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Erlesenes, Erlebtes – Gesuchtes statt Gefragtes

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Unser Komponistenportrait: Walther Prokop
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Der erste Blick schon verrät die Passion: Bücher stapeln sich bis unter den Giebel, sie drängeln sich in Doppelreihen, liegen quer, um auch die letzten Ritzen nicht ungenutzt zu lassen. Es ist die Bibliothek eines leidenschaftlichen Lesers – Taschenbuch statt Hardcover, Gesuchtes statt Gefragtes. Und mittendrin, eingefasst von Buchdeckeln: ein Klavier.

Die meisten von Walther Prokops Kompositionen sind in dieser Arbeitsumgebung ent- standen, und dass die Literatur einen immer stärkeren Stellenwert in seinem Œuvre bekommen hat, wird wenig verwundern. Wer Romane liest, wird auch als Komponist Geschichten erzählen: Walther Prokop hat „Elisabethanische Miniaturen“ geformt; sein „Adieu, Germaine Tailleferre“ ist mehr wehmütige Grabrede als Requiem; die drei bezaubernd pointierten „Stories“ für Klavier zu vier Händen wurden nicht nur von Herbert Rosendorfers Erzählung „Die Seele der Prinzessin“ inspiriert, sondern auch durch Agatha Christies Kriminalgenie Miss Marple.

Komponieren ist Luxus. Seit 30 Jahren unterrichtet Walther Prokop am Gymnasium in Gars am Inn Musik, und wenn in dieser Zeit nicht nur Haus gebaut und Bäume gepflanzt werden, sondern auch vier Kinder heranwachsen, bleibt wenig Zeit und noch weniger Muße für die einsame Arbeit am Klavier. Prokops Musik ist immer konzentriert, ohne komprimiert zu sein. Sie geht keine Umwege, verrennt sich nie, und schon gar nicht marschiert sie einfach drauf los. Bei allem Witz und Esprit sind diese Kompositionen in hohem Grad überlegt.

Und deshalb könnten manche Bemerkungen zur Entstehungszeit geradewegs in die Irre führen. Geschrieben an verregneten Allerheiligen-Tagen, heißt es dann, komponiert in einer Ferienwoche. Von der Quälerei davor: kein Wort. Walther Prokop ist einer, dem das Komponieren nicht leicht fällt. Auch wenn es dann doch immer recht flott geht. Gelegenheitsarbeiten, von denen es in Prokops Werk eine Reihe gibt, bekommen bei dieser Arbeitsweise ganz neuen Sinn: Mit der Deadline im Nacken lässt sich die Muse auch zwingen.
„Noch vor dem Eintritt in die Grundschule“, erzählt Walther Prokop in Marion Saxers „Anfänge“-Buch (Wolke 2002), „hörte ich im Bayerischen Rundfunk zufällig Kinderchöre singen. Da war für mich die Entscheidung für die Musik gefallen: Ich wollte unbedingt auch so schöne Klänge erfinden können.“ Dieser Wunsch scheint ihn bis heute zu beherrschen: Musik immer wieder zu erfinden, ganz ähnlich dem, wie Dichter Sprache erfinden.

Und wer Gedichte liebt, muss Lieder schreiben. Über die Liebe und den Tod. Sie haben sich längst als stärkster Strom behauptet, neben Chorstücken und kammermusikalischen Piècen. Die langjährige Freundschaft zum Bariton Wolfgang Hansjakob hat manches angeregt, die „Gesänge eines Vergessenen“ etwa nach vier Gedichten von Theodor Kramer. Und „Ithaka“, eine Konstantin Kavafis-Vertonung, deren Uraufführung erst wenige Wochen zurückliegt. In Schülertagen schon habe er das Gedicht kennengelernt. „Seitdem war es mein innigster Wunsch, dieses Stück zu vertonen“, bekennt Prokop, aber zum Glück siegten seine kompositorischen Skrupel über den jugendlichen Enthusiasmus: „Ich hatte zwar ein Gefühl für die Musik, aber der große Zusammenhang fehlte mir damals.“

Was Prokops Musik heute ausmacht, ist im Wesentlichen autodidaktisch erarbeitet. Das Studium bei Franz Xaver Lehner (zu dessen Kammermusik-Schaffen Walther Prokop einen Aufsatz veröffentlicht hat) und Wilhelm Killmayer in München hat spät erst „meinen kompositorischen Wildwuchs in geordnete Bahnen gelenkt“. Lehner, sagt Prokop, habe ihm gezeigt, „wie mein Schnabel gewachsen sein könnte, und hat mich so aus dem Bockshorn geholt, in das mich – befangen durch ihren absoluten Einfluss – Adorno und die Darmstädter Schule gejagt hatten“.

Walther Prokop, Jahrgang 1946, wuchs im Rosenheim der Nachkriegszeit auf. Zuhause liebte man Musik, pflegte sie aber nicht: Der Vater Karl Prokop war als Maler und Graphiker weithin geschätzt, und die Landschafts-Bilder, die er von Reisen zusammen mit seinen Künstlerfreunden Leo von Welden und Hans Waiblinger mitbrachte, verraten manches von den Einflüssen, die bei Walther Prokop schließlich Musik geworden sind. Organische Energie in scheinbar starren Formen; und Farben, wie sie entstehen, wenn die weiße Sonne auf eine karge Landschaft trifft.

Prokops Leidenschaft für griechische Dichter, für französische Schriftsteller auch, entsprang nie touristischem Interesse: Es sind ihre ganz eigenwilligen Welten, die ihn anziehen. Seine Verehrung galt zwar Berg, Bartók und Strawinsky, seine Liebe aber der „Group de Six“, ihrer Lust an der Pointe, ihrem unbedingten Willen, nicht nur Neues, sondern auch Eigenes zu schaffen. Prokops Lieblinge sind jene, die sich um Moden nicht kümmern. Von der Avantgarde belächelt, vom Publikum gemieden. Da nur gehört ein Künstler nämlich hin: zwischen alle Stühle.

Es ist ein schöner Zufall, dass ausgerechnet Rosenheims Städtische Galerie lange Zeit die erste Bühne für Prokops Musik war. Dort hatten die Studiokonzerte des Tonkünstler-Verbandes eine treue Fan-Gemeinde: eine Begegnungsstätte für Maler und Musiker. Und der doch selten gewordene Fall dafür, dass sich Künstler auch Sparten übergreifend füreinander interessieren.

Von Hans-Melchior Brugk übernahm Walther Prokop den Vorsitz des Tonkünstlerverbandes Südost-Bayern, und die Rosenheimer Studiokonzerte trugen seither immer deutlicher seine Handschrift – auch wenn die bescheidenen Möglichkeiten zwangsläufig Auswirkungen aufs Schaffen haben: Das Klavier ist Prokops treuester Begleiter. Dabei hätte er sich für „Ithaka“ zum Beispiel ein ganzes Orchester gewünscht. „Alles was kostbar und teuer ist“, steckt hörbar in der knappen Viertelstunde.

Aber komponiert ist sozusagen nur der Klavierauszug. Andererseits: Sich mit vorhandenen Ressourcen zu begnügen, muss kein Nachteil sein. Prokops Chorstücke sind auf diese Weise und „on demand“ entstanden: Mess-Vertonungen, die zwar schlicht, aber nicht einfach sind. Witzige Stücke auch, die federleicht klingen, aber für jeden Laienchor eine Herausforderung bleiben: Prokops Auswahl aus Wilhelm Buschs „Naturgeschichtlichem Alphabet“ etwa verleiht dem Nonsens aphoristische Weihen.

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