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Eigensinnig und unverwechselbar

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Interview mit Musikwissenschaftler Giselher Schubert über die Symphonien von Gloria Coates
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Gloria Coates gilt als bedeutendste Symphonikerin unserer Zeit.

Wolfram Graf: Sie haben in Ihrem Aufsatz über die Symphonien unter anderem die Vielschichtigkeit dieses Werkkomplexes von Frau Coates herausgestellt. Wie ordnen Sie diesen in den Kontext des allgemeinen symphonischen Schaffens des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts ein? Sind die Coates-Symphonien, gerade auch durch die von Ihnen beschriebene musikalische Geste, eine singuläre Erscheinung?
Giselher Schubert: Die Symphonien von Gloria Coates sind ganz gewiss im Kontext gegenwärtigen Komponierens eine singuläre Werkgruppe, die sich – wie ja eigentlich alle originäre Musik – nicht richtig einordnen oder historisch herleiten lässt. Gewiss können Traditionsspuren in ihren Werken gesichert werden, aber sie fallen für fast jedes dieser 16 Werke anders aus. Gloria Coates bezieht sich in dieser Werkgruppe auf das „Ganze“ der Musik, wie Strawinsky einmal die unermessliche Vielfalt von Musik nannte. Aber zugleich haben alle diese Werke einen prägnanten Charakter und wirken denkbar geschlossen und streng durchgestaltet. Gloria Coates besitzt einen unverwechselbaren, durchaus auch eigensinnigen Personalstil, der alles, was sie in ihren Symphonien aufgreift oder ausgestaltet, in etwas Persönliches verwandelt. Das zeichnet doch alle große Musik aus.
Graf: Immer wieder wird in den einzelnen Artikeln des Buchs das Spannungsfeld des amerikanischen Ursprungs der Komponistin und ihrem Verankertsein in der – nicht nur musikalischen – deutschen Kultur aufgegriffen. Werden diese Bezüge auch in Coates‘ symphonischem Werk augen- beziehungsweise ohrenfällig?
Schubert: Sicherlich ist es außerordentlich reizvoll, US-amerikanischen und deutschen Einflüssen in ihrem Werk nachzuspüren! Ich möchte aber lieber an eine Bemerkung von Paul Dukas erinnern, nach der es die gro-ßen Komponisten weniger mit der Nation als vielmehr mit der Humanität halten. Gerade im 20. Jahrhundert haben einige der bedeutendsten Komponisten ihre Nationalität wechseln müssen, sodass sich auch der spezifische Nationalstil in der Musik verflüchtigte – ohne jedoch unkenntlich zu werden.
So finde ich etwa, dass die von mir erwähnte „Eigensinnigkeit“ von Gloria Coates keinesfalls deutsch wirkt und womöglich bornierte, engstirnige Züge trägt, sondern eher amerikanisch: als selbstverständliches Bekunden von Individualität, die jedem zugestanden wird.
Graf: Was wäre Ihr Wunsch, wenn Sie an Frau Coates einen Kompositionsauftrag vergeben dürften? Noch eine Symphonie, eher etwas Kammermusikalisches, vielleicht in einer speziellen Besetzung oder die im Buch immer wieder erwähnte aber noch nicht ausgeführte Oper?
Schubert: Natürlich wünschte ich, dass Gloria Coates einige ihrer Opernprojekte einem Abschluss zuführt; als ehemalige Schauspielerin besitzt sie doch reichste Bühnenerfahrung! Aber vielleicht wünschte ich ebenso und würde gerne dafür sorgen, dass sich für ihre vorliegende Musik endlich ein engagierter Verlag findet und breitere Aufmerksamkeit gewinnt. Ihre Symphonien sollten unbedingt von Spitzenorchestern ins Programm aufgenommen werden.
Ihre 4., 9. oder 15. Symphonie – das sind meine persönlichen Favoriten – hätten das verdient und würden, da bin ich ganz sicher, einen Erfolg erzielen, der auch beim breiten Publikum haften bleibt.  

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