„Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, dann steige ab.“ Mit dieser Weisheit der alten Dakota-Indianer stellte sich Jürgen Lachner Mitte 2002 in seiner ersten Vorstandssitzung vor.
Der Landesverband Bayerischer Tonkünstler befand sich in seiner schwersten finanziellen Krise, und es wurde bereits über eine Auflösung des Verbandes nachgedacht. Linde Dietl, die damalige Vorsitzende, fand unseren neuen Schatzmeister Jürgen Lachner unter ihren Freunden und überzeugte ihn von seiner neuen Aufgabe. Jürgen Lachner, Mathematik- und Physikpädagoge, machte sich fast 20 Jahre lang als Leiter der städtischen Gymnasialabteilung im Schulreferat in München mit seiner Arbeit und durch zahlreiche Initiativen und Reformen einen Namen, baute davor als Direktor das Heinrich-Heine-Gymnasium in Neuperlach auf, war an verschiedenen Münchner Gymnasien als Gymnasiallehrer tätig und leitete zehn Jahre den Bezirksverband München des Bayerischen Philologenverbandes. Wiederholt fuhr er in Münchens Partnerstadt Kiew, um den verarmten Schulen Computersysteme aufzubauen und Aufenthalte für notleidende Kinder an der Isar zu ermöglichen. Für den Aufbau der Kiew-Hilfe erhielt er kurz vor seiner Pensionierung das Bundesverdienstkreuz am Bande. Das besondere an Jürgen Lachner war, dass er seinen Beruf Lehrer nicht ausgeübt, sondern gelebt hat. Er vermittelte nicht nur Wissen, sondern vor allem Herzensbildung.
Bei unserer ersten Besprechung in der Geschäftsstelle begrüßte er mich mit einem Handschlag. Aber dies war nicht ein gewöhnlicher Gruß, sondern eine Geste des Gebens, der Zusammenarbeit, des Führens und des Füreinander-Daseins. Was will der Verband? Wohin soll er gehen? Das waren Lachners erste Fragen, und so ging er auch seine Arbeit an. Eine Strategiekonferenz sollte möglichst schnell klären, wohin der Weg uns führen soll. So trafen sich der Vorstand, die Geschäftsstelle und Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu einer Wochenendtagung in der Musikakademie Hammelburg. Unter Jürgen Lachners kritischem Auge wurde es allen Vertretern schnell ersichtlich, dass es viele Veränderungen geben muss:
Sicherung der finanziellen Grundlage des Verbandes, Verbesserung der Kommunikation mit den Mitgliedern, Förderung der fachlichen und sozialen Belange des Berufsstandes, Evaluation der Fortbildungsveranstaltungen, Interessensvertretung der regionalen Tonkünstlerverbände und deren Mitglieder.
Organisationsabläufe wurden umgestellt und viele wichtige Regelungen wurden getroffen, die leider auch einen hohen bürokratischen Aufwand für alle Parteien erzeugten. Mithilfe von Umfragen wurden in diesem Umstrukturierungsprozess auch die Mitglieder voll einbezogen. Der Satz „so war es – so soll es bleiben“ galt für ihn nicht, er war der Meister der Reformen. In seinem Arbeitsleben richtete er Manager-Seminare für künftige Funktionsträger ein und sorgte mit einem Pilotprojekt zur Verwaltungsreform für Aufsehen. Sein Ziel war es immer, etwas zu bewegen, Neues zu schaffen, niemals stehenzubleiben.
Im Laufe der Jahre übernahm er viele weitere Aufgaben innerhalb des Vorstands und zeigte uns, was bürgerschaftliches Engagement bedeutet. Er wollte sich immer für die Belange der Musiker in Bayern einsetzen und niemals selbst im Mittelpunkt stehen. Hart in der Sache, weit voraus blickend, mit hohen Maßstäben an sich und an die anderen, immer mit konstruktiver Kritik, zeigte er uns gute Lösungen auf.
Für die Künstler war der Umgang mit ihm als ruhigem, rationalem Menschen nicht immer leicht und dennoch sah jeder den Erfolg – es ging mit dem Landesverband aufwärts. Bereits zwei Jahre nach seiner Amtsübernahme schrieb der Landesverband wieder schwarze Zahlen. Die Einbeziehung der Mitglieder in das Verbandsgeschehen hatte sich sehr verbessert. Die Mitglieder identifizierten sich mit der Arbeit ihres Verbandes und fühlten sich zugehörig.
Ein wichtiges Anliegen war ihm unsere Webseite; er baute sie seit 2003 auf und opferte unzählige Arbeitsstunden, damit sich der Verband im Internet gut präsentierte. Ende 2008 lernte er – inzwischen über 70 Jahre alt – das neue Webseiten-System Joomla, mit dem er uns eine komplett neue Internetpräsenz aufbaute. Akribisch in allen Einzelheiten, mit analytischem Aufbau und fast mathematisch stellte sich die Webseite dar. Es war für ihn wieder besonders wichtig, Zahlen und Fakten abzubilden. Wie viele Besucher gibt es täglich? Wer klickt welche Buttons an? Und wo gibt es vielleicht Lücken, die geschlossen werden sollten? Die ständige Kommunikation mit der Geschäftsstelle, ein gutes Miteinander und eine reibungslose Zusammenarbeit waren dafür erforderlich. Jürgen Lachner führte uns auch hier an der Hand und zeigte uns den Weg.
„Einsparungen an der richtigen Stelle“, war seine Devise. Heute wird in den Unternehmen an Personal, an Arbeitsleistung gespart. Dies war nie sein Ziel. Er wusste, nur mit hervorragender Arbeit kann Hervorragendes geleistet werden. Die Einstellung des ersten Auszubildenden im LVBT bewilligte er sofort, sein Ziel war es, die Jugend zu fördern und ihr Chancen zu geben. Manchmal war er still und schweigsam. Dabei arbeiteten Gedanken, Zahlen und neue Ideen jederzeit in seinem Kopf. Vielleicht fand nicht jeder Zugang zu ihm. Die Menschlichkeit in ihm, seinen trockenen Humor und das Verständnis, das er einem entgegenbringen konnte, zeigte er nicht allen.
Die liebevolle, uneigennützige Tatkraft und das immer währende Verständnis seiner Frau unterstützten ihn, seine Arbeit und damit uns. Theateraufführungen, Konzertbesuche und vor allem der Fußball waren seine Hobbies. Vorstandssitzungen beendeten wir während der Bundesligazeit am Samstag spätestens um 14.30 Uhr, damit er die Spiele von seinem Lieblingsverein, dem FC Bayern, verfolgen konnte.
Mir war es vergönnt, ihn von vielen Seiten kennenzulernen. Er war für mich ein großes Vorbild, er war die Seele unseres Verbandes. Deshalb ist sein Abschied für uns auch besonders schmerzlich, weil seine Persönlichkeit nicht zu ersetzen ist. Jürgen Lachner hat Unglaubliches für den Verband geleistet. Nun ist er auf seinem letzten Weg angekommen. Er starb nach langer und schwerer Krankheit am 20. August 2010. Sein Engagement und sein verantwortungsvolles Wirken behalten wir mit großer Dankbarkeit in Erinnerung und arbeiten in seinem Sinne weiter.