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Emotional und berührend zugleich

Untertitel
Gloria Coates bei Edition Peters unter Vertrag genommen
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Zu Beginn dieser angekündigten neuen Artikelserie von kurzen Werkbesprechungen möchte ich Ihnen einen absoluten Paukenschlag der jüngeren Geschichte der Symphonie vorstellen und zugleich mein Vorhaben brechen, nur neue und neueste Kompositionen vorstellen zu wollen. Es handelt sich um „Chiaroscuro“ oder auch die 4. Symphonie von Gloria Coates, 1984 komponiert und 1989/90 überarbeitet. Ein Grund für die Auswahl ist die jüngste Ankündigung, dass die Komponistin bei Edition Peters unter Vertrag genommen wurde. Das lässt darauf hoffen, dass Ihnen bald noch weitere Werke der in München lebenden Amerikanerin auffallen werden.

Chiaroscuro“ – ein Begriff, den man vor allem aus der Malerei kennen dürfte, bezeichnet die Beschäftigung mit der Hell-Dunkel-Thematik. Dieses Prinzip lässt Coates in ihrer 4. Symphonie durchaus anklingen, doch sind es weniger plakative Analogien wie beispielsweise strenge Kontrastierungen oder ein ausgiebiges gegeneinander Ausspielen von „dunklen“ und „hellen“ Klangfarben, die das Werk ausmachen.

Offenheit dem Hören gegenüber

Sowohl der Werktitel als auch die Satzbezeichnungen „Illumination“, „Mystical Plosives“ und „Dream Sequence“ sollten nicht allzu wörtlich genommen werden und bieten sich daher bes­tens für die eigene, ganz persönliche Interpretation an. Diese Offenheit dem Hörer gegenüber ist ein Markenzeichen von Gloria Coates. Eine vielleicht unerwartete Ausarbeitung der „Chiaroscuro“-Technik, die in diesem Werk auf mich persönlich besonders wirkt, möchte ich Ihnen nun kurz vorstellen. Um Ihnen das erste Hörerleben aber nicht unnötig zu verfälschen, rate ich dazu, das knapp halbstündige Werk erst einmal anzuhören, falls Sie es noch nicht kennen sollten. Dafür bietet sich die cpo-CD von 2013 mit einer Einspielung der Uraufführungsbesetzung von 1990 mit den Stuttgarter Philharmonikern unter Leitung von Wolf-Dieter Hauschild an. Nach diesem vielleicht ersten Hörgenuss dürfte Ihnen neben einem weiteren Markenzeichen von Coates – mehrschichtige Glissandi auf allen Ebenen – vor allem eine doch recht alte Melodie im Kopf umherschwirren. Denn gleich im ers­ten Satz beleuchtet Coates die Klage der Dido aus Henry Purcells „Dido and Aeneas“, was sie auf eine so beeindruckende Weise auskomponiert, dass es mir beim ersten Erleben der Symphonie gleichzeitig eiskalt und heiß über den Rücken lief.

Schaurige Klänge

Die großangelegte Steigerung beginnt mit schaurigen Klängen wie aus dem Untergrund und kündigt die Klage sogar schon an, doch vermag man die verzerrte Melodie noch nicht gleich zu erkennen. Unterlegt mit der Passacaglia aus besagter Klage „When I am laid in earth“ und unzähligen Zitattechniken und Paraphrasierungen bricht das wörtliche Zitat zum dramaturgisch perfekten Zeitpunkt durch. Man könnte es auch so sehen: Der erste Satz zeigt zuerst eine verwaschene, im Dunkeln liegende Melodie, die Coates aus der Perspektive einer Komponistin des ausklingenden 20. Jahrhunderts anstrahlt. So kompliziert und technisch über diese Symphonie gesprochen werden kann, so emotional und berührend ist sie zugleich. Gerade wegen der kompositorischen Komplexität und musikalischen Versiertheit, die zwar die Basis von „Chiaroscuro“ bilden, sich aber zu keinem Zeitpunkt aufdrängen, ist dieses Stück für mich ein absolutes Meisterwerk der jüngeren Musikgeschichte.

 

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