Die finanzielle Situation der freien Lehrkräfte an Musikschulen ist prekär, leben die meisten von ihnen doch vom Existenzminimum. Kalte Inflation einerseits, und andererseits lange Jahre ausgebliebene Kompensationen bei den Honorarhöhen haben im weiten Branchenfeld desaströse Wirkung hinterlassen. Altersarmut ist den meisten freien Musikpädagogen an Musikschulen garantiert. Zunehmend gerät dies allerdings auch in den Fokus der politischen Wahrnehmung: Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Landesregierung NRW findet sich dieses so formuliert: „Viele Musikschulen in unserem Land werden mit einem zu hohen Anteil an nicht festangestellten Lehrkräften betrieben. Wir finden Wege, die personelle Situation an den Musikschulen zu verbessern.“
Doch wie könnte die personelle Situation an Musikschulen konkret verbessert werden? Was leisten Musikschulen, das freie Musikpädagogen nicht leisten können? Finden beide vergleichbaren Betätigungsfelder unter vergleichbaren Rahmenbedingungen, etwa mit Blick auf die öffentliche Förderung statt? Diese Fragen waren Kern des Thementages, den der DTKV am 10. November 2017 in Essen veranstaltete. Die DTKV-NRW-Vorsitzende Cornelia Sokoll hieß die renommierten Referenten, Arbeitsrechtler Dirk Vogelsang, Jurist Henning Vogelsang und den Sprecher der Honorarkräfte im Bundesverband der Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di, Christoph Berndt, herzlich willkommen. Antje Valentin, Direktorin der Landesmusikakademie NRW, moderierte die rund achtstündige Veranstaltung eloquent und souverän.
Gleiche Chancen für alle?
Der Geschäftsführer des DTKV Sachsen, Christian Scheibler, skizzierte Verhandlungsstrategien für Honoraruntergrenzen. „Immer dann, wenn Politiker in Parteien oder Dachverbänden Regelungen für Dritte, die Wirtschaft oder für Fördermittelempfänger einführen, müssen diese Regelungen auch für das Dezernat oder Amt vor Ort gelten. Man kann nicht die Wirtschaft auf Mindestlöhne für gering Qualifizierte verpflichten oder die Einhaltung angemessener Honorare für Projektmitarbeiter und Kreative bei der Bewilligung von Fördermitteln fordern, aber im eigenen Kulturamt die in Honorarverträgen beschäftigten Musikpädagogen mit Almosen abspeisen.“
Häufig seien auch Vertragsgegenstände zwischen Musikschulen und Eltern beziehungsweise Schülern nicht durch entsprechende Vereinbarungen zwischen Musikschulen und Lehrkräften transparent. „Die Frage einer strafrechtlichen Relevanz steht dann im Raum, wenn einerseits eine Leistung systematisch vielen tausenden Eltern zugesichert wird, von der man andererseits genau weiß, dass sie in Folge der Zwei-Klassen-Personalsituation gar nicht erbracht werden kann und darf. Ebenso problematisch ist der verfassungsfremde Ausschluss von weit mehr als zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen aus dem System der staatlich finanzieren Förderung., wenn diese – oft sogar höherwertiger als im zeitlich eng begrenzten Mengenbetrieb der Musikschulen – durch andere, subsidiäre Anbieter ihre musikalische Ausbildung erhalten.
Dem ist zumindest einiges abzugewinnen, denn der Marktanteil der privat unterrichteten Schüler liegt im Schnitt bei 20 Prozent (vgl. Dartsch, Michael: „Ausserschulische Musikerziehung in Deutschland“, erreichbar über die Webseite des MIZ).
Damit werden nicht nur unzählige Kinder und Jugendliche um ihre gleichwertigen Förderchancen betrogen, sondern auch systematisch deren Eltern als Vertragspartner regelrecht und vorsätzlich betrogen.“ Dezidiert wandte sich Scheibler gegen den vom Bundesverband ohne Beteiligung der Landesverbände eingeführten Honorarrahmenvertrag.
Gleiches Geld für gleiche Arbeit?
Christoph Berndt referierte über Ungerechtigkeiten bei Honorarhöhen, Arbeitszeiten und sozialen Absicherungen für die gleiche Arbeit bei angestellten und freien Mitarbeitern. Anhand seiner auch schon für eine während des NRW-Landtagswahlkampfes im Frühjahr in Münster stattgefundenen Podiumsdiskussion verwendeten Dia-Präsentation erläuterte Berndt an zahlreichen Beispielen einerseits eklatante Missstände und andererseits gewerkschaftliche Positionen und diesbezügliche Forderungen. Tarifverträge, oder zumindest arbeitnehmerähnliche Beschäftigungsverhältnisse seien der beste Schutz vor Dumping, Altersarmut und Ausnutzung. Henning Vogelsang referierte zu den arbeits- und sozialrechtlichen Sachständen bei den jeweiligen Gerichtsbarkeiten. So seien freie Beschäftigungen an Musikschulen durchaus mit dem geltenden Arbeitsrecht vereinbar, wenngleich eine Vielzahl von noch offenen Fragen bestünden. Dirk Vogelsang betonte, das viel beachtete „Ahaus-Urteil“ des Landessozialgerichtes in NRW, das der gesamten Musikschulbranche praktisch grundsätzliche Sozialversicherungspflicht vorschreibt, sei zwar bei relevanten Prüfungen derzeit Grundlage, ob diese jedoch auch zukünftig Bestand habe, müsse die „wegen der grundsätzlichen Bedeutung“ zugelassene Revision erst noch zeigen. „Juristische Strategien sind nur eine Option unter vielen.“ Aus Erfahrungen weiß Vogelsang, der unter anderem zu den Gründern mehrerer Gewerkschaften u. a. in der Flugbranche zählt, dass durch unter den jeweiligen Verbänden verabredete Interessenkoalitionen mit klug vernetzten Kampagnen in ähnlichen Fällen erheblich mehr erreicht worden ist, als durch Verfolgung partikularer Strategien. Dezidiert und pointiert skizzierte Vogelsang VdM, BdfM, DTKV, ver.di und die potentiellen Interessen der freien Musikpädagogen, bei denen er große Schnittmengen wähnt.
Der Tagesordnungspunkt zur Zertifizierung von Musikpädagogen musste aus Zeitgründen auf die nachfolgende Länderkonferenz verschoben werden.
Der Thementag war ein großer Erfolg und die beteiligten Delegierten der Landesverbände haben fundierte Anregungen für ihre Arbeit vor Ort mit nach Hause nehmen können. Allgemein bestand der Wunsch, einen solchen Thementag zukünftig fest zu etablieren.