Die Münchner Pianistin Sabine Liebner widmet sich auf ihrer jüngsten CD für das Label WERGO den „Klavierstücken I–XI“ von Karlheinz Stockhausen. Das Ergebnis ist eine ungemein präzise und faszinierend farbenreiche Einspielung dieser in den Jahren 1952–1961 entstandenen Werke.
Eine wertvolle Einleitung in das Hörerlebnis liefert Wolfgang Rathert im Booklet. Er erläutert die komplexe, streng mathematischen Regeln folgende Kompositionstechnik Stockhausens und skizziert dessen stilistische Weiterentwicklung. So sind die Klavierstücke I–IV als relativ frühe Werke des Komponisten einzuordnen, wohingegen die Klavierstücke VXI wenige Jahre später bereits unter dem Einfluss Stockhausens intensiver Auseinandersetzung mit elektronischer Musik entstanden sind.
Auf der CD wird die chronologische Reihenfolge allerdings aufgelöst: CD 1 und CD 2 beginnen jeweils mit einer Version des Klavierstücks XI. Dieses ist von Stockhausen so konzipiert, dass 19 vorgegebene Notengruppen, die auf einem großen Papierbogen angeordnet sind, bei jeder Aufführung in einer neuen, jeweils spontan gewählten Folge gespielt werden.
Sabine Liebners „Version 1“ eröffnet eine Klangwelt, die von Momenten atonaler Schönheit, flüchtiger Verspieltheit und abrupter Härte durchzogen ist. Es folgen die verhältnismäßig kompakten Klavierstücke I–IV sowie das Klavierstück VIII. Sabine Liebner verleiht diesen kürzeren Werken eine energische Klarheit, wobei im Klavierstück VIII bereits eine neue, breiter angelegte Klangfarbenpalette durchscheint.
Eine ganz eigene, berührende Dimension erreicht Liebner dann mit dem folgenden Klavierstück VII. Hier scheinen die für den Komponisten so wichtigen Faktoren Zeit und Raum in besonders stimmiger Weise ausgelotet. Die erste CD endet mit dem Klavierstück VI, welches mit rund 40 Minuten das zweitlängste Stück dieser Aufnahme ist – die Tempoangaben des Komponisten sind hier als Relationen vorgegeben, ein Grundtempo aber ist nicht festgelegt und obliegt somit der Entscheidung der Interpretin. Liebner wählt ein ausgedehntes Zeitmaß und haucht der facettenreichen Klanglandschaft dieses Stückes ein reiches, eigentümliches Leben ein. CD 2 beinhaltet neben der zweiten Version des Klavierstücks XI die jeweils in sich charakteristischen Klavierstücke V, IX und X. Nach der insgesamt ruhigeren, immer wieder in Stille verklingenden „Version 2“ balanciert die Pianistin im anschließenden Klavierstück V äußerst differenziert zwischen ruhigeren und bewegten Abschnitten. Hervorzuheben ist das Klavierstück IX, das bei Liebner eine außerordentliche, beklemmende Sogwirkung erzielt. Der Beginn des Klavierstückes X wartet im Anschluss daran mit einer geradezu befreiend verwegenen Wildheit auf. Mit diesem monumentalen, rund 45 minütigen Werk schließt Liebners absolut hörenswerte Aufnahme.
CD-Tipp
Karlheinz Stockhausen: Klavierstücke I–XI, Sabine Liebner: Klavier, WER 73412 (2 CDs), Koproduktion: BR