Das erlebt man nicht oft, dass ein Musikfunktionär wie Alexander Krause, Jurist, fünfzehn Jahre Kanzler der Münchener Musikhochschule, Vorsitzender des Bayerischen Tonkünstlerverbands e.V. am Sonntag, den 11. Juni 2023, ganz leger zur Begrüßung die Bühne des Weilheimer Stadttheaters betritt und dann seiner ungebremsten Begeisterung freien Lauf lässt. Er ist stolz auf „seine Jungs“ Schachtner und Appel.
Ermutigender Seltenheitswert
Er hat allen Grund, denn so „easy going“ ist der Weg der neuen, der zeitgenössischen Musik in der Welt des klassisch ausgebildeten Musikernachwuchses nämlich nicht zu betreten. Wer mit Lust spielt, der muss eben auch ein Faible für dieses Genre entwickeln. Aber wer bringt einen auf genau diesen Geschmack? Natürlich gibt es da kein kategorisches Entweder-Oder. Wer Bach, Mozart, Brahms und Mahler liebt, der kann sich auch jederzeit Sciarrino, Ruppert und John Cage widmen. Aber er braucht eben charismatische Ensembleleiter und Organisatoren, die junge Menschen mit ihrer Begeisterung für diese Werke anstecken können, denen die Lunte für den Zündfunken in den Händen bitzelt.
Johannes X. Schachtner ist so ein Künstler-Pädagoge, der initiativ geworden ist schon vor mehr als zehn Jahren, um unter dem Dach des Tonkünstlerverbandes zur Entdeckungsreise in die Welt der manchmal durchaus absonderlichen, nicht unbedingt Endorphine ausschüttenden Harmonien einzuladen. Schachtner hat diesmal den Dirigenten Florian Appel an seiner Seite, der am Ende der Pfingstferien im Rahmen eines Workshops in die Musikakademie Alteglofsheim ein anspruchsvolles, wie im Konzertsaal eher ungewöhnliches Programm einstudiert hatte. Im Weilheimer Stadttheater wurde das vor einem erfrischend jungen Auditorium aus der Taufe gehoben, am Ende mit viel Jubel und guter Laune gefeiert.
Man darf dabei ruhig zugeben, dass es ein heikler Balanceakt ist, sich in der Mischung zwischen kleinem Streicherensemble und Holzbläsern, apart besetzt mit Bassklarinette, Bassflöte und Englischhorn dem reizvollen Dialog zwischen der dramatischen Madrigalwelt Gesualdos und der Klangwelt des 1947 in Palermo geborenen bekannten italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino auf einem extrem fein schwingenden Seil zu bewegen. Da gibt es bisweilen intonationsmäßige Absturzgefahren. Das zerbrechliche Verschmelzen auch mit der engagierten Mezzosopranistin Gundula Goecke steckt die Messlatte für eine filigrane Feinarbeit hoch. Hier gibt es, auch wenn die junge Primaria, Geigerin Sophia Thumm, gut führt, noch Optimierungsbedarf für die jungen Musiker.
Dass Florian Appel sein ehemaliger Lehrer der Münchener Musikhochschule, der Komponist Anton Ruppert, am Herzen liegt, daraus macht er in seiner liebenswürdigen Moderation keinen Hehl. Im 2001 erstmals aufgeführten „Schneegebirge“ von Ruppert gibt es für das junge Ensemble keine Orientierungsprobleme am Berg. Führt Appel doch mit geschmeidiger Bewegung sicher durch eine Art Ton-Klang-Motiv-Pingpong und lässt die Flocken tanzen, bevor sich am Ende der Text des Volksliedes aus dem 18. Jahrhundert „Unter dem Schneegebirg, da fließt ein Brünnlein kalt“ subtil durch die Schneedecke schiebt. Hier sind vor allem die Bläser gefordert, schnalzen, zischen, wechseln gerne auch mal als multifunktionale Perkussionisten. Aufhorchen lässt dabei der vokale Gipfelsturm der jungen Augsburger Sopranistin Madelaine Schwer.
Bunt, schrill, experimentell und vor allem lustvoll verschreibt man sich nach der Pause mit Haut, Haar, Stimme, Instrument und erstaunlich variabel einsetzbarer Haustechnik John Cage. Seine „Living Room Music“ hat ein bisschen Happening-Charakter. 1940 komponiert dürfen die Spieler auch 2023 „jedweden Hausrat oder Gebäudeteile” als Instrumente verwenden, wobei es eine Abstufung von hohen zu tiefen Klängen geben soll. Während im Deutschland jener Zeit „moderne“ Sinfonien als entartete Kunst gebrandmarkt wurden, kreierte Cage in den USA ein neues Stellwerk für die Weichen des Begriffs der zeitgenössischen Musik. Mit entschlossener Ernsthaftigkeit fetzt man über die Bühne, durch den Saal, singt, tönt, klirrt, klopft, hämmert, flirtet. Die junge Künstlerriege kostet ihre Freiheit genüsslich kreativ aus, wird am Ende lautstark gefeiert.
- Share by mail
Share on