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Eins zwei drei, eins zwei drei: ein Walzerprojekt

Untertitel
Pianisten aller Altersgruppen toben über die schwarzweißen Tasten
Publikationsdatum
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Alle zwei Jahre verwandeln sich Braunschweig und das braunschweigische Land für eine Woche zu einer Klavierspielwiese. An unterschiedlichsten Orten toben 150 Pianisten aller Altersgruppen über die schwarzweißen Tasten. Meine Klavierklasse beteiligt sich zum zweiten Mal an dem Festival „Tastentaumel“ und ist diesmal mit einem besonderen Projekt dabei, das sich am besten unter diesem Titel zusammenfassen lässt: „Im Walzertakt auf einem Schimmel dem Frühling entgegen“. Ein Projekt, das nicht nur die Schüler beinahe um den Verstand gebracht hat.

Die Vorbereitungsphase

Ich habe einem Schüler einen kleinen Walzer von Franz Schubert gegeben. Er fragte prompt, ob dieser Schubert mit Olaf Schubert verwandt sei … Wir lachten beide sehr herzlich, denn die Vorstellung von der Verwandtschaft beider Männer, des Komponisten Schubert und des Komödianten Schubert, wäre nur an den wenigen Haarlocken festzumachen. Nun führte aber diese Pointe dazu, dass ich den Walzer als Form in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen mit den Schülerinnen und Schülern ausprobieren wollte, schließlich hat jeder Komponist einen Walzer in seinem OEuvre hinterlassen.

Bald stellte sich aber die Frage, wie begeistert man junge Menschen für eine altmodische Tanzform, die sie gar nicht kennen? Bei manchen 15-Jährigen schien die Tanzschule die Wahrnehmung für Tanz und Rhythmus entwickelt zu haben, aber der Rest?

Bei einigen Schülern gehörte viel Diplomatie und Aufklärungsarbeit dazu, um sie zu überzeugen, dass es sinnvoll sei, an diesem Gemeinschaftsprojekt teilzunehmen. Viele fanden den Dreivierteltakt, dieses „um ta ta, um ta ta“ einfach doof. Andere machten alles brav mit oder äußerten sich belustigt über das Stück: „Walzer komponieren nur Trottel, die keine anderen Hobbys haben“. Mein Ziel war es dennoch, den Schülern nicht nur die Walzer von Brahms, Strauss und Schubert nahezubringen, sondern auch die Komponisten spielen zu lassen, von denen sie nicht mal den Namen kennen. Borodin, Martinu, Sibelius, sogar Scott Joplin gehören zu den großen Unbekannten. Und natürlich sollten die ganz neuen zeitgenössischen Komponisten nicht zu kurz kommen, die ich selbst während der Recherche mit Begeisterung „entdeckt“ habe. In der Vorbereitungsphase hörte ich mir so einiges an: „Warum musst du mein Kind mit Beethoven quälen?“ oder „Jetzt kommt der Akkord der gefühlten 1000 Übungsstunden und ich kann es immer noch nicht“.

Die Übe-Problematik bescherte uns ein riesiges Diskussionsfeld. Gewöhnlich ist immer das Stück schuld, der Komponist, die Tonart, die Fingersätze oder selbst der Titel und nicht der Spieler, wenn es beim Üben nicht klappt. Das eigene Üben wird wenig oder gar nicht in Frage gestellt. Die größte Krise entstand allerdings, als ich drei Wochen vor dem Konzert die Medien einsetzte: Ich nahm jedes Stück mit der Videofunktion meines Telefons auf. Dieses kleine Gerät sollte das Auge und das Ohr des Publikums ersetzen und dem Schüler die Außenperspektive auf das Stück ermöglichen, die Selbstwahrnehmung am Klavier visualisieren: wie hört sich das Stück wirklich an? Eine extrem emotionale Auseinandersetzung mit der eigenen Leistung brachte die nackten Fakten ans Licht. Die Auftrittsangst lähmte das Denkvermögen, Hände wie auf Autopilot, im Gedächtnis Notenchaos. Die Aufregung vor diesem kleinen Hightech- Kasten führte zu unberechenbaren Fehlern, die in dieser Form noch nie vorher aufgetreten waren. Die Tatsache, dass man im Konzert nur eine einzige Chance hat, das Stück zu spielen, nahm den Schülern die letzte Hoffnung auf Erfolg. Eine Sternstunde der Pädagogik gab es aber, als ein Schüler als Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Stück den Augustan Club Waltz von Scott Joplin in seinem Aufbau den „Vier Jahreszeiten“, als vier unterschiedliche Charaktere, zuordnete. Eine fantastische Überlegung, die dem Werkverständnis zugute kam. Für einen anderen war das Zauberwort: Interpretiere das Stück so, als ob das deine eigene Komposition wäre, wo du alles entscheidest. Die enthemmte Art beim Spielen ließ neues Potential beim Schüler zu: ein wahres „Flash-Erlebnis“. In den vier Monaten Vorbereitungszeit gab es viel zu lachen, auch wenn manche an den Stücken verzweifelten: per aspera ad astra, sagte ich motivierend und klärte die Bedeutung des Spruches. Nicht alles klingt, wie die Lieder von Bruno Mars oder Justin Bieber, viele Walzer sind in Moll gehalten. In manchen Fällen half nicht mal die gekürzte Fassung als Übemotivation. Der eine findet ein Stück toll, der andere das gleiche Stück grässlich. Musik ist eben Geschmacksache.

Das Konzert

Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem Klassenvorspiel, bei dem Familie und Freunde zuhören, und einem öffentlichen Auftritt mit fremdem Publikum, das hier vor allem der Walzer wegen kam. Für manche Schüler wurde die Leichtigkeit des Dreivierteltaktes durch das eigene Lampenfieber zu einer emotionalen Herausforderung.

Am Ende entscheidet vielleicht die Tagesform darüber, ob man die zitternden Hände bezwingt oder zur „Rampensau“ wird, die erst durch die Anwesenheit der Zuhörer zu Höchstform aufläuft. Dennoch: das Publikum ließ sich vom Dreivierteltakt verzaubern und der Applaus war herzlich und verdient. Die Füße wippten im Rhythmus mit, die Gesichter strahlten Zufriedenheit aus: ein großartiges Erlebnis für alle!

Fazit

Dieses Projekt hat diverse Erfahrungen mit sich gebracht: die Freude am Zusammenstellen des Programms war immens. Das Reaktionsspektrum oszillierte zwischen „Ist mir egal, klingt wie jedes andere Stück, muss ich es wirklich spielen?“ und der Aussage „Finde ich cool, aber kann man dazu wirklich tanzen?“ Vielen Schülern ist es egal, was sie spielen, es geht um das Spielen an sich. Auch wenn solche Projekte oft mehr Stress bedeuten, werden sie sich noch lange daran erinnern, denn fast alle meine Schüler haben zu diesem wunderbaren Festival Tastentaumel mit ihrer fröhlichen Darbietung zu einer Walzer- Begeisterung im Saal beigetragen. Per aspera ad astra eben, nur mit etwas modifiziertem pädagogischen Ansatz.

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