Musikalische Einfachheit trifft künstlerischen Anspruch: Ein Klavierzyklus eines Münchner Komponisten, der gekonnt musikalische Bildhaftigkeit mit romantisierenden Klängen in der Kompositionsweise der Moderne vereint.
Einfachheit trifft künstlerischen Anspruch
Oliver Fraenzke ist Musikwissenschaftler, Autor, Redakteur, Pianist und Musikpädagoge. Ein musikalischer Tausendsassa, der nicht zuletzt durch das Interesse an „zu Unrecht unbekannter Musik“, wie er es selbst bezeichnet, 2017 eine eigene Notenedition „Beyond the Waves“ initiierte, bei der über 500 Werke veröffentlicht wurden. Darunter auch sein eigener Klavierzyklus „Prologe. Zehn Stücke für Klavier“ aus dem Jahr 2022.
Die Komposition beinhaltet kurze Charakterstücke, die sowohl als fortgeschrittene Schülerlektüre als auch im Konzertrepertoire einsetzbar sein sollen. In den „Prologen“ werden verschiedene Klaviertechniken, Taktarten, Stile und Harmonien erkundet, bei denen aber „stets die Musik an erster Stelle stehe“, erläutert der Komponist.
Das erste Stück des Zyklus trägt den Namen „Pusteblume“. Dass Fraenzke leidenschaftlicher Musikpädagoge ist, lässt sich auch an den Widmungen für seine Schüler erkennen. Er kombiniert gekonnt pädagogische Leidenschaft mit künstlerischer Praxis. In bildlicher Leichtigkeit einer Pusteblume bewegen sich Sechzehntelketten in der rechten Hand durchgehend fort. Das gleichmäßige Legato gepaart mit einer ruhenden Fermate lassen den verwandelten Löwenzahn im Wind hin und her wiegen. Spielerische Exaktheit wird hier vor allem durch die unterschiedlichen Akzentuierungen in beiden Händen verlangt, wodurch sanfte Melodien entstehen.
Das zweite Stück kombiniert den Stil der Etüde und der Fantasie miteinander, zwei eigentlich eher gegensätzliche Richtungen. Die rhythmische Exaktheit einer Etüde wird durch das fortlaufende Rubato der „Etude-Fantaisie“ aufgehoben und so zu einer Art freien Fantasie umgewandelt. Der „Übungscharakter“ einer Etüde ist weiterhin durch die auskomponierten Verzierungen, glissandoartigen Tonleitern und Vorschläge erkennbar, erhält aber eine gewisse Leichtigkeit durch den freien Vortrag.
„Schweigen“ wird durchzogen von einem „durchgehenden Pochen des rechten Daumens, dem anatomisch stärksten Finger der Hand“, erklärt Fraenzke. Das Stück pulsiert, darüber erheben sich herbe Harmonien in rhythmischer Einfachheit trotz stetiger Asymmetrie. Einen ähnlichen Charakter bei gänzlich anderem Stil weist der Satz „Wandernde Gedanken“ auf. Die melodiöse Gestaltung der rechten Hand fließt über stetig fortlaufende Viertel-Akkordbrechungen. Rhythmuswechsel, der eher ungewöhnliche 5/4-Takt und kleinere harmonische Ausschweifungen lassen den Stil des 20. Jahrhunderts erkennen, sind aber so komponiert, dass sie der romantisierenden Melodie der rechten Hand unterworfen sind und dadurch das ewige Schwelgen nicht stören.
Darauf folgen zwei Übungen: „Melodie – für linke Hand allein“, das einhändige Polyphonie fördert, dabei an die Ruhe des vorherigen Satzes anknüpft, und „Caprice quasi Violino – für rechte Hand allein“, mit seiner Kombination aus scherzhaften Sechzehntelläufen und einem kantablen Mittelteil. Wie der Titel „quasi Violino“ der Caprice schon erkennen lässt, soll der Klang der Violine nachempfunden werden. „Anna Kakutia war von der Caprice so angetan, dass sie gleich den Auftrag für einen ganzen Zyklus gab; so findet sich diese im Titelstück ‚Es war einmal…‘ des Geigenzyklus ‚Märchenbilder‘ wieder“, erklärt der Komponist. Das wohl emotional intensivste Stück im Klavierzyklus ist „Lukas. Musikalische Botschaft an einen Engel“. Ein kurzes Requiem an ein verstorbenes Kind, dessen Seele voller Erwartung und Trauer durch die Musik dargestellt wird. Simple Akkorde und ein hoffnungsvoller Mittelteil enden in einem Leerklang, der den Verlust auch kompositorisch vor Augen führt. Das Gegenstück Fraenzkes zu „Schweigen“ ist der Satz „Geschwätz“. Ein lustig hüpfender Rhythmus der linken Hand, bestehend aus lediglich zwei Tönen, trägt das fröhliche Geplapper der rechten Hand, das sich beständig steigert und dann im abrupten Abbruch ein Ende findet.
Das vorletzte Stück „Volkstanz“ ist der Kompositionsweise des norwegischen Symphonikers Harald Sæverud nachempfunden, der repetierende Noten oder auf- oder absteigende Linien mit einer darüber laufenden, simplen Melodie kombinierte und dadurch die Unbekümmertheit einer Volksweise neu empfand. Ganz im Stil seines Vorbilds gelingt es Oliver Fraenzke, diesen Stil nachzugestalten und dennoch ein ganz eigenes Werk mit Witz und molarer Farbigkeit zu schaffen.
Vervollständigt wird der Zyklus durch „Abendregen“, das wohl „experimentellste Stück der ‚Prologe‘“, wie der Komponist beschreibt. Das harmonisch weit schweifende Stück wird durchzogen von leichtem Tröpfeln oder Prasseln, das ein schräges und doch versöhnlich abrundendes Ende beschert.
In aller stilistischer Verschiedenheit ein gelungenes Werk, das sich universell für den Unterricht, aber auch in Auszügen oder zyklisch als Konzertlektüre eignet und Lust auf mehr macht.
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