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Ein Zeichen für die Kammermusik

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Interview mit Monika Henschel, Ulrike Keil und Anne-Sophie Mutter
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Ende September fand der „Tag des Streichquartetts“ mit einer Reihe an Benefizkonzerten zu Gunsten derjenigen Kammermusikensembles statt, die von den Konzertausfällen während der Corona-Pandemie besonders hart getroffen wurden. Die Organisatoren waren die Gründerin des Verbands der Streichquartette und weiterer Kammermusik-Ensembles e.V. (VdSQ), Monika Henschel, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Festival4, Ulrike Keil, und Schirmherrin Anne-Sophie Mutter. Oliver Fraenzke interviewte sie für die nmz.

neue musikzeitung: Die Gattung des Streichquartetts ist Ihnen eine besondere Herzensangelegenheit, die Sie aktiv fördern und junge Formationen unterstützen, sich zu entwickeln und zu etablieren. So gründeten Sie den Verband der Streichquartette und weiterer Kammermusik-Ensembles e.V. (VdSQ), den ersten derartigen Zusammenschluss von Kammermusikgruppen überhaupt.

Monika Henschel: Der VdSQ wurde 2012 auf meine Initiative hin gegründet und ist der weltweit erste Verband von Kammermusik-Ensembles. Hier stehen der politische Dialog, das Entwickeln und Konzeptionieren neuer Strukturen und die Unterstützung der hauptberuflichen Kammermusiker*innen, unserer Mitglieder, im Vordergrund. Unser Credo lautet: Hauptberufliche Kammermusik-Ensembles müssen als Einheit an einem Ort grundgesichert werden.

nmz: Sie inkludieren in den VdSQ ja ausdrücklich auch andere Kammermusik-Formationen, dennoch geht es in erster Linie um das Streichquartett.

Henschel: Das Kammermusik-Repertoire stellt das Streichquartett ins Zentrum. Deshalb stellen sich im VdSQ vorwiegend Streichquartett-Ensembles der Verantwortung, gemeinsam für eine blühende und sichere Zukunft einzustehen – zugunsten aller hauptberuflichen Kammermusik-Ensembles. Im Henle Verlag sind mehr als doppelt so viele Werke für Streichquartett verlegt wie Sinfonien. Auf den wenigen Schultern der hauptberuflichen Streichquartett-Ensembles ruht die Hauptverantwortung für das Weitertragen und Weiterentwickeln dieses gewaltigen Erbes. Dass dem Streichquartett eine so zentrale Rolle zufiel, ist wenig überraschend, stellt es doch den Nukleus unserer auf Vierstimmigkeit beruhenden Musik dar.

nmz: Was macht denn die Arbeit in einem Streichquartett so einzigartig? Man sagt ja, es dauert mindestens zehn Jahre, bis ein Streichquartett seinen eigenen Klang gefunden hat: ist das wahr?

Anne-Sophie Mutter: Das Streichquartett verlangt absolute Homogenität des Klanges. Fangen wir gar nicht erst an, über Intonation zu sprechen. Wenn mehrere Streicher ohne Tasteninstrument auf der Bühne stehen, gibt es Probleme. Bei einem Klaviertrio oder -quartett existieren diese nicht dergestalt: einerseits, da sich die Instrumente klanglich leichter abstimmen, andererseits, da die Stimmung des Klaviers eine feste Stütze für die Streicher gibt. Das Verschmelzen der beiden Geigen, Bratsche und Cello zu einem einzigen Instrument verlangt nach einem lebenslangen miteinander Üben, Atmen, Musizieren bis hin zum Gedankenlesen der Mitmusiker. Wie man bei den großen Quartetten sieht, sind das oft unzertrennliche Bande bis hin sogar zu Familienbeziehungen. Wenn einer der vier Musketiere nicht mehr will oder kann, dann bricht eigentlich alles auseinander. Es gibt keine andere Konstellation, in der das Wegfallen eines Astes das Gesamtbild derart zerstört.

nmz: Während der VdSQ ja bereits vor Beginn der Corona-Pandemie gegründet wurde als langfristiges Fördervereins-Projekt, so zwang die aktuelle Situation zu schnellem Handeln. Daraus erwuchs das Festival4, welches mit dem „Tag des Streichquartetts“ (der auf ein ganzes Wochenende expandierte) in ganz Bayern eine Vielzahl an Benefizkonzerten veranstaltete zuguns­ten in Not geratener Streichquartette.

Ulrike Keil: Die Idee zur Gründung eines Fördervereins war noch vor Corona geboren: Der VdSQ als Berufsverband braucht für Sponsoring, Akquise und Organisation einen unterstützenden Verein. Doch die eigentliche Gründungsarbeit fiel in die ersten Monate von Corona, was die Sache von Seiten der Behörden nicht einfacher machte. Dennoch wollten wir unbedingt noch in diesem Jahr mit einem ersten großen Projekt an die Öffentlichkeit treten, das die Probleme der hauptberuflichen Ensembles in der Corona-Krise beleuchtet, sie im Bedarfsfall unterstützt und mit Auftritten den Ensembles und dem Publikum wieder Hoffnungsschimmer gibt. Die Vernetzung der Ensembles war durch den VdSQ gegeben, die Rotarier und Festival4 sorgten für die Logistik und Organisation.

nmz: Wie konnten die Ensembles es sich überhaupt „leisten“, Benefizveranstaltungen zu organisieren, während Sie selbst genau zu der betroffenen Gruppe gehören und um die eigene Existenz ringen müssen angesichts des unsteten Fortgangs der Pandemie?

Henschel: Die freien hauptberuflichen Ensembles sind unterschiedlich hart von den harschen Einschränkungen der Kultur betroffen. Manche standen von jetzt auf gleich vor dem Nichts und haben bereits seit Monaten kein Einkommen mehr, andere haben immer noch etliche Projekte gespielt, wieder andere sogar mehr hinzubekommen, weil aus großen Konzertprojekten nun allerorts plötzlich kleine werden. Da aber Ensembles hierzulande leider nicht selbstverständlich über grundsichernde Ensemble-Residenzen geschützt sind, deshalb sofort zerfallen, wenn sich ihre Mitglieder auf der Suche nach Existenzsicherung in alle Winde zerstreuen, war und ist es so wichtig, dass sofort Unterstützung herbeieilt. Am Tag des Streichquartetts haben etliche Ensembles an den Benefizkonzerten teilgenommen, die selbst nicht zu den Härtefällen gehören, wie auch mein eigenes Quartett.

Der Strukturwandel, den die durch die Pandemie ausgelöste Kulturkrise stark beschleunigt, war lange absehbar und hat uns nicht übermäßig überrascht. Deshalb habe ich den VdSQ bereits vor 10 Jahren skizziert und vor 8 Jahren gegründet. Es macht mich sehr glücklich zu sehen, dass der Zusammenhalt der Ensembles gerade jetzt in der Krise so stark ist und so viele Benefizkonzerte stattfinden: Chapeau vor dieser Solidarität unter den Ensembles.

nmz: Der „Tag des Streichquartetts“ wurde erst realisierbar durch die vielseitige Unterstützung der Rotary Clubs, die als Veranstalter fungierten und in bewundernswertem Eilgang in den einzelnen Standorten Säle ausfindig machten, Plakate und Werbung organisierten und sämtliche Hygienevorschriften umsetzten – und das, obgleich sämtliche Veranstaltungen bis zuletzt an seidenem Faden hingen. Wie kam diese Kooperation zustande und brachte solch ein Engagement hervor?

Keil: Zu unserem Glück ist dem Vorstand von Festival4 der Füssener Konzertveranstalter Florian Zwipf-Zaharia beigetreten, der als Rotarier die Hilfsbereitschaft der Rotarischen Clubs des Distrikts 1841 mobilisieren konnte. Es gehört zum rotarischen Ethos, sich für soziale Projekte zu engagieren, häufig haben sie das in Verbindung mit Musik getan. Daher wollten sie jetzt auch den Musiker*innen, die ihre Projekte sonst unterstützen, etwas zurückgeben.

nmz: Wie fühlt es sich nun unter den neuen Gegebenheiten an, zu konzertieren? Hat sich durch den Lockdown die Mentalität der Zuhörer geändert?

Mutter: Ich würde behaupten, dass mehr Intensität im Saal spürbar ist. Insgesamt bemerke ich eine leichte Verzweiflung von beiden Seiten: Vom Künstler, der so gerne wieder mit dem Zuhörer in Dialog treten möchte, und vom Publikum, das ohne Frage oft auch der gefährdeten Altersgruppe angehört. Umso beeindruckender finde ich, dass sie sich die Leidenschaft nicht verkneifen können und ins Konzert gehen.
Henschel: Wir haben im Juli in Dänemark unsere ersten Konzerte nach dem Lockdown gespielt und erlebt, wie Menschen im Publikum tief bewegt von der Musik zu weinen begannen. Sie sagten uns später, dass sie in all den Monaten zuhause viel Musik gehört und darüber fast vergessen hatten, wieviel machtvoller das lebendige Erleben von Musik im Konzert im Vergleich ist. Ich denke, wir alle, die wir das spüren, sind uns heute viel bewusster darüber, dass wir lebendiges Musikerleben so dringend brauchen wie die Luft zum Atmen.

nmz: Was könnte man machen, um die Situation zu entschärfen? Was würde den Musiker*innen helfen?
Keil: Für freischaffende Musike­r*in­nen, die ihre Konzerte selbst organisieren, wären – ganz konkret – mietfreie Konzertsäle während der Corona-Krise sicherlich schon mal eine Perspektive, um überhaupt weiter auftreten und planen zu können ohne übermäßige finanzielle Verbindlichkeiten. Aktuell findet in der Kulturszene kaum Planung statt, und wenn, dann mit tausend Fragezeichen. Weitere Überlegungen betreffen natürlich den Abstand des Publikums. Das österreichische Modell wäre dem hiesigen vorzuziehen, da es wesentlich differenzierter auf die Räumlichkeiten eingeht; ebenso die dortige Sitzanordnung im Schachbrettmuster. Auch die sogenannten „Geisterkarten“, bei denen durch staatliche oder städtische Unterstützung die dem Abstand geschuldeten Ausfälle der Einnahmen übernommen werden, wären eine große Hilfe.

nmz: Was ist Ihre Prognose – wie wird sich die Kultur und die Musikszene in den kommenden Monaten verändern? Wird sich die Kultur erholen oder gar in verbesserter Version wie ein „Phönix aus der Asche“ emporheben?

Henschel: Das vorherzusagen ist unmöglich. Hoffen wir, dass aus der Krise kein irreparabler Kulturschaden wird. Die Krise ist erst einmal nur ein Wendepunkt. Wir sind alle gefordert: jeder einzelne, den richtigen Weg zu wählen. Gelingt uns das, dann wird sicherlich auch Positives daraus entstehen.
Keil: Wir sollten das Publikum nicht außer Acht lassen. Menschen, die jetzt Angst haben, Konzerte zu besuchen, werden es vielleicht auch in ein oder zwei Jahren nicht mehr tun. Menschen, die noch nie Zugang zu klassischer Musik hatten, werden sich später auch nicht mehr dafür interessieren. Musik muss wieder Platz in den Schulen und in den Konzertsälen haben. Nur so können wir eine unserer wertvollsten kulturellen Traditionen an die nächsten Generationen weitergeben.

Mutter: Ich bin froh, nicht das Orakel von Delphi zu sein, denn dann könnte ich nachts noch weniger schlafen. Es hängt von der Länge dieser Krise ab. Schlussendlich kommt es darauf an, wie flexibel es der Politik gelingen möge, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten unter Einhaltung der notwendigen Hygienemaßnahmen, aber mit Bedacht auf die unterschiedlichen Volumina der Spielstätten. Wir können keinen Shutdown mehr überleben! Ich hoffe immer noch, dass wir mit der allmählichen und in Österreich so fabelhaft vorgeführten Rückkehr zum Spielbetrieb in der neuen Saison ein Minimum an Normalität schaffen können. Das soll den Zuhörern über diese schwierige Zeit hinweghelfen und natürlich nicht zuletzt den Musikern ermöglichen, weiterhin künstlerisch wie auch seelisch am Leben zu bleiben für den Moment, wo die Krise überstanden ist und wir die Musik wieder im vollen Umfang genießen können.

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