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Ein Fest für Beethoven

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Prof. Georg Quander, Künstlerischer Direktor Musikkultur Rheinsberg GmbH, im Gespräch
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Prof. Georg Quander ist seit Oktober 2018 künstlerischer Direktor der Musikkultur Rheinsberg GmbH, deren Wirkungsfeld die Landes- und Bundesakademie Rheinsberg sowie die Kammer­oper Schloss Rheinsberg umfasst. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften wurde Quander Musikredakteur beim SFB, wenige Jahre später Hauptabteilungsleiter Musik und Unterhaltung beim RIAS Berlin. Von 1991 bis 2002 leitete er als Intendant die Berliner Staatsoper Unter den Linden mit besonderem Einsatz für historische Opernaufführungen. Anschließend war er viele Jahre Kulturdezernent der Stadt Köln. Seine vielseitigen künstlerischen und kulturpolitischen Erfahrungen bringt er nun mit großem Engagement in das Rheinsberger  Bildungsprogramm mit ein.

neue musikzeitung: Ein Rückblick auf das Jahr 2020 dürfte mit Wehmut und Trauer erfüllt sein, weil viele bereits bestens vorbereitete Projekte, selbst die, die schon von Frühjahr auf den Herbst verschoben wurden, nicht stattfinden konnten. Insbesondere auch eine von Ihnen inszenierte Kinderoper, deren Aufführung wir kurz vor Weihnachten für sicher durchführbar hielten. Wie gehen Sie mit der derzeitigen Situation um, sehen Sie eine Gefahr für unser Kulturleben?

Georg Quander: Noch sehe ich keine Gefahr für unser Kulturleben. Die Erfahrung des letzten Sommers hat gezeigt, dass das Publikum trotz corona-bedingter Einschränkungen sein Interesse an Kultur nicht verloren hat. Als wir pandemiebedingt im Frühjahr unsere komplette Kammeropernsaison absagen mussten und es dann zum Sommer überraschend doch wieder erste Lockerungen für die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen gab, haben wir kurzfristig als kleinen Ersatz einen Musiksommer Rheinsberg ins Leben gerufen – mit 12 Konzerten, 12 Kinoabenden und einer interessanten Ausstellung zur Theatergeschichte im Schlosstheater, der vom Publikum recht gut und vor allem sehr dankbar angenommen wurde. Und hätten wir unsere Weihnachtsoper wie geplant aufführen können, so hätten wir insbesondere die große Nachfrage aus den Schulen mit unseren paar Aufführungen gar nicht befriedigen können. Insofern glaube ich: wenn wir den Spielbetrieb wiederaufnehmen dürfen, wird unser Publikum zurückkommen, und das Gleiche sehe ich bei der Musikakademie, die wir im Dezember ebenfalls wieder schließen mussten.

Große Sorgen

Was mir allerdings große Sorgen macht und worin ich eine ernste Gefahr für unser Kulturleben sehe, sind zwei andere Aspekte. Das ist zum einen die Befürchtung, dass zahlreiche freischaffende Künstler das pandemiebedingte de facto-Berufsverbot wirtschaftlich und mental nicht überstehen werden, und zum andern, dass die sogenannten freiwilligen Aufgaben von der Politik als erste zur Disposition gestellt werden, wenn es darum geht, in den kommenden Jahren die in der Pandemie aufgehäuften, gigantischen öffentlichen Schulden wieder zurückzuführen. Das könnte dann den wirklichen Tod der Kultur zur Folge haben, die zur Zeit – um im Bild zu bleiben – gewissermaßen nur in einem Wachkoma liegt. Gerade nach Ende der Pandemie benötigen wir aber vermehrte Anstrengungen im Kulturbereich, um in die Normalität zurückzufinden.

nmz: Für die Saison 2021 liegt ein umfassender Veranstaltungskalender vor: „Ein Fest für Beethoven“, der Komponist, dessen Jubiläumsjahr ebenfalls in 2020 hätte gefeiert werden sollen. Die Kammeroper Schloss Rheinsberg hat sich vorgenommen, eine selten beleuchtete Seite des bekannten Komponisten darzustellen, und das mit Recht. Nach wie vor wird Beethoven im Musikunterricht (wenn überhaupt) als schwere Kost vorgestellt, dessen Werk vom Publikum in Wien abgelehnt wurde und dessen Klavierwerke schwierige Analysen erfordern. Ihr Programm stellt den geselligen ­Beethoven vor: mit vielen Volksliedwerken verschiedener Couleur, mit der Erstfassung der Oper „Fidelio“, deren Regie Sie innehaben werden, sowie mit einem Abend im Spiegelsaal des Schlosses, der der „Kunst des Quartetts“ gewidmet ist.

Quander: Beethoven gilt zurecht als einer der bedeutendsten Komponisten der europäischen Klassik. Mit ihm beginnt im Grunde das bürgerliche Konzertleben, von dem wir alle immer noch mehr oder minder zehren. Aber Beethoven war eben nicht nur der durch seine Ertaubung vom Schicksal tragisch gezeichnete Künstler, sondern, wie Sie zurecht sagen, auch ein durchaus lebensbejahender, experimentierfreudiger und vielfältiger Musiker. Dies wollen wir zeigen und damit unserm Publikum die Möglichkeit geben, Beethoven von seiner gelösten und optimistischen Seite kennenzulernen, wie sie etwa in seiner Ballettmusik zu „Die Geschöpfe des Prometheus“, in seiner „Chorfantasie“ oder den wunderbaren Volksliedbearbeitungen in Erscheinung tritt.
Das Ganze steht unter dem Motto „Ein Fest für Beethoven“ und es beginnt mit einem großangelegten, zweitägigen Wandelkonzert, bei dem wir den gesamten Schlosspark bespielen – vom Schlosshof über das Heckentheater bis zu kleineren Spielorten wie der Egeria-Grotte, dem Salon, einer Bühne vor der Alten Stadtmauer und am See. „Die Geschöpfe des Prometheus“ werden in einer neuen szenischen Creation zu erleben sein, die Uwe Scheibner gemeinsam mit dem Staatsballett Berlin in unserm Auftrag entwickelt, die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker bestreitet den musikalischen Teil mit verschiedenen kleiner besetzten Ensemblestücken und großen sinfonischen Werken wie der Pastorale oder der Kantate „Meeresstille und glückliche Fahrt“, die einen besonderen Naturbezug haben. Das Publikum kann von einem Spielort zum nächsten wandeln und wird sich zum Schluss um den See versammeln, wobei der Pianist auf einem Ponton mitten im See die „Mondscheinsonate“ spielen wird – hoffentlich bei klarem Himmel und einem strahlenden Mond.

Weiter Bogen

Über einen Abend mit den Volksliedbearbeitungen, unter anderem den Schottischen Volksliedern, zwei Abende mit Kunstliedern, in deren Mittelpunkt der Zyklus „An die Ferne Geliebte“ steht und den erwähnten Quartett-Abend, bei dem wir drei Streichquartette dem berühmten Vokalquartett aus dem „Fidelio“ gegenüberstellen wollen, reicht der Bogen bis zu den das Festival beschließenden Aufführungen des „Fidelio“ in der Urfassung. Auch hier kann das Publikum einen andern Beethoven erleben, einen Beethoven, der voller Optimismus glaubt, dass das Gute und Menschliche über das Böse und die Ungerechtigkeit siegen kann, und das in der ganz realen Welt und nicht erst in der Utopie, wie wir es aus der Spätfassung des Werkes kennen.

nmz: Der überwiegende Teil der Mitwirkenden sind junge Gesangstalente, die bei dem „internationalen Gesangswettbewerb der Kammeroper Schloss Rheinsberg“ einen Preis erringen konnten. Ist dieser Wettbewerb und das darauf folgende Engagement für eine Opernpartie der wichtigste Schritt in die anzustrebende Karriere?

Quander:  Die Teilnahme an unserm Gesangswettbewerb und die Chance, dadurch an unserm Internationalen Festival junger Opernsänger teilzunehmen und dabei seine Fähigkeiten unter professionellen Bedingungen und vor Publikum in einer wichtigen Rolle zu erproben, ist an sich schon ein wichtiger Schritt für junge Sänger auf dem Weg in ihr Berufsleben. Dabei ist die Konkurrenz um die Plätze groß. Im Regelfall wird der Wettbewerb im Herbst des Vorjahres für das Festival im nächsten Sommer international ausgeschrieben. Erfahrungsgemäß bewerben sich 350 – 400 junge Sänger*innen aus mehr als 30 Nationen von Australien, über den süd­ostasiatischen Raum, Süd-, Mittel- und Nordamerika bis nach Europa um die 50 bis 60 zu vergebenden Plätze.
Die Interessenten müssen sich dann mit den üblichen Unterlagen wie Lebenslauf, Angaben zu Berufserfahrung und Repertoire sowie zwei Musikbeispielen (Audio oder Video) um die Teilnahme bewerben. Nach einer Vorauswahl durch die künstlerische Leitung werden dann die zum Vorsingen zugelassenen Bewerber*innen zu einer Audition eingeladen. Die erste fand im letzten Jahr in Kopenhagen statt, die zweite in Moskau und die dritte, finale Runde in Berlin. Hier waren immerhin noch rund 200 Kandidat*innen anwesend, unter denen die Jury ihre Auswahl zu treffen hatte. Der Jury gehörten neben der künstlerischen Leitung die Leading-Teams der beiden Opernproduktionen (Dirigenten und Regisseure), Susanne Elmark als Mentorin für die Operngala, Carolin Masur für die Liederprogramme sowie Siegfried Jerusalem als Leiter der Meisterklasse an.
Früher war es so, dass man sich nur ganz allgemein um die Teilnahme am Festival bewerben konnte, ich habe aber eingeführt, dass man sich daneben auch qualifiziert für eine bestimmte Aufgabe, also z.B. um eine Hauptrolle in einer der aufzuführenden Opern bewerben kann. Dann erhalten die Kandidaten*innen vorgegebene Pflichtstücke, die sie beim Vorsingen vortragen müssen. Das hat sich sehr bewährt, da dadurch die Vergleichbarkeit der Leistungen besser gewährleistet ist, als wenn jede oder jeder nur seine Paradearie vorträgt, die er bzw. sie bei jeder Gelegenheit zum Besten gibt.

Der Lohn der Mühe

Das wichtigste bleibt am Ende aber die Erfahrung, in einem der Konzerte oder der Opernaufführungen mitgewirkt und die Aufgabe unter professioneller Leitung erarbeitet zu haben. Wenn dann noch das Publikum unsere jungen Sänger*innen feiert, dann hat sich alle Mühe gelohnt und der Kandidat einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zur Bühne zurückgelegt.

nmz: Die Kammeroper ist auch dafür bekannt, sich in erster Linie für vergessene beziehungsweise zu Unrecht selten aufgeführte Werke einzusetzen. In diesem Jahr wird dies die Oper „Fra Diabolo“ – „Das Gasthaus zu Terracina“ von Daniel-Francois-Esprit Auber sein, eine Komische Oper in drei Akten, die zu ihrer Zeit Furore machte …

Quander: Die Opernliteratur ist viel breiter und birgt viel mehr musikalische Schätze, als es das eingeschränkte Repertoire der meisten Opernhäuser erahnen lässt. Hierauf hinzuweisen und dabei Werke erneut zur Diskussion zu stellen, die aus welchen Gründen auch immer zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, sehe ich als eine Aufgabe unseres Festivals. In 2019 haben wir daher Cimarosas „Gli Orazi e i Curiazi“ und Flotows „Martha“ herausgebracht, zwei Werke, die von Publikum und Presse begeistert aufgenommen wurden. Von zahlreichen Besuchern wurde ich nach den Aufführungen angesprochen, wie es wohl dazu kommen konnte, dass derart fantastische Werke so in Vergessenheit geraten konnten. Den gleichen Effekt erhoffe ich mir bei Aubers „Fra Diavolo“. Das Stück zählte einst zum Standartrepertoire aller großen Opernhäuser und prominenten Sänger. Warum es so außer Mode gekommen ist, ist schwer zu beantworten und noch schwerer nachzuvollziehen, verfügt es doch über eine Fülle herrlicher Musik und eine äußerst witzige Handlung.
Leider ist allgemein zu beobachten, dass unsere Opernhäuser einen gro­ßen Bogen um die sogenannte Spieloper machen und dieses Genre völlig vernachlässigen, was ich für einen gro­ßen Fehler halte. Für uns sehe ich darin allerdings eine Chance, da diese Werke gerade für unsere jungen Sänger viele beherrschbare Partien sowie äußerst dankbare und spielfreudige Rollen enthalten, in denen sie ihre Talente zur Geltung bringen können.

nmz: Die Kammeroper könnte man auch als eine groß angelegte Sommerakademie für junge Sänger bezeichnen, die Musikakademie Rheinsberg bietet ähnliche, meist kleinere Fortbildungsformate für professionelle Musiker und den musikalischen Nachwuchs das ganze Jahr über. Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Musik­akademie und Kammeroper?

Quander:  Wir haben im Dezember ein großes, auf drei Jahre ausgelegtes Förderprogramm zum Thema „Jugend-Musiktheater“ auf die Schiene gesetzt, das mit Mitteln des Bundesfamilienministeriums großzügig gefördert wird. Hier können junge Darsteller oder solche, die es werden wollen, junge Musiker, Schüler und Studenten Erfahrungen auf allen Gebieten des Musiktheaters sammeln. Das reicht von der Erarbeitung einer Produktion über die Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit bis zu Fragen und Berufen der Technik. Die Ausbildung erfolgt durch erfahrene Theaterpädagogen, Regisseure, Dirigenten, Bühnen- und Kostümbildner, Lichtdesigner und Theatertechniker. Die kommen zu einem Gutteil von der Kammeroper. Neben vorlaufenden Workshops sollen während der Kammeropernsaison 2021 die ersten Arbeitsergebnisse in Form einer eigenständigen Produktion vorgestellt und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Gedacht ist daran, die 3 Opéra minutes von Darius Milhaud auf die Bühne des Schlosstheaters zu bringen.

nmz:  Wie sieht der Ausblick auf das Jahr 2022 aus, in dem voraussichtlich der Theaterbetrieb ohne Störungen durchgeführt werden kann?

Quander: Zu den Programminhalten 2022 möchte ich im Moment noch nicht viel Konkretes sagen. Aber natürlich gibt es schon entsprechende Planungen. Wenn es gelingt, die Pandemie so weit zu neutralisieren, dass im kommenden Jahr ein normaler Spielbetrieb möglich ist, so wollen wir auf alle Fälle wieder die Osterfestspiele aufnehmen und auch das Format der Weihnachtsoper beibehalten. Für die Kammeroper sehe ich wieder eine große Spieloper im Heckentheater und ein klassisches Stück, evtl. eine Mozartoper entweder im Schlosshof oder vor dem Kavaliershaus. Darüber hinaus würde ich gern auch die von Frank Matthus begonnene Tradition mit einer Uraufführung im Festspielprogramm wieder aufnehmen. Und natürlich steht die Fortsetzung des Jugend-Musiktheaterprojektes an. Auch für die Musikakademie planen wir eine Reihe von neuen Akzenten und Angeboten insbesondere im Bereich der zeitgenössischen Musik und der informierten Aufführungspraxis.

Das Gespräch mit Prof. Quander führte Adelheid Krause-Pichler

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