Seit über dreißig Jahren leisten der Bayerische Tonkünstlerverband zusammen mit dem Schneider-Verlag Tutzing in der Monographie-Reihe „Komponisten in Bayern“ einen wichtigen Beitrag zur Erfassung und Reflexion zeitgenössischer Komponisten. 54 Bände konnten bereits verlegt werden – gerade frisch erschienen der Band über Josef Anton Riedl. Acht Aufsätze befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten von Riedls Leben und Schaffen und zeigen ein facettenreiches kompositorisches Werk. Pia Steigerwald setzt sich in ihrem Beitrag „Neues sehen, um Neues zu machen“ mit Riedls Arbeit in den Bereichen Film, Theater und Hörspiel auseinander und gibt Einblicke in einen Werkbereich, der bis dato weitgehend verschüttet war. Die promovierte Musikwissenschaftlerin ist Mitarbeiterin bei musica viva, der Konzertreihe für zeitgenössische Musik im Bayerischen Rundfunk, und stand freundlicherweise zu einem Interview zur Verfügung.
Kristina Gerhard: Würden Sie sagen, dass Riedls Werk bereits gut sortiert und aufgearbeitet ist?
Pia Steigerwald: Das kompositorische Werk von Riedl ist bei Spezialisten bekannt, bei Musikern, bei Lautkünstlern, vor allem in den grenzüberschreitenden Medien und Künsten. Es gibt Artikel und Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften, aber übergreifende, wissenschaftliche Untersuchungen zu seinem Werk gab es bisher nicht. Auf diesem Gebiet ist das neue Buch ein wichtiger Meilenstein.
Gerhard: Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Komponisten Riedl zu beschäftigen und den Artikel zu schreiben?
Steigerwald: Ich habe Riedl gar nicht in erster Linie als Komponist kennengelernt, sondern als Programmmacher und Organisator innerhalb der Konzertreihe musica viva, als Persönlichkeit, die das Kulturleben in München, aber auch überregional, national und international mitgeprägt hat. Wir haben uns ausführlich über andere Komponisten unterhalten. Er hatte ja viele Verbindungen auch zu Ikonen der Neuen Musik. Das fand ich faszinierend, aber es ging fast nie um sein eigenes Werk. Trotzdem gab es dann bei verschiedenen Anlässen doch immer wieder die Gelegenheit, einige seiner Stücke zu hören. So hatte ich also schon gewisse Berührungspunkte mit Riedls Werk, und als ich die Anfrage bekam, den Artikel zu schreiben, habe ich natürlich gerne zugesagt. Riedl hat mich zwei Tage später angerufen: „Ja, also du schreibst ja jetzt. Das freut mich!“ Und dann ging es rund…
Gerhard: Wie lange haben Sie recherchiert und geschrieben?
Steigerwald: Zwei Jahre. Denn dadurch, dass das Werk bisher nicht systematisch aufgearbeitet und vieles gar nicht verfügbar ist, musste ich erst einmal Recherchearbeit leisten. Das erstreckte sich über ungefähr eineinhalb Jahre, weil ich ein möglichst umfassendes Bild schaffen wollte, was natürlich nicht immer möglich war. Es ist eben ein sehr vielschichtiges Werk.
Gerhard: Josef Anton Riedl hat mehrere Stücke für verschiedene Sinne komponiert. Auf der anderen Seite legt er in seinem Schaffen für die Medien Film und Theater, in denen ja auch verschiedene Sinne angesprochen werden, sehr großen Wert auf die Autonomie der Musik.
Steigerwald: Das eine schließt das andere nicht unbedingt aus. Aber Sie sprechen da einen Punkt an, den es zu diskutieren gilt. Ich bin auch über Riedls Aussagen gestolpert, dass die Musik auf keinen Fall eine untergeordnete Rolle spielen dürfe; dass er sich mit den Vorlagen nicht eingehender beschäftigt, sondern die Musik als eigenständigen Ausdrucksbereich dazu gestellt habe. Denn wenn man sich näher mit diesem Teil von Riedls Schaffen auseinandersetzt, wird immer wieder deutlich, dass er sich durchaus in die Thematik hineinbegeben und sich mit den Vorlagen beschäftigt hat. Das ist bei ihm überhaupt eine ganz interessante Mischung: sein Verhältnis zur Tradition, zu traditionellen Formen, Materialien und Stilen und gleichzeitig der echte Drang, Neuland zu entdecken. Ich glaube, dieses Spannungsfeld ist dezidiert in seinem Werk enthalten.
Gerhard: Im Zusammenhang mit Riedls Arbeiten für den Film fand ich besonders die Industriefilme interessant, wo verschiedene Firmen – Siemens, Post, Bahn – sich auf so avantgardistische Ausdrucksformen eingelassen bzw. ja sogar in Auftrag gegeben haben – als Werbefilm. Das würde doch heute kein Mensch mehr machen.
Steigerwald: Ja. Mit „Varia Vision“, einer Installation aus Film, Musik und Sprache zum Thema „Bahnreisen“ wurde damals auch wirklich ein Coup gelandet. Heute ist dieses Megaprojekt leider fast in Vergessenheit geraten. Ich würde mir sehr wünschen, dass man das noch einmal anpackt und aufführt – mit den heutigen Möglichkeiten. Vielleicht könnte man auch junge Autoren und Komponisten engagieren, die Bestandteile neu komponieren, und das hier in München aufführen. Das fände ich sehr spannend.