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Die Krise des Instrumentalunterrichts

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Der Vorstand des DTKV unterstützt die Initiative „G 9 jetzt“
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Grotesker könnte die Situation kaum sein. Hatte das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) erstmals allen Kindern im Grundschulalter, unabhängig vom Bildungshintergrund und Geldbeutel des Elternhauses, den freien Zugang zum qualifizierten Instrumentalunterricht eröffnet, so bricht diese Möglichkeit gegenwärtig auf breiter Front ein – und zwar wiederum für alle Instrumentalschüler, egal ob sie über JeKi oder auf traditionellem Wege zum Instrumentalspiel gefunden haben.

Eben noch hatten sie ihre Liebe zum Instrument entdeckt und waren mit Eifer und Freude bei der Sache, da geht nun für viele von ihnen mit dem Wechsel zur weiterführenden Schule diese zarte Liebe offenbar zu Ende. Immer mehr Eltern melden ihre Kinder vom Instrumentalunterricht ab. Als häufigsten Grund geben sie an, dass ihren Kindern keine ausreichende Zeit mehr für das tägliche Üben und Musizieren bliebe. G8 lasse dafür einfach keinen Spielraum mehr. Genau dieses Dilemma spiegeln auch die Teilnehmerzahlen bei „Jugend musiziert“ wider, die in den letzten Jahren ab Altersgruppe III (ab 10 Jahren) kontinuierlich gesunken sind.

Aber vielleicht bietet gerade diese Krise der Instrumentalmusik auch eine Chance, sich darüber klar zu werden, was hier eigentlich auf dem Spiel steht. Als Musiker und Musikpädagogen wissen wir aus langer Erfahrung, was die moderne Hirnforschung inzwischen auch wissenschaftlich bestätigt hat: Die Beschäftigung mit Musik hat einen nachhaltigen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. Beim aktiven Musizieren entstehen Verknüpfungen im Gehirn, die eine Balance zwischen der emotionalen und kognitiven Seite unseres Denkens und Handelns herstellen. Damit sollte eigentlich klar sein, dass Instrumentalunterricht ein unverzichtbarer Baustein jeder nachhaltigen Bildungspolitik sein muss.

Lange Zeit war das Instrumentalspiel allerdings nur dem wohlhabenden Bildungsbürgertum vorbehalten, das sich dies außerhalb des normalen Schulunterrichts leisten konnte und wollte – und zwar gerade nicht im Hinblick auf die Ausbildung der Kinder zum Musiker, sondern in einem umfassenden Sinne, als Teil der Persönlichkeitsbildung. Aus gutem Grund gehörte es buchstäblich zum guten Ton, dass auch die Ärztin oder der Rechtsanwalt passabel Klavier oder Geige spielen konnte. Ab den 1970er-Jahren wurde dieses instrumentalmusikalische Bildungsmonopol der bürgerlichen Eliten durch den massiven Ausbau der kommunalen Musikschulen gebrochen. Auch die Kinder der Mittelschichten bekamen nun Zugang zum qualifizierten Instrumentalunterricht. Das JeKi-Programm schließlich hatte zum Ziel, diese Möglichkeit nach unten zu erweitern und wirklich alle interessierten Kinder einzubeziehen. Beinahe wäre es gelungen, die traditionelle instrumentalpädagogische Gerechtigkeitslücke in der Bildungspolitik zu schließen.

Doch mit der Reduktion des JeKi-Programms zu JeKits durch die gegenwärtige NRW-Landesregierung ist diese Hoffnung dahin. Hinzu kommt nun noch G8. So wird der Instrumentalunterricht brutal in die Zange genommen. In der Grundschule werden die Mittel gekürzt, denn dort ist mit der Musik nun schon nach dem 2. Schuljahr Schluss. Und in der weiterführenden Schule wird die Zeit gekürzt, denn der Instrumentalunterricht, der im Curriculum ohnehin nicht vorgesehen ist, kann in der verbleibenden ‚Freizeit‘ der Schüler kaum noch bewältigt werden.

Was ist zu tun? Die Beschäftigung mit Musik braucht Zeit zur Muße. Kreativität ist ein Prozess und kein Ereignis. Der Musizierende begibt sich durch sein Spielen in einen selbstvergessenen, quasi ‚unendlich‘ andauernden Dialog mit dem Instrument, dem Komponisten und sich selbst, in die kritische Auseinandersetzung mit dem Material, in das Hinterfragen von Ergebnissen und das Austesten der eigenen Grenzen. Instrumentalmusik ist ein schöpferischer Prozess, der freie Spielräume erfordert und sich nicht in eng getaktete Zeitpläne pressen lässt.

Daraus folgt natürlich nicht, dass künftig jeder ein Instrument spielen (lernen) soll. Doch es muss Freiräume für diese Möglichkeit geben. Und solange es diese Freiräume nicht gibt, wird die Krise des Instrumentalunterrichts eine Krise der Bildungspolitik bleiben.

Der Vorstand des DTKV NRW unterstützt die Initiative „G 9 jetzt“. Er fordert von der Landesregierung, dass Kindern und Jugendlichen unverzüglich eine Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 eröffnen wird, damit sie die notwendigen Zeitfenster für eine intensive Beschäftigung mit der Musik haben. Langfristig ist der Instrumentalunterricht schulpolitisch zu verankern.

Weitere Infos zur Initiative „G 9 jetzt“ unter www.g9-jetzt-nrw.de

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