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Zwei jungen sitzen auf kleinen Stühlen in einem Zimmer mit Zimmerpflanzen vor einem tiefen Fenster. Beide Jungen haben einen Blick in einen Notenständer.

Die erste Unterrichtstunde. Foto: privat

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Die Zitterpartie geht weiter

Untertitel
Leserbriefe zum Thema „Herrenberg“-Urteil
Vorspann / Teaser

Die seit Monaten anhaltende existenzbedrohende Nervenprobe namens „Herrenberg-Urteil“ geht munter weiter. Die wild sprudelnden Nachrichten überkreuzen und widersprechen sich, die Gerüchteküche kocht über und die Facebook-Seiten und Foren im Internet bieten stündlich neuen Lesestoff. Auch auf den Artikel „Musikschule weiter in der Dauerkrise“ in der letzten NMZ erhielt ich erstaunlich viele Reaktionen, fast immer von Menschen, die ich nicht kannte. Es kam zu einem bundesweiten Austausch von Gleichgesinnten und Gleichbetroffenen. Vier davon, die möglicherweise für alle von Interesse sein könnten, werden hier nachfolgend angedruckt.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

1

Ich habe mit großem Interesse Ihren Beitrag ‚Musikschule weiter in der Dauerkrise‘ gelesen und möchte Sie gerne wissen lassen, dass ich Ihre Sicht der Dinge vollkommen unterstreiche. Sie haben das Dilemma gut und aus meiner Sicht überzeugend herausgestellt. Es ist nicht zu verstehen, dass Honorarkräfte in kleinen Privatmusikschulen an einer Fortführung ihrer Unterrichtstätigkeit gehindert werden sollen. Wie praxisfern wird hier eigentlich gedacht? Die Haltung des LMR Berlin, auf die Sie kurz eingegangen sind, hat mich irritiert, denn eigentlich kenne ich die beiden Damen als vernünftig handelnde Personen. Ich drücke Ihnen für Ihren dankenswerten Einsatz fest die Daumen und hoffe, dass es doch noch gelingt, eine Kompromisslösung zu finden, die auch die Interessen der freischaffenden Musiker und Musikerinnen sowie die Situation der Privatmusikschulen berücksichtigt.

Rüdiger Grambow

2

Ja, es ist schlimm, dass wir alten Leute noch miterleben müssen, wie eine blühende Musikschullandschaft so einfach plattgemacht wird. Das Ziel der DRV ist es, für die offenbar wieder mal geplünderte Rentenkasse neue Einnahmen zu generieren. Erzeugen wird man stattdessen mehr Bürgergeldempfänger. Diejenigen, die als Kind angefangen haben, sich auf den Beruf als Musiker vorzubereiten, während die anderen spielen waren, die das teuerste Studium (nämlich das Musikstudium) absolviert haben, die in Instrumente und Noten investiert haben, die fliegen dann auf die Straße. Denn die Idee von der Festanstellung für alle wird bei der prekären finanziellen Lage der Städte und Kommunen ein frommes Märchen bleiben. Die Auflage „Festanstellung“ ist nur durch eine Entlassungswelle zu erfüllen. Damit wäre meine berufliche Existenz zum zweiten Mal vernichtet…

(aus Ostdeutschland, Netzfund ohne Namensnennung)

3

Für Ihren o. g. höchst informativen Situationsbericht kann ich Ihnen nur danken. Erstmalig ist durch Ihre Rezension der ganze steuerpolitische Irrsinn vorgesehener flächendeckender Festanstellungen bisher freiberuflicher Musikpädagogen an Musikschulen offen und klar dargelegt worden. Das Argument einer künftig gesicherten Verbesserung ihrer Renten als Arbeitnehmer ist nicht nur ein Märchen, sondern eine glatte Lüge. Ihre sehr eindrucksvollen, der Realität entnommenen Fallbeispiele könnten einer Realsatire Loriots entstammen. Demnach darf sich vielleicht ein künftig fest angestellter Musiklehrer im Ruhestand eines sorglosen Lebensabends erfreuen – vorausgesetzt, dass er seinen hundertsten Geburtstag glücklich erreicht und endlos Beiträge eingezahlt hat? Wohl selbst nicht einmal dann. 

Prekariat im Alter?

Die Planungen der KSK und der DRV bedeuten, umgesetzt, die bürokratische Zerstörung unseres jahrzehntelangen, mühsam etablierten Musikschulwesens durch behördliche Eingriffe, die von einer Realität ausgehen, die so nicht existiert. Erstmalig gibt es an öffentlichen sowie an privaten Musikschulen einen selbstbewussten, akademisch geprägten Dozenten-Mittelstand, der zwar keine Reichtümer verdient, der aber weit entfernt ist vom Hungerleider früherer Generationen. Unglücklicherweise können die meisten Musiker nicht rechnen. Die Gefahr, durch das Herrenberg-Urteil im Alter ins Prekariat abzustürzen, ist absehbar, wird von den künftigen Betroffenen jedoch weitgehend ausgeblendet. In den bisherigen Diskussionen der Verbände blieben offenbar diejenigen, die Opfer des geplanten Reformwerkes namens „Herrenberg“ sein werden, und die es teilweise bereits heute sind, komplett unerwähnt. Von Kindern und deren Familien, für die ein künftiger Musikunterricht unerschwinglich sein wird, war m. E. nirgendwo die Rede, ebenso wenig von hoch qualifizierten Lehrkräften, die einer Festanstellung mit bescheidener Vergütung entgegensehen sollen, welche ihr Existenzminimum in keiner Weise abdeckt.

Die DRV wäre (endlich) zu befragen, auf welchen rechtlichen Grundlagen ihr Reformwerk basiert? Sofern es zu keiner konsensfähigen Einigung kommen kann, wäre die einzige verbleibende Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten und die DRV zu verklagen. Ich bitte ausdrücklich darum, dass mein Name in möglichen Veröffentlichungen nicht genannt wird. Danke dafür im Vorwege.

(aus Norddeutschland)

4

Leider habe ich viel zu wenig Zeit, um in der nmz und darin die vielen womöglich interessanten Artikel zu lesen. Mit Ihrem Artikel haben Sie mir aus dem Herzen gesprochen. Denn es versteht sich fast von selbst, dass ein Pädagoge noch ein besserer Pädagoge sein muss, wenn er auch Erfahrungen auf der Bühne gemacht hat. Für mich vollkommen untrennbar. Ich selbst habe meine Arbeit auch genauso aufgeteilt in Lehrtätigkeit – die mir äußerst wichtig war – und Konzert- oder Event-Auftritte. Die wenigsten Menschen wissen, wie weit die Musik überhaupt auf alle wichtigen Faktoren und Tätigkeitsfelder im Leben eine Auswirkung und einen Einfluss hat.

Den Kopf frei bekommen

Gerade in den letzten Jahren hat sich das Feld der Musik auf so wichtige Aspekte, die ich Ihnen bestimmt nicht erläutern brauche, verändert und ausgedehnt wie zum Beispiel echte Präsenz, Konzentration, Achtsamkeit, ganz zu schweigen von den positiven Aspekten der sozialen Kompetenz, Aufmerksamkeit, Struktur, Vorausschauen, Balance, Entspannung, den Kopf komplett frei bekommen und dennoch alle Gehirnareale zu aktivieren et cetera. Die Liste könnten wir noch kilometerweise fortführen. Das alles ist doch wichtig für das Leben.
Immer wieder erschrecke ich, wenn ich von meinen Schülern höre, dass sie frühestens um 18:00 Uhr zum Unterricht kommen können, oder schon in der 6. Klasse keine Zeit mehr vorhanden ist, um am Instrumentalunterricht teilzunehmen.

P. Maria EL Raphael/www.goldschimmer-akademie.de

Musikschule intern

Auf der Facebookseite „Musikschule intern“ stehen mittlerweile drei Beschiede, in denen die Beurteilung von Tätigkeitsmerkmalen in Statusfeststellungverfahren im August 2024 dokumentiert wird. Die Details können Interessierte dort selbst nachlesen. 

Martin Behm, der Präsident des LV Brandenburg, kommentiert diese Veröffentlichung eher kritisch:

Meine Frage lautet: Was soll die Veröffentlichung dieser Bescheide ohne juristische Einordnung? Ich kenne diese Briefe der DRV. Und sie sind ganz klar rechtswidrig. Das wird allerdings erst deutlich, wenn man auch die Verträge veröffentlicht, welche diesen Bescheiden zu Grunde liegen. Gegen diese Bescheide wurden Rechtsmittel eingelegt.

Eines jedoch wird bereits deutlich. Die Empfehlung aus dem Papier der AG Musikschulen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sich in Statusfeststellungsverfahren die selbstständige Tätigkeit der Lehrkräfte bestätigen zu lassen, kann nicht der Weg sein. Wir brauchen einen konkreten Kriterienkatalog, mit dem eine selbstständige Tätigkeit an Musikschulen weiter möglich sein kann. Herrenberg und Hamm verbieten dies ausdrücklich nicht. Hamburg 2023 auch nicht. Höchstwahrscheinlich auch nicht Bremen 2024. Warum auch? Aber es könnte mal langsam etwas lauter werden, vor allem aus dem BdfM. Denn hier hängen alle Existenzen der Musikschulen an diesem Thema. Mit einer bloßen Veröffentlichung von Bescheiden ist keinem geholfen.

Dazu wiederum gab es etliche Kommentare, aus denen ich Fabian Dührssen zitieren möchte, der schrieb:

Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich schwierig, dass aktuell (zumindest wirkt es so auf mich) subjektive Wahrnehmungen über die Bewertung entscheiden, oder zumindest nicht transparent erklärt wird, wie die Merkmale einer selbstständigen/nichtselbstständigen Tätigkeit jeweils gewichtet werden und wie bemessen wird, ab wann die jeweilige Art der Tätigkeit überwiegt. Es braucht hier ganz dringend eine klare Richtlinie, nach der man auch vor der Eröffnung eines Betriebs planen kann. 
Eine reine Gegenüberstellung ohne offengelegte Gewichtung der einzelnen Punkte halte ich für ziemlich schwierig, vor allem nicht nachvollziehbar. Sollte z.B. allein die Nutzung der Räume schon ein Ausschlusskriterium sein, oder dass die Lehrkraft Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers ist, weil sie – naja, was soll sie auch sonst machen? – Musik an einer Musikschule unterrichtet, dann braucht man auch nicht davon sprechen, dass es kein Verbot gäbe. Ich kann ja auch nicht die Verwendung von Rädern im Straßenverkehr untersagen und dann davon sprechen, dass es kein Auto-Verbot gäbe.

Ich hänge jetzt durch lange Bearbeitungszeiten seitens der DRV seit über einem Jahr in der Luft, mit potentiell monatlich wachsenden Nachzahlungen. Das ist doch kein Zustand. Ich habe das Gefühl, dass unabhängig der Merkmale bis jetzt erstmal alles pro abhängige Beschäftigung entschieden wird, da die DRV keinen Präzedenzfall schaffen möchte. Mir wurde angeraten, mein Verfahren ruhend zu stellen, da vor dem BSG noch zwei Revisionsverfahren anhängig seien – außerdem soll doch Mitte Oktober nochmal ein Treffen zwischen Verbänden und DRV stattfinden, in denen ein Kriterienkatalog ausgearbeitet werden soll, nach dem man dann in Zukunft auch klar planen kann. So zumindest meine aktuelle Hoffnung – anders wird es für viele Musikschulen nicht weitergehen können.

Vielleicht sollte man es nochmal klarstellen, um Missverständnisse aller Art zu vermeiden: Wer eine feste Stelle haben will, der soll sie bitte auch bekommen. Und natürlich kämpft die Gewerkschaft für ein richtiges Ziel, nämlich eine soziale Besserstellung der Musikschullehrer. Die Quittung für die Freiheiten des Freiberufler-Daseins kommt spätestens mit de Rentenbescheid.

Aber es muss auch an die gar nicht so kleine Gruppe von Musikerinnen und Musikern gedacht werden, die eben genau so nicht leben wollen. Als Freiberufler hat man sich ja bewusst für diese andere Lebensweise entschieden, die ja auch allerlei Vorteile bereithält. Wollen wir hoffen, dass die zuständigen Gremien eine Doppelwumms-Lösung finden werden, nämlich die, das duale System zu erhalten, wie es der DTKV ja von Anfang an fordert. Sonst entstehen gefährliche Verhältnisse: auf der einen Seite die staatlichen und kommunalen Musikschulen, die in die Zange genommen werden, was nicht ohne Entlassungen und/oder lange Übergangsfristen abgehen wird und auf der anderen Seite die privaten und die Vereinsmusikschulen, die ihre Organisationsform ändern werden müssen, wobei etliche erhebliche Fragen, wie Subventionen, Gemeinnützigkeit, Körperschaftsteuer und andere Steuern derzeit aus meiner Sicht nicht beantwortet werden können.

Das Modell „Genossenschaft“ wird in dem Papier von Verdi (zu finden auf der Facebookseite „Musikschullehrer“) ausdrücklich als Alternative erwähnt: die Gründung ist aber teuer, langwierig und voll von bürokratischen Hindernissen und fortlaufenden Kontroll-Zwängen. Die Partnergesellschaft und die GbR bieten sich als sinnvolle Alternativen an, weil sie leicht zu gründen und zu organisieren sind: Darum gilt wieder mal: Wir schaffen das (Raute)! Oder wir suchen Trost bei Nietzsche: „Wer spricht von Siegen? Überstehen ist alles...“

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