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Entgrenzte Musik

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Das Trio Laccasax spielte in Wandlitz
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„Spiel ohne Grenzen“ hieß eine berühmte Unterhaltungssendung in den sechziger und siebziger Jahren, die wir Kinder bei gutem Benehmen ab und zu bei Tante Else im Nachbarhaus, die schon so einen Wunderapparat hatte, ansehen durften. „Spiel ohne Grenzen“ heißt auch das neue Konzertprogramm, welches vom Berliner Trio Laccasax Anfang September in Wandlitz vorgestellt wurde.

Nach beinahe zwei Jahren konnten wir in unserer Heimatgemeinde wieder ein Konzert besuchen. Unsere Großgemeinde besteht aus neun Ortschaften mit dem Zentrum Wandlitz, leistet sich dankenswerterweise ein Kulturamt, betreibt ein Kulturhaus und bietet seinen Einwohnern und den Gästen, vor allem aus Berlin, ein deutlich interessanteres Kulturangebot als zum Beispiel die Nachbarstadt Oranienburg. Für die immerhin fünftgrößte Stadt Brandenburgs ist die Kultur nämlich nur ein Anhängsel der Tourismus-GmbH, was man dem Programm dann auch deutlich anmerkt. Wandlitz ist also zum Glück ein kulturelles Kleinod geworden.

Die engagierten Betreiber der „Pianowerke“ Bernau, Birgit Ribbe und Ulugbek Palvanov als künstlerischer Leiter und Kurator einer ambitioniertes Kammermusikreihe in Wandlitz, haben seit Februar 2014 hochkarätige in- und ausländische Solisten mit klug ausgewählten Programmen engagieren können. Ihrer Initiative ist es auch zu verdanken, dass seit 2019 ein guter Flügel zur Verfügung steht. Diesmal hatten sie sich zur Eröffnung der neuen Konzertsaison das Berliner Trio Laccasax eingeladen. Das aktuelle Programm des Trios heißt „Spiel ohne Grenzen“ und stellt Stücke aus den CD-Alben „Passe Partout“ und „in Music at Home“ vor, die der Gründer des Trios, Timofey Sattarov zusammen mit seinem Kollegen gutgelaunt und witzig präsentierte.

Ribbe und Palvanov schreiben dazu im Programmheft: „Die Musiker geben ihren Darbietungen den treffenden Begriff ‚Kammerweltmusik‘, das ist eine Definition, die der Klarinettist David Orlowsky eingeführt hat. Damit ist Weltmusik mit kammermusikalischem Anspruch gemeint. Das Trio Laccasax hat sich mit seiner ‚Kammerweltmusik‘ in die Herzen des Publikums gespielt und das wiederholt und immer auf höchstem Niveau. Was sie an musikalischer Kreativität und hochvirtuosem Spiel performen, ist unglaublich: ‚Musik vom Feinsten für Feinhörer‘, wie sie selbst sagen. Die Musiker haben jegliche Genregrenzen von Tango, Klezmer, Jazz, Klassik und Moderne aufgehoben und bieten Weltmusik mit kammermusikalischem Anspruch auf der Spitze der Professionalität.“

Das Trio Laccasax gründete sich 2011. Die Musiker sind Absolventen der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und der Universität der Künste Berlin sowie Preisträger renommierter Instrumentalwettbewerbe. Schnell avancierten sie zum Geheimtipp, und genauso schnell wurden sie eine feste Größe auf den Bühnen der Welt. 2017 und 2018 erschienen die CDs „Passe Partout“ und „In Music at Home“ auf dem Münchener Label GLM Music.

Als Musiker und Zeitungsmensch kennt man ja vieles und hat irgendwie und irgendwo alles schon mal gehört: Tango und Tango Nuevo, klar, Klezmer, natürlich, Jazz aller Art, logo, Akkordeonfolklore, selbstverständlich. Für Musiker heutzutage ist es schwer, etwas wirklich Neues zu erfinden. Und so waren es tatsächlich weniger die Stücke mit ihren schrägen Überschriften wie „Walzer Nr.2“ oder „Suse“, in der die Sus-Akkorde gefeiert und die Terz gefeuert worden war, sondern die Art der Präsentation. Denn wir hörten nicht nur drei (wunderbare) Musiker, sondern mindestens 6. Wir hörten nämlich nebenbei noch einen sehr guten Pianisten, der auch Akkordeon spielte. Wir hörten einen atemberaubenden Gitarristen, der die ausgeklügelsten Jazz-Akkorde so nebenbei aus den Ärmeln schüttelte und wir hörten einen groovenden Schlagzeuger, der auch noch für den Bass zuständig war.  Elektronisch wirkende Klänge, Spaciges, Athmo, so was produzierten alle nebenbei mit, wenn es passte. Ich muss jetzt leider hymnisch werden, denn noch nie hatte ich einen Saxophonisten wie Andrey Lakisov gehört, der in schwindelerregenden Höhen den Klarinettenton von Giora Feidman so perfekt zitiert hat, mit all den kleinen glissandi, Schwebungen und Schmatzern, die dazugehören. Und noch nie habe ich einen Bassisten wie Bernd Gesell gehört, der mit mehrfach springendem Bassbogen so virtuos umging, als müsste er Schostakowitsch in der Philharmonie spielen und zwar auf der Geige. Und noch nie habe ich so einen rasant schnellen, geschickten Bajanspieler gehört wie Timofey Sattarov, bei dem die Geschwindigkeit und Virtuosität aber eben nicht nur Fingerfertigkeit ist, sondern im Dienste musikalischer Zusammenhänge steht. Timofey Sattarov haben wir vor 20 Jahren das erste Mal gehört. Er war vielleicht 14 oder 16 Jahre alt und saß in der Gedächtniskirche Berlin mit anderen Schülern des Musikgymnasiums C. P. E. Bach und einigen Philharmonikern. Alle zusammen hatten ein Projekt über Brittens „War Requiem“ erarbeitet und Timofey sang allein ein Lied, das vom Text her ungefähr so ging: „Ich will in die Hölle! Denn wenn ich da bin, werde ich sofort nach Wegen suchen, dort wieder heraus zu kommen.“  Die Hölle ist ihm bis jetzt erspart geblieben. Aber Wege hat er gefunden, musikalische Wege: viele und überraschende und schräge und unterhaltsame Wege. Und er hat zwei kongeniale Mitstreiter gefunden. Frau Musica wird es ihm danken.  

 

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