Im November 2021 nahm die neu gegründete Strukturkommission des Deutschen Tonkünstlerverbandes ihre Arbeit auf. Wir sprachen mit dem Sprecher der Kommission, Hans Wilhelm Kaufmann (DTKV Bremen) vor der Sommerpause über den Stand der Dinge.
neue musikzeitung: Wenn Sie heute ein Resümee oder eine Art Zwischenfazit der Arbeit der Strukturkommission ziehen sollten, wie fiele das aus?
Hans Wilhelm Kaufmann: Wir haben die insgesamt sechs Sitzungen genutzt, um herauszukristallisieren, was die Aufgaben der Strukturkommission sind. Das hat eine Weile gedauert. Ich denke da zum Beispiel konkret an die Frage der GEMA, die jetzt eine bundesweite Mitgliederliste von uns verlangt. Aber nun sind wir allmählich an manche Kernfrage herangekommen, was die zukünftige Struktur des DTKV betrifft. Mit jeder Sitzung haben wir uns weiter an die Kernprobleme herangearbeitet.
nmz: Was sind diese Kernfragen, auf die die Kommission gestoßen ist?
Kaufmann: Es gibt ein Dilemma beim DTKV, das glaube ich stärker ist als in anderen vergleichbaren Verbänden; nämlich, dass wir eine sehr unterschiedliche Struktur in den Landesverbänden haben. Der kleinste Landesverband, das ist Brandenburg, hat 36 Mitglieder, der größte, das ist Bayern, fast 3.000 Mitglieder (jeweils Stand 2021). Das macht die Sache sehr schwierig. Baden-Württemberg und Bayern vereinen zusammen über 57 Prozent aller DTKV-Mitglieder. Wie kann man da Entscheidungen fällen? Streng genommen könnten die kleineren Landesverbände eigentlich sagen, was soll’s, wir lassen die beiden entscheiden, die haben sowieso die Mehrheit. Aber das kann natürlich nicht die Grundlage eines Bundesverbandes sein. Insofern ist dies eine Kernfrage: Wie können wir die Entscheidungsprozesse so gestalten, dass alle Landesverbände sie mittragen können?
Ein weiteres Dilemma ist, dass die Landesverbände den Bundesverband gegründet haben – und nicht umgekehrt. Das macht die Sache insofern schwierig, als dass jeder Landesverband natürlich auch seine Tradition hat und ungern Kompetenzen an den Bundesverband abgibt. Das kann ich auf der einen Seite verstehen, aber es erschwert die Arbeit im Bundesverband. Es gibt zwar das Bedürfnis, das zu ändern, aber schon die Frage der Mitgliederverwaltung gestaltet sich schwierig. Bei den meisten Bundesverbänden, etwa beim Deutschen Orchesterverband, ist es so, dass man sich beim Bundesverband anmeldet, und der teilt die Anmeldung dann einem Landesverband zu. Bei uns ist es umgekehrt, das macht die Sache nicht einfacher. Das sind die beiden Hauptdilemmas.
Und ein drittes Dilemma ist, dass, wenn wir wirklich versuchen wollten, diese sehr ungleiche Mitgliederstruktur abzubilden, eigentlich pro 36 Mitgliedern ein Delegierter gestellt werden müsste, was zur Folge hätte, dass wir eine Bundesdelegiertenversammlung von gut 300 Personen bekämen. Das können wir weder personell schaffen noch finanziell. Deswegen müssten wir auf jeden Fall die Bundesdelegiertenversammlung verkleinern oder eine ganz andere Entscheidungsstruktur entwickeln. Ich denke, wir können das lösen, wenn wir alle Landesverbände mitnehmen und auch alle Landesverbände sich in diese Diskussion einbringen, und wir dann zu mindestens einem, vielleicht auch zu mehreren Lösungsvorschlägen kommen, die dann auf einer Bundesdelegiertenversammlung diskutiert werden.
Konsens oder Diskussionsbedarf?
nmz: Wann ist damit zu rechnen, dass erste Vorschläge auf dem Tisch liegen? Und gehen Sie davon aus, dass es auf einen einfachen Konsens hinauslaufen wird, oder dass es doch viel Diskussionsbedarf geben wird?
Kaufmann: Unsere Aufgabe ist es laut Beschluss der letzten Bundesdelegiertenversammlung, dass wir bis zur Sitzung 2023 ein Ergebnis präsentieren, Ich habe berechtigte Hoffnung, dass wir das schaffen. Es gibt ein Papier von Prof. Hans-Peter Stenzl, in dem er zum Beispiel vorschlägt, dass es gar keine Bundesdelegiertenversammlung mehr gibt, sondern ein Bundesgremium, das sich aus je einem Vertreter aus den 16 Landesverbänden zusammensetzt. Dort würden alle Themen behandelt, die die Landesverbände gleichermaßen betreffen. Zum Beispiel alle bundespolitischen Themen wie GEMA, Umsatzsteuer, den Status der DTKV-Mitglieder als Bildungseinrichtung – solche Fragen werden auf der Bundesebene diskutiert, weil alle Landesverbände gleichermaßen betroffen sind. Deshalb folgt es einer gewissen Logik, dass dort jeder Landesverband eine Stimme hat. Demgegenüber gibt es aber auch andere Themen, etwa die Wahl des Bundespräsidiums, den Haushaltsplan oder die Rechnungsprüfung, die vom Gesamtverband entschieden werden müssen. Dort macht es Sinn, dass die Landesverbände analog zu ihren jeweiligen Mitgliederstärken zur Geltung kommen.
Der Stand der Dinge
nmz: Sind Sie mit dem Stand der Dinge zufrieden? Auch mit der Beteiligung der Landesverbände? Gehen Sie also zuversichtlich in die Sommerpause?
Kaufmann: Mit der Zusammenarbeit in der Satzungskommission bin ich sehr zufrieden, ich bezeichne sie gern als kontrovers-konstruktiv. Wir führen eine sehr sachliche Diskussion, die die verschiedenen Interessen der Landesverbände berücksichtigt und gelten lässt. Was ich mir noch mehr wünsche, ist die Beteiligung der Länder. Ich habe von Anfang an großen Wert darauf gelegt, dass die Strukturkommission sehr transparent und offen arbeitet. Deshalb habe ich alle Protokolle und Fragestellungen sofort auch an alle Landesverbände weitergeleitet. Eine Frage etwa bezog sich auf die Alternativen Gremium oder Bundesdelegiertenver-sammlung. Da bekomme ich zu wenig Resonanz. Dass in der Regel von 16 Landesverbänden nur ein oder zwei antworten, das ist zu wenig. Wir brauchen von allen Landesverbänden Feedback, um die Stimmung einschätzen zu können und zu sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Es ist nicht immer einfach zu antworten, aber notwendig. Aber ich habe in dieser Frage Langmut. Ich sehe die Aufgabe der Kommission nicht darin, ein abstimmungsfähiges Paket abzuliefern. Es kann auch zwei Lösungen geben. Zum Beispiel, bleiben wir bei der bisherigen Struktur und ändern nur Kleinigkeiten in der Bundesdelegiertenversammlung? Da gab es in der letzten Bundesdelegiertenversammlung im März in Mannheim ja schon Vorschläge, die dann in die zu gründende Strukturkommission vertagt wurden. Ich denke da an einen Vorschlag aus Bremen, dass wir nicht mehr mit einfacher Mehrheit entscheiden, sondern eine Entschlussfähigkeit zum Beispiel auf 60 Prozent hochsetzen. Dann wären die beiden großen Landesverbände sozusagen gezwungen, sich weitere Verbündete zu suchen und einen Konsens herzustellen. Eine andere Möglichkeit wäre zum Beispiel, das „Stenzl-Papier“ so weit auszuformulieren, dass dies die neue Struktur des DTKV sein könnte. Dann hätten wir zwei verschiedene Lösungen. Wir sind aber nicht das Entscheidungsgremium. Das Entscheidungsgremium ist und bleibt natürlich die Bundesdelegiertenversammlung.
nmz: Ich habe den Eindruck, jeder Landesverband müsste wohl eine Kuh schlachten, wenn es vorwärts gehen soll.
Kaufmann: Ja. Das ist richtig. Wir werden einen Sprung machen müssen über einen gewissen Graben hinweg. Manche sind mutig, manche sind vorsichtig. Das kann ich auch gut verstehen. Deshalb ist für mich diese transparente Diskussion sehr wichtig. Wir müssen Geduld haben, bis sich die anderen Landesverbände auch noch einmal dazu geäußert haben, damit es weitergehen kann.
nmz: Nun erscheint, was die Entscheidungsgeschwindigkeit angeht, ein Bundesverband mit einem 16-köpfigen Gremium auf den ersten Blick erstmal flexibler als eine große Bundesdelegiertenversammlung …
Kaufmann: Das sehe ich auch so, aber daraus folgt eine weitere Frage: Wie kann das Bundespräsidium mit den Mitgliedern kommunizieren? Wie informiert er sie über die neuesten Entwicklungen in den bundespolitischen Diskussionen? Da sind wir bei der Frage der Mitgliederverwaltung. Bayern hat uns kürzlich geschrieben, dass der Landesverband ein hochprofessionelles und sehr teures Digitalverar-beitungssystem für seine Mitgliederbetreuung hat. Wir hatten nämlich überlegt, wie man die Mitgliederverwaltung für alle Landesverbände gleich ausrichten kann, um einen Überblick zu bekommen. Dabei kam heraus, dass die Verwaltungssysteme der verschiedenen Landesverbände untereinander überhaupt nicht kompatibel sind. Das kennen wir in unserem förderalen Staat ja auch in vielen anderen Bereichen. Wir haben oft das Problem, dass die Länder ihre Länderhoheit und die damit einhergehende Selbstständigkeit entweder nicht gerne abgeben wollen oder nicht abgeben können, weil die Verwaltungen untereinander nicht kompatibel sind. Allein der politische Wille reicht da nicht. Es gibt immer technische Fragen, die auch behandelt werden müssen. Das ist kein leichtes Thema. Da werden wir sicherlich noch eine ganz Weile dran zu arbeiten haben.
Bundesverband bleiben
nmz: Erscheint es Ihnen manchmal einfacher, einen neuen Verband zu gründen?
Kaufmann: Eine solche Entwicklung würde ich für katastrophal halten. Wir waren ja auf der letzten Bundesdelegiertenversammlung aufgrund verschiedener Streitereien kurz davor. Aber damit schwächen wir uns nur. Wir müssen ein Bundesverband bleiben und wir müssen unsere fast 10.000 Mitglieder – das ist immerhin eine Hausnummer – mitnehmen. Deshalb sucht die Strukturkommission nach einer Lösung, die es uns ermöglicht, auf der bestehenden Ebene weiterzuarbeiten. Deshalb finde ich das Papier von Herrn Prof. Stenzl interessant. Aber da gibt es noch Vorbehalte aus den größeren Landesverbänden. Ich denke, bei den Bundesfragen könnte man hier eine Lösung finden. Aber wir müssen alle mitnehmen.
nmz: Was hat Sie persönlich motiviert, die Aufgabe des Sprechers der Kommission zu übernehmen?
Kaufmann: Ich bin ein bisschen dazu überrumpelt worden. Als es auf der letzten Bundesdelegiertenversammlung den Beschluss gab, die Kommission zu gründen, hat das Präsidium als Organisator darum gebeten, dass jemand aus der Kommission den Hut aufhaben muss, damit das Ganze in die Gänge kommt. Heike Michaelis als Ländersprecherin ist dann auf die Idee gekommen, mich anzurufen. Und ich habe nicht nein gesagt. Ich finde die Aufgabe, einen solchen Verband wie den DTKV grundsätzlich neu zu organisieren und ihm eine Struktur zu geben, die sowohl demokratisch als auch effizient ist, sehr reizvoll. Ich habe mich dazu auch deshalb bereit erklärt, weil ich relativ frisch in dieser Diskussion und nicht vorbelastet bin durch die Streitereien, die uns in den vergangenen zwei, drei Bundesdelegiertenver-sammlungen ausgebremst haben. Ich war also eine frische, um nicht zu sagen unbekümmerte Kraft, die sich neu einbringen konnte, und ich denke, es ist auch sehr wichtig, dass in solchen Diskussionen die beteiligten Personen irgendwann ausgetauscht werden, um aus der Verkrampfung gegensätzlicher Positionen herauszukommen. Denn mit zunehmender Dauer werden diese Diskussionen immer persönlicher und man kann sich nicht mehr um die Sachfragen kümmern. Und wenn dann frische Kräfte kommen, die persönliche Animositäten nicht kennen, dann kommt man wieder vorwärts. Deshalb dachte ich, solange ich mich persönlich nicht angegriffen fühle und mit niemandem über Kreuz liege, so lange kann ich diesen Job auf jeden Fall gut machen.
Das Interview führte Stephanie Schiller
Hans Wilhelm Kaufmann ist Gitarrist und Dirigent und unterrichtete 35 Jahre an der Hochschule für Künste Gitarre und Fachdidaktik Gitarre. Seit fast 40 Jahren unterrichtet er eine Privatklasse für Gitarre und ist genauso lang Mitglied im DTKV. Seit 2021 ist er Delegierter seines Landesverbandes Bremen für die Bundesdelegierten-Versammlung und hat den Landesverband auch in der Länderkonferenz vertreten. Im November 2021 wurde er in die neu gegründete Strukturkommission des DTKV und auf der konstituierenden Sitzung als ihr Sprecher gewählt.