München. „Piano Spots“ darf in zweierlei Hinsicht als Neustart angesehen werden: Zum einen endet damit am 13. September 2020 die Corona-Pause von Tonkünstler München e.V. als Konzertveranstalter; zum anderen öffnet der Rubinstein-Saal in der Landsberger Straße hiermit wieder seine Pforten, grundsaniert und unter neuer Flagge, nun betrieben durch die Tonkünstler.
Allein das Programm des eintägigen Festivals aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Insgesamt 15 Pianist*innen gaben sich die (desinfizierte) Klinke in die Hand, spielten Werke von insgesamt 26 Komponist*innen. Die einzelnen Spots verteilten sich von 11 bis 19:30 Uhr in dichter Abfolge mit kurzen Pausen zum Lüften, jeder Musiker durfte etwa 20 Minuten spielen. Besonders geglückt erschien mir, dass wie ganz selbstverständlich auch die Jazzimprovisation als fester Bestandteil des Kanons zeitgenössischer Musik nicht fehlte, heute vertreten durch Stephan Weiser mit Improvisationen über Irving Berlin und über ein eigenes Thema sowie durch Tizian Jost mit einem Programm rein aus eigenen Songs.
Die meisten Pianist*innen blieben in ihren Darbietungen auf den Tasten verwurzelt, lediglich Brigitte Helbig führte uns mit ihrem Programm in die Sphären reiner Geräuschmusik. Voller Verständnis für diese Art von Musik, lauschend und mit makelloser Meisterschaft sämtlicher neuartiger Techniken spielte sie eine Uraufführung von Harald Lillmeyer, die auf die Darmstädter Schule verweist, und Werke von Isabel Mundry und Henrik Ajax, von letzterem wieder nur auf statt hinter den Tasten. Auch Aylin Aykan nutzte in einer eigenen Komposition den Klangkörper des Flügels für modifizierte Töne, allerdings auf vollständig andere Weise: Sie imitierte unter anderem durch Abdämpfen und Zupfen der Saiten Instrumente ihres Heimatlandes, der Türkei, projiziert so ein ganzes Ensemble auf das Klavier und haucht den Orient in den Münchner Konzertsaal.
Auf der anderen Seite der Moderne beeindrucken die Komponisten, die Musik alter Meister aufgreifen und auf ihre Weise eigen weiterführen. In anmutiger Grazie von vollendet feinfühligem Anschlag präsentiert uns Sylvia Hewig-Tröscher Hommagen an
C. P. E. Bach, Mozart und Gluck. Max Beckschäfer grüßt den Bach-Sohn durch sechs Stücke, die eine lupenreine Symbiose zwischen alt und neu entstehen lassen, unprätentiös und gerade in ihrer scheinbaren Schlichtheit tiefgründig; Enjott Schneider schrieb charmant-witzige Variationen im Mozart-Stil über den Folk-Song „House of the rising sun“; und Wilfried Hiller nähert sich Gluck durch seine Eurydíke-Szene, für seine Verhältnisse erstaunlich virtuos.
Minas Borboudakis spielt ebenfalls Hiller, drei vollends entschlackte Miniaturen aus dem „Buch der Sterne“, an Purität nicht zu überbieten. Als Pianist bringt Borboudakis die Luft spürbar zum Zittern, als Komponist offenbart er ein Gespür für formale Zusammenhänge in vordergründig losen zyklischen Formen. Dies zeigt sich gerade auch durch das sichtbar wie hörbar elastisch-flexible und so plastisch formende Spiel von Andreas Skouras, der die Sechs Gedanken vorträgt.
In bayerischer Gemütlichkeit und parallel erfüllt von Ernsthaftigkeit hören wir Rudi Spring als reflektierten Pianisten und eigenständigen Komponisten. Sein zerrissenes, herb kontrastierendes Faust-Fragment in einer 35 Jahre nach der Komposition geschriebenen Neufassung spielt er selbst, die wankelmütigen Bagatellen übernimmt Taisiia Boiko, die im Anschluss mit zwei Tänzen von Vladimir Genin rockenden Groove in den Saal bringt. Pianistisch verzaubert nicht zuletzt der Eröffnungsakt von Henri Bonamy, leidenschaftlich wie gewissenhaft spielt er Schachtner und Eggert.
Als Erkenntnis des Tages bleibt zusammenzufassen, wie unfassbar vielseitig die Klaviermusik unserer Zeit ist. Sie reicht von beinahe tonalen Werken mit starkem Bezug zur Tradition bis hin zu rein geräuschorientierter Musik, bündelt verschiedene Einflüsse und bringt einmalige Personalstile hervor.