zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen einschließlich der Jugendkulturen und eben des interkulturellen bzw. transkulturellen Bereichs, also der Kulturen anderer Herkunftsländer. Dafür steht der DTKV. Und ich habe immer wieder erfahren dürfen, gerade in der Kombination meiner verschiedenen Ehrenämter, dass die Berufung auf diese Konvention tatsächlich nicht nur Argumentationskraft verleiht, sondern auch zu konkreten Verbesserungen von Rahmenbedingungen geführt hat. Das möchte ich gern in die Arbeit für den DTKV mit einbringen.
nmz: In der Bundesdelegiertenversammlung sprachen Sie von Ihrer Überzeugung, man sollte Schule neu denken. Was bedeutet das konkret für den DTKV?
Höppner: Schule neu denken meint, die künstlerischen Schulfächer und den Sport als die zentralen Kernfächer zu sehen, und zwar für alle Schularten und Jahrgangsstufen. Das würde die Pyramide, die wir jetzt haben, auf den Kopf stellen. Und es würde klarmachen, es geht nicht um ein Noch mehr für den Nürnberger Trichter. Das, was die jungen Menschen in der Grundschule und auch später entscheidend prägt, sollte das Eingangstor und Kontinuum schulischen Lebens sein und von dort seine Vernetzung zu den Natur- und Geisteswissenschaften finden. Das würde ermöglichen, dass wir in der doch sehr komplexen Welt und mit u.a. Herausforderungen wie der Digitalisierung, junge Menschen befähigen, in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihrer Selbstwirksamkeit anders vorbereitet zu sein auf die Wechselfälle des Lebens. Schule also im Sinne von Lebensschule.
Natürlich steht für den DTKV wie für den Deutschen Musikrat die Musik an erster Stelle, sie ist auch eine Kunst, die Menschen in einer Breite und in einer Tiefe erreichen kann, die beispiellos ist. Aber zu sagen, wir wollen Schule neu denken, hieße eben auch, dass wir uns unterhaken mit anderen künstlerischen Schulfächern, auch mit der Bewegung, also dem Sport. Ich weiß, das ist ein ganz dickes Brett, die Realitäten sind ganz andere, aber wir müssen diesen Schritt meiner Meinung nach gehen. Wenn wir da als DTKV die Kraft wirklich nach außen sichtbar machen – im Bund wie in den Ländern –, dann sehe ich da viele Möglichkeiten der Umsetzung. Und darauf freue ich mich.
nmz: Schule neu denken ist bis heute nicht das zentrale Thema des DTKV...
Höppner: Deshalb würde ich das gern vermitteln. Ich denke, wir sollten schon aus einem Eigeninteresse heraus diese Themen mitbewegen. Ich bin aufgrund meiner Tätigkeit viel in den Länderparlamenten unterwegs, noch mehr im Deutschen Bundestag und treffe dort viele Abgeordnete. Man muss sich das mal klar machen: Jede und jeder von ihnen hat einen Wahlkreis. Diese Politikerinnen und Politiker stärker zu adressieren – das können wir nur gemeinsam schaffen. Dies ist auch Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Interesses. Wir wünschen uns ein von kultureller Vielfalt geprägtes Land, in dem auch die Vermittlung von Musik professionell läuft. Wir wissen um die Wirkung der Musik und ihre Prägekraft. Aber wenn es nicht mehr erlebt werden kann, nicht mehr qualifiziert vermittelt wird und nicht in der nötigen Kontinuität, dann wird das von Vielfalt geprägte Kulturleben austrocknen. Deshalb glaube ich, es gibt einerseits ein staatsbürgerliches Interesse, es gibt aber auch ein gruppenspezifisches Interesse. Wie soll sich denn mein Arbeitsplatz, mein Wirkungsfeld künftig gestalten, wenn die Landschaft um mich herum – ich übertreibe jetzt ein bisschen – verdorrt? Die kulturelle Vielfalt ist, und das wird durch Schließungen in den nächsten Jahren sicherlich noch mehr, enorm bedroht.
nmz: Sehen Sie da auch ein Stadt-Land-Gefälle?
Höppner: Ich würde nicht von Gefälle reden, ich würde eher sagen, wir sollten die Stärken des ländlichen Raums stärken und die infrastrukturellen Vorteile der Ballungsräume nutzen. Ich erlebe es selbst hier in Berlin, dass wir teilweise verödete Stadtbereiche haben, in denen gar nichts mehr stattfindet, wo es immer noch tausende Schülerinnen und Schüler auf den Wartelisten der Musikschulen gibt. Bedarfe wecken und Bedarfe decken – dies halte ich für eine hochpolitische, ureigene Aufgabe von Kulturpolitik, eben auch Bedarfe überhaupt zu erkennen. Deshalb ist so etwas wie Schule neu denken im ureigenen Interesse eines Berufsverbandes wie dem DTKV.
nmz: Ideen und Impulse aus dem Präsidium müssen im DTKV immer auch ihren Weg in die Landesverbände finden, wo sie ggf. umgesetzt werden. Wie kann dieser Transfer gelingen?
Höppner: Kommunikation ist ein zentrales Thema und ein wichtiges Handlungsfeld. Die Zeit ist reif, stärker nach vorne zu schauen, und unsere Interessen gemeinsam deutlicher zu formulieren. Das geht nur über Zuhören und miteinander reden. Ich bin überzeugt, dass der DTKV auf den von mir aufgezeigten Linien eine noch größere Rolle spielen könnte. Und natürlich entsteht Kultur immer vor Ort. Was wären wir ohne die Länder? Das System ist mitunter anstrengend, aber es ist ein wichtiges Sicherungselement für kulturelle Vielfalt. Man sieht das auch an den Landesverbänden des DTKV, die sehr unterschiedlich aufgestellt sind. A) gilt es, diese Vielfalt zu erhalten, und b) den Verständigungskorridor auf das, was man gemeinsam und im Interesse aller voranbringen will, noch stärker nach draußen zu fokussieren und in die musikpolitische Arbeit einzubringen.
nmz: Das neue Präsidium unter Ihrer Leitung besteht wieder aus fünf Kollegen, obwohl auch zwei Kolleginnen zur Wahl standen. Bedauern Sie das?
Höppner: Zunächst freue ich mich natürlich auf die Zusammenarbeit im neu gewählten Präsidium. Darüber hinaus finde ich, es sollte selbstverständlich sein, dass sich die soziodemografische Zusammensetzung der Bevölkerung möglichst auch in den Gremien zivilgesellschaftlicher Verbände widerspiegelt. Aber als neu Hinzugekommener kann ich das Votum der Versammlung erst einmal nur so annehmen. Auch im Deutschen Musikrat hatten wir dieses Thema und ich habe das dort ein wenig „mitbewegt“. Dort haben wir unlängst einen Stufenplan mit einer Selbstverpflichtung verabschiedet. Geschlechtergerechtigkeit ist kein Diskussionsthema, es ist eine Notwendigkeit, bei der alle nur gewinnen können.
nmz: Sie haben in Ihrer Kandidatur geschrieben „Musik ist unser aller Leben“ – haben Sie bei der Fülle an Aufgaben, die sie übernehmen, noch Zeit, selbst ausreichend musizieren zu können?
Höppner: Ausreichend nicht, aber ich nehme mir noch die Zeit. Ohne mein Cello mehrmals die Woche im Arm zu haben, würde ich glaube ich verdorren. Es ist tatsächlich manchmal wie ein Therapeutikum nach einem stressigen Tag, Energiequelle, Befreiung und Notwendigkeit.