Dass im „Bildungsland Hessen“ die kulturelle und insbesondere die musikalische Bildung schlecht aufgestellt ist und dies mit prekären Beschäftigungsverhältnissen korrespondiert, ist bekannt und wird seit langem kritisiert:
An den öffentlich geförderten Musikschulen des Landes unterrichten zu 66 Prozent Honorarkräfte in rechtlich und finanziell ungesicherter Position. Die verbleibenden 34 Prozent sind zwar angestellt, doch nur 7 Prozent werden nach dem TVöD (wenngleich nicht entsprechend einer Hochschulausbildung) vergütet, der größere Teil erhält eine unangemessen niedrige Honorierung in „Haustarifen“, oft zusätzlich in Teilzeit. Weder Lebensunterhalt noch Altersvorsorge sind damit möglich. Das zwingt zu Nebentätigkeiten, Berufswechsel oder Abwanderung in andere Bundesländer mit auskömmlichen Arbeitsbedingungen.
Ein Blick auf die Unterrichtshonorare beziehungsweise -gebühren beleuchtet das Problem von der anderen Seite: In Hessen werden zwischen 60 bis 80 Prozent der Kosten über die Zahlungen der Schülerfamilien abgedeckt, die damit eine Negativspitze im Bundesvergleich darstellen. Der Landeszuschuss dagegen beträgt nur 4 Prozent. Fast alle anderen Bundesländer zahlen mehr: Rheinland-Pfalz 8,2 Prozent, Bayern sogar 12 Prozent. Warum ist das so? Ist Hessen ein armes Bundesland? Hat Hessen nicht die Kultur als Staatsziel in die hessische Verfassung aufgenommen? Ist man sich in Hessen nicht bewusst, dass hohe Unterrichtskosten Kinder aus weniger begüterten Elternhäusern von der Teilhabe ausschließen?
Um die missliche Situation zu ändern, hat im Dezember 2020 die SPD-Fraktion einen „dringlichen Gesetzentwurf“ zu einem Gesetz über die Musikschulen in Hessen in den Landtag eingebracht, das den sukzessiven Ausbau der öffentlichen Förderung aus Steuermitteln regeln soll. Mit einer jährlichen Steigerung von zwei Millionen Euro wird bis 2030 der erste Schritt zu einer Drittelfinanzierung der Kosten aus Gebühren, kommunalen Zuschüssen und Landesmitteln angestrebt. Dieser Entwurf ist derzeit in der parlamentarischen Beratung.
Der DTKV-Hessen begrüßt die Initiative der SPD als großen Schritt der Politik in die richtige Richtung. Allerdings wird erheblicher Ergänzungsbedarf angemahnt:
1. Die neue Landesförderung ist nur für die Musikschulen vorgesehen, die auch bisher schon öffentlich gefördert werden: allesamt Einrichtungen, die im VdM organisiert sind, die meisten urban gelegen. Sie teilen sich auf in 13 Musikschulen in kommunaler Trägerschaft und 55 Musikschulen in privatwirtschaftlicher Vereinsträgerschaft, letztere zum Teil aus kommunaler Trägerschaft ausgegliedert mit entsprechenden Nachteilen für die Beschäftigten. Nach heutigem Kenntnisstand stellen diese 68 Musikschulen lediglich etwa die Hälfte der qualifizierten musikpädagogischen Angebote in Hessen. Die andere Hälfte wird von privaten Musikschulen und zirka 4.200 freiberuflich arbeitenden selbständigen Instrumental- und GesangspädagogInnen (Quelle: KSK) geleistet. Diese Hälfte der musikalischen Bildung in Hessen geht nach vorliegendem Entwurf leer aus.
Daher fordert der DTKV ein Konzept, das die bisherige Mittelvergabe integriert und um alle weiteren qualifizierten AkteurInnen erweitert. Der Qualifikationsnachweis soll zur Grundbedingung der staatlichen Förderung gemacht werden. So kann das Feld der gesamten hessischen Musikpädagogik nachhaltig gestärkt werden, auch in den ländlichen Regionen, in denen der Anteil des freiberuflich erteilten Instrumentalunterrichts besonders hoch ist. Ein Runder Tisch „Musikpädagogik“ mit allen Akteurinnen und Akteuren im Bereich der musikalischen Bildung sollte eine langfristige Strategie für eine nachhaltige Mittelvergabe entwickeln.
2. Die innerbetriebliche Mitbestimmung ist in Hessen zwar in Artikel 37 der Verfassung verankert, hat aber an den Musikschulen einen schweren Stand. Personal- bzw. Betriebsräte existieren in den wenigsten Einrichtungen. Gründungsinitiativen werden von Schulleitern gelegentlich – möglicherweise unter dem hohen Druck dramatischer Unterfinanzierung - sabotiert. Der DTKV empfiehlt hier dringend, die Förderfähigkeit einer Musikschule an die Existenz eines innerbetrieblichen Mitbestimmungsgremiums zu koppeln.
3. Weitere geeignete Maßnahmen zur Stärkung der außerschulischen Musikpädagogik in Hessen wären die Öffnung der „Rahmenvereinbarung für den Unterricht an Ganztagsschulen“ und damit einhergehend die Bereitstellung von kostenfreien oder -günstigen Unterrichtsräumen in Schulen, Jugendhäusern oder Stadtteilzentren, die Aufstockung des Bildungsgutscheins aus Landesmitteln für sozial Schwache sowie der Erhalt der Umsatzsteuerbefreiung nach §4 Nr. 21 a)bb).
So kann aus dem „Gesetz über die Musikschulen im Lande Hessen“ die dringend notwendige gesetzliche Grundlage für die bisher völlig vernachlässigte außerschulische Musikerziehung in Hessen werden.