Explodierende Energiepreise und eine Inflation, mit der die Honorare im Kulturbereich längst nicht mehr mithalten können, setzen Kulturschaffende zunehmend unter Druck. Der Deutsche Kulturrat hatte bereits im Sommer Alarm geschlagen, als es darum ging, wer die steigenden Strom- und Gaskosten überhaupt noch wird bezahlen können. DKR-Geschäftsführer Olaf Zimmermann war nicht müde geworden, die Energiekosten als „das drängendste Thema im Bereich der Kulturpolitik“ auszurufen. Wer jetzt, da der Winter naht, mit Mitgliedern des Deutschen Tonkünstlerverbands spricht, bekommt zu hören, was die momentane Entwicklung für die Kulturschaffenden an der Basis bedeutet: „Es fühlt sich an“, sagt der Brandenburger DTKV-Vorsitzende Martin Behm, „wie die Ruhe vor dem Sturm.“
Dabei gibt sich Martin Behm (noch) verhalten optimistisch. Ein Jahr relative Sicherheit erhofft er sich zum Beispiel für die vor 25 Jahren gegründete Potsdamer Musikschule Behm, Bertheau & Morgenstern, räumt aber im gleichen Atemzug ein: „Wenn nicht noch etwas anderes passiert...“ Seine Prognose rührt unter anderem daher, dass die Musikschule in Potsdam vorsorgen konnte. „Im Sommer, als sich die Krise ankündigte, haben wir die Honorare für Bestandskunden angepasst, was wir schon lange nicht mehr hatten machen müssen“, so Behm. „Aber wir wussten: Wir brauchen einen Puffer, wegen der Energiekrise und der Inflation, die sich auch bei unseren Lehrerinnen und Lehrern sehr bemerkbar macht.“ Ob das am Ende reiche, könne er noch nicht sagen. „Teilweise haben sich die Energiekosten ja schon jetzt verdreifacht“, so Behm. „Da wir an mehreren Standorten in Potsdam, Berlin und Falkensee unterrichten, haben wir aber für jeden Standort einen anderen Vermieter und unterschiedliche Heizungen, von Gas bis Fernwärme.“ Er warte, wie viele andere Kolleginnen und Kollegen auch, den Januar ab und die dann vorliegenden konkreten Zahlen.
Eine Milliarde vom Bund
Nun ist im Entlastungspaket der Bundesregierung vom 4. September vorgesehen, dass Restmittel aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, der für den Kulturbereich in der Corona-Pandemie vorgesehen war, für die Unterstützung des Kultursektors in der Energiekrise bereitgestellt werden. Der Deutsche Kulturrat nennt dies „eine gute Nachricht für die von der Energiekrise schwer betroffenen Kultureinrichtungen, Kulturunternehmen, Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturvereine“. Aktuell stünden aus den 2,5 Milliarden Euro, die der Sonderfonds Kulturveranstaltungen umfasst, noch rund 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Im Namen des Deutschen Tonkünstlerverbandes hat auch Präsident Prof. Christian Höppner das Vorhaben der Bundesregierung, die Folgen der Energiekrise für den Kulturbereich durch diese Restmittel abzufedern, begrüßt und konkrete Vorstellungen der Mittelverwendung: „Der Deutsche Tonkünstlerverband appelliert an die Bundesregierung, die Restmittel aus dem Sonderfond für Kulturveranstaltungen für die Kulturakteure zur Verfügung zu stellen, die die bildungskulturelle Infrastruktur wesentlich tragen. Dazu gehören neben den soloselbstständigen Musikerinnen und Musikern, den Veranstaltern, den freien Ensembles und den Kultureinrichtungen auch die zivilgesellschaftlichen Verbände des Musiklebens.“ Die berufliche Situation vieler Musikerinnen und Musiker, die künstlerisch wie pädagogisch wesentlich zur kulturellen Vielfalt im Land beitrügen, sei, so Höppner, „angesichts der steigenden Energiekosten, der Inflation und der längst nicht ausgestandenen Folgen der Pandemie dramatisch.“
Erste Hiobsbotschaften haben auch die DTKV-Ländersprecherin Heike Michaels (Frankfurt) erreicht. Als ob es nicht schon schwierig genug sei, wenn freischaffende Musikpädagoginnen ab 16 Uhr in ungeheizten Schulräumen unterrichten müssten oder Musikschulen sich aufgrund der ökonomischen Belastung der Familien vermehrt gezwungen sehen, von Einzel- auf Gruppenunterricht umzustellen, nun rechne auch die Landesmusikakademie in Frankfurt mit dem Schlimmsten: „Die Verantwortlichen stehen seit der Pandemie sowieso schon mit dem Rücken zur Wand.“ Schlecht sei die Stimmung auch im Bereich freischaffender Musikpädagoginnen und freier Einrichtungen. Von einem „Sterben der Musikschulen“, werde, so Heike Michaelis, gesprochen. Zum einen hätten Eltern immer weniger Geld für Musikunterricht übrig, dann würden die zu erwartenden neuen Abschläge für Strom und Heizung wie ein Damoklesschwert über den Kulturschaffenden hängen. „Wenn man knapp ist, dann trifft es einen umso härter“, so Heike Michaelis. „Vielen geht das an die Existenz.“
Schlechte Prognose für ländliche Regionen
Ähnlich pessimistisch fallen die Prognosen für Musikunterricht im ländlichen Raum aus. „Auch wenn Potsdam von der Einkommenssituation her eine Insel ist – hier leben viele Bundes- und Landesbedienstete, aber auch Beschäftigte großer Konzerne“, so Martin Behm, „sieht die Welt ganz anders aus, wenn man Richtung Cottbus, Frankfurt/Oder oder schon Oranienburg schaut. Da wird es wirklich eng.“ So sei nach verstärkten Kündigungen vor den Ferien die Anmeldewelle zum Schuljahresbeginn extrem niedrig. Was das heißt, wissen alle freischaffenden Musikpädagoginnen: „Man baut den Schülerstamm, den man braucht, nicht mehr so auf wie gewohnt und startet geschwächt ins neue Schuljahr.“ Behm kann nachvollziehen, dass manche Schüler-Eltern gedacht haben mögen, es sei besser, erst einmal zu kündigen, und ihr Kind dann, wenn alles gut geht, wieder anzumelden. „Aber die wenigsten bedenken, dass eine kleine Musikschule dann vielleicht gar nicht mehr da ist …“
Plädoyer für Energiepauschale
Da helfe auch Sparen wenig und so manche notwendige Investition dafür habe sich für viele sowieso erledigt. „Was uns geholfen hat, ist, dass wir in den guten Jahren überall dort, wo renoviert wurde, zum Beispiel statt der alten Neonleuchten LED-Systeme eingebaut haben“, sagt Martin Behm. Dadurch habe sich der Stromverbrauch an den Standorten der Musikschule immerhin halbieren lassen. Ob das ein hilfreicher Rat für andere sein kann? Eher nicht. „Das Problem ist, wenn es gerade eng wird und Nachzahlungen auf einen zukommen, dann kann niemand Geld in die Hand nehmen und derart investieren.“
Also doch Fördertöpfe. Martin Behm favorisiert die in der Politik bereits (wenig erfolgreich) diskutierte Energie-Pauschale. „75 Prozent des Stromverbrauchs deckeln“, so der Pianist, „halte ich zum Beispiel für einen guten Vorschlag, hohe Vorauszahlungen wären damit vom Tisch.“ Als sehr hilfreich hätten sich während der Corona-Pandemie auch die Mikrostipendien in Brandenburg erwiesen. Schwierig werde es für Musikpädagoginnen, wenn Fördergelder wie so häufig zum Beispiel an Gemeinnützigkeit gebunden seien. Da gingen dann viele leer aus.
Doch die Energiekrise sei nicht das Einzige, was den Kulturschaffenden gerade zugemutet werde. Noch mehr Sorgen macht Martin Behm die nach heftigen Diskussionen vor zehn Jahren wieder aufkeimende Idee der Umsatzbesteuerung. „Da geht es“, so Behm, „wirklich ums Ganze. Das fängt auch keine Honorarerhöhung auf. Bei 19 Prozent mehr an Abgaben ist einfach Schluss.“
Nach Pandemie und kriegsbedingter Inflation sieht Behm hier ein weiteres K.O.-Kriterium. Letztlich entstehe so eine verschärfte Situation, die für viele Musikschaffende ab 2024 nicht mehr zu handhaben sein wird. „Die Energiekrise kommt sozusagen auf die klassischen Themen noch oben drauf, mit denen wir uns seit Jahrzehnten beschäftigen“, so Behm, der sich dennoch kämpferisch gibt. „Wir haben uns 2012 sehr engagiert im Kampf gegen die Umsatzsteuer. Da haben wir Gas gegeben und waren erfolgreich. Wir kennen also die Situation, dass es ums Ganze geht. Auch, wenn es schwierig ist, sich immer wieder aufzuraffen – wir bleiben dran und kämpfen weiter!“