„Die Fledermaus“ nach Rüdersdorf zu holen, war ein Geniestreich. Kein Theater der Welt kann sich rühmen, die meistgespielte Strauß-Operette in so enger Nachbarschaft zu den echten Mitgliedern dieser Gattung von Säugetieren, die in den alten Kalknischen des Tagebaus hausen, aufgeführt zu haben. Nach mehr als 140 Jahren seit ihrer Uraufführung 1874 im Theater an der Wien bringt es die „Fledermaus“ auf die Naturbühne im Park des kurfürstlichen Bergschreiberamtes von Rüdersdorf. Wohin auch sonst, mögen viele der 400 Gäste gedacht haben.
Mir scheint, als sei ich mit der „Fledermaus“ aufgewachsen. Ich erlebte sie ganz jung im Kino als „Rauschende Melodien“ der Deutsche Film AG (unvergessen: Josef Egger als Frosch und Sonja Schöner als Adele), sah sie später mit Peter Alexander, Marika Rökk, Boy Gobert und Hans Moser sowie unlängst in Berlins Komischer Oper. Immer war es neben den Eisensteins und Stubenmädchen Adele, dem Gefängnisdirektor Frank, dem Prinzen Orlofsky und Notar Dr. Falke („Fledermaus“ genannt) der trinkfreudige Gefängniswärter Frosch, der in Erinnerung blieb. Was wird die Rüdersdorfer Inszenierung bieten, dessen Regisseur Stephan Wapenhans eine „entstaubte Fassung“ versprach?
Tatsächlich, man kann auf das „Weiße Rössl“ vom vergangenen Jahr noch eins drauf setzen. Zum Beispiel „Die Rache der Fledermaus“ (so der Originaltitel). Was da für die Naturbühne des Kalktagebaus in Szene gesetzt wurde, verdrängt die Erinnerungen an alte Aufführungen. Wenn Ensemble und Regieeinfälle stimmen, kann die „Fledermaus“ wie eine Show ins Publikum strahlen, das in stimmungsvoller Kurzweil kaum wahrnimmt, wie am Schluss des Spektakels um Rache, Verwechslung und Reue drei Stunden wie im Flug vergangen sind.
Natürlich siedelte Regisseur Stephan Wapenhans – als Notar Dr. Falke und als Anwalt Dr. Blind mit Witz und Stimme eine lustvoll intrigierende Größe in der Komödie – das Geschehen mit viel Lokalkolorit in Rüdersdorf an und scheute sich nicht, den Prinzen nicht Orlofsky, sondern Lichtenow zu nennen, nach dem ein Ortsteil der Gemeinde benannt ist (oder umgekehrt?). Natürlich ist Lichtenow – wie im Original- Libretto – russischer Herkunft, der seinen Hofstaat tanzen lässt, als gäbe es Parallelen zu lebenden Herrschern. Nele Moser gibt in einer Hosenrolle diesem Typ so viel, dass die Gefahr groß ist, ihn auch noch sympathisch zu finden. Vorsichtshalber hat ihm die Regie einen speichelleckenden Bodyguard in die Gefolgschaft geschrieben (Vorsicht Satire: glänzend Albert Kessler, im letzten Akt auch Gefängniswärter).
Auf Lichtenows Fest tummeln sich der vermeintlich im Knast sitzende Eisenstein (Markus Ahme), Stubenmädchen Adele (Svenja Gabler) und bald auch noch Ehefrau Rosalinde (Ilonka Vöckel), deren Hausfreund Alfred als vermeintlicher Ehemann vom Gefängnisdirektor Frank (Erwin Bruhn) persönlich zum Haftantritt abgeholt worden war. Während Vöckel und Bruhn schon im „Weißen Rössl“ zu Publikumslieblingen wurden, ist mit der Verpflichtung des international agierenden Heldentenors Markus Ahme eine neue Stimmgewalt über die Naturbühne gekommen, die man gern öfter erleben möchte. Das gilt auch für Koloratur-Sopran Svenja Gabler. Thomas Hartkopf hat sich als jahrelanges Chormitglied zu den Soloparts hoch gearbeitet, dem man das „Trinke, Liebchen“ als Rosalindes Liebhaber Alfred gerne abnimmt.
Ja, und was ist mit dem Frosch? Der kam in Person von Albert Kessler wie üblich im letzten Akt als Gefängniswärter, blau wie eine Haubitze, durch das Publikum und verkündete seinen Frust auf die Politik, die man nüchtern nicht ertragen könne. Das mag den Staatssekretär aus der Brandenburger Landesregierung im Publikum zwar etwas irritiert haben, doch der Frosch mit dem Flachmann war nicht zu bremsen, sein „Wiener Schmäh“ trieb Blüten, je mehr angeblichen „Kumpeltod“ er in sich hineinschüttete. Immerhin vermochte er den Anweisungen seines Direktors noch Folge zu leisten, wenn auch auf allen Vieren. Die Schulterstücke eines Oberstleutnants auf seinem alten NVA-Mantel gehörten allerdings zu den Übertreibungen. Gemeckert und gemosert haben zu DDR-Zeiten nur die unteren Chargen, zumal die oberen nie eine Revolution zustande gebracht hätten.
Zu den unvergessenen Eindrücken gehören zweifelsohne die brillanten Soli der klassisch ausgebildeten Solistinnen und Solisten und die fabelhaften Chorfinale im zweiten und dritten Akt. Natürlich war es für die Rüdersdorfer ein Erlebnis, über hundert Jahre nach Johann Strauß mit Ireen Sheer und Patrick Lindner plötzlich zwei Profis aus der ganz leichten heutigen Unterhaltung im Ensemble zu entdecken, doch die Rollen als Gräfin und ihres Kochs, in den sich die Dame verliebt hatte, mussten erst in die Operette hineingeschrieben werden. Nun mag es zwischen „Schön, dass es dich gibt“ und der Musik des Walzerkönigs eine kleine Differenz geben, doch zum Showcharakter der Aufführung hat es gepasst und den beiden Stars galt ein herzliches Willkommen. Schon für das „Weiße Rössl“ hatte Lindner den Ruf der Provinz nach einem Kaiser angenommen und Freude an Rüdersdorf gefunden, so dass er in diesem Jahr eine gute Freundin mitbrachte. Alles in allem bildete der dem Anlass und der Zeit entsprechend gekleidete (Irina Behrendt) Chor, in dem die Seniorentanzgruppe Neuenhagen und die Tanzgruppe International Rüdersdorf unter anderem mit einer zünftigen Polka mitwirkten, einen ausgezeichneten Hintergrund für die Solisten. Ihre Bewährung haben sie bereits mehrfach im Rüdersdorfer Operettensommer bestanden.
Das Bühnenbild von Dietrich Jach war der Naturbühne angepasst, es war passend für das Fest des Prinzen, und das Gefängnis machte durchaus einen abschreckenden Eindruck.
Die musikalische Leitung lag wieder in den bewährten Händen von Stefanie Bremerich, die ihr kleines, mit viel Beifall bedachtes „Caféhausensemble“ mit den speziell reduzierten Arrangements von Thomas Heyn vorzüglich im Griff hatte und – wenn sie mit der linken Hand am Piano agierte – wenigstens noch mit der rechten Hand dirigierte. Selbst ohne Bühne dürften die Auftritte dieser kleinen Band gut besucht sein.
Der Operettensommer 2016 ist wieder gelungen. Ihn nicht fortzusetzen, könnte skandalähnliche Zustände auslösen. Doch die Gefahr scheint nicht zu bestehen, wenn man dem Produzenten und Chef der Rüdersdorfer Kultur GmbH, Jörg Lehmann, glauben darf, der in traditioneller Bergmannskleidung dieses Erlebnis einleitete und mit Dank an alle Beteiligten beendete. Für die echten Rüdersdorfer Fledermäuse wird es auch in Zukunft diesbezüglich keine Schonzeit geben.