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Einige Gedanken zur Musikrezeption

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Vor einiger Zeit veröffentlichte Moritz Eggert in der nmz einen lesenswerten Artikel zur Rezeption zeitgenössischer Musik, der mich (nicht zum ersten Mal) zum Nachdenken über meine eigenen Erfahrungen mit diesem Thema anregte – Erfahrungen einerseits als Interpret und andererseits als Hörer.

Dabei ist es nicht die wesentliche Frage, ob es sich um sogenannte „Neue Musik“ handelt, sondern ob mich das Werk, um das es geht, anspricht, und wenn ja, auf welche Weise. Das oft gebrachte Argument als Kritik an zeitgenössischer Musik, dass diese zu schwierig für den nicht speziell gebildeten Hörer sei und nur etwas für Spezialisten, mag sicher in vielen Fällen richtig sein, lässt sich aber nicht pauschalisieren und gilt auch für diverse Kompositionen früherer Zeiten; auch die Musik anderer Kulturen wirkt zunächst oft befremdlich, wenn sie unseren Hörgewohnheiten nicht entspricht.

Zudem gibt es zahlreiche Werke, die sich heute beim Konzertpublikum äußerster Beliebtheit erfreuen, aber zur Zeit ihrer Entstehung (als sie „Neue Musik“ waren) vom Publikum zunächst radikal abgelehnt wurden. Man denke zum Beispiel an Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ oder Mahlers Symphonien: heute absolute „Reißer“ im Konzertsaal. Diverse zeitgenössische Beurteilungen der späten Streichquartette Beethovens sind zwar von großem Respekt getragen, weisen aber auch auf das Unverständnis hin, welches diese Musik beim Großteil der Hörer hervorrief. Dass das in diesem speziellen Fall auch heute noch für viele Musikfreunde gilt, sei nur erwähnt.

Unverständnis bei der Uraufführung bzw. bei den Zeitgenossen bedeutet also nicht automatisch, dass diese Musik sich nicht später doch durchsetzen könnte. Umgekehrt bedeutet unmittelbarer Erfolg auch nicht, dass sich ein Werk dauerhaft im Repertoire halten wird; dafür genügt ein Blick in die Aufführungsgeschichte diverser Kompositionen. Otto Nicolai war zum Beispiel zu seinen Lebzeiten als Komponist italienischer Opern ähnlich populär wie Giuseppe Verdi. Heute kennt diese Opern fast niemand mehr, während sich sein deutsches Singspiel „Die lustigen Weiber von Windsor“, dessen Uraufführung alles andere als ein Erfolg war, nach seinem Tode dauerhaft im Repertoire behauptete.

Vereinfacht gesagt sind es im Wesentlichen zwei Bereiche, die die Musik beim Hörer anspricht: Verstand und Gefühl, oder „Kopf und Herz“. Im Idealfall werden beide Kriterien erfüllt, unabhängig davon, wann und für welche Besetzung das Werk entstanden ist. Eine Solo-Sonate von Johann Sebastian Bach kann emotional ebenso bewegen wie eine riesig besetzte Symphonie von Gustav Mahler; intellektuelle Bewunderung für das kompositorische Können wird es auch in beiden Fällen geben.

Aber natürlich ist dieser Idealfall nicht immer die Regel. Zahlreiche Werke werden von echten oder vermeintlichen Musikexperten wegen ihrer kunstvollen Kompositionstechnik hochgeschätzt, treffen aber beim breiten Publikum eher auf Unverständnis. Und andere Werke werden vom durchschnittlichen Opern- und Konzertbesucher geliebt, während die „Fachleute“ die Nase darüber rümpfen.

Im Falle zeitgenössischer Musik gibt es den ersten Fall, also die „Musik für Experten“ sicherlich häufiger, was aber nicht ausschließen muss, dass Werke dabei sind, die sich auf Dauer behaupten und in Zukunft vom breiteren Publikum geschätzt werden. Dies gilt nicht nur für die sogenannte klassische Musik, sondern ebenso im Bereich von Jazz und Pop, wobei die Grenzen mittlerweile fließend sind.

Ganz entscheidend sind unsere Hörgewohnheiten, die (bewusst oder unbewusst) durch die Entwicklung beeinflusst werden. Diese für sich selbst immer wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen halte ich für einen der wichtigsten Faktoren in diesem Zusammenhang: nicht nur mit offenen Augen, sondern auch mit offenen Ohren durch die Welt gehen. Dann wird man Enttäuschungen erleben, aber auch immer wieder wunderbare Entdeckungen machen.

In diesem Sinne: bleiben Sie neugierig!

 

 

 

 

 

 

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