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In fremde Noten geschaut

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Carl Philipp Emanuel Bach wieder entdeckt
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Manchmal begegnet man einem Kollegen, den man Jahrzehnte lang nur dem Namen nach kannte und nicht für besonders wichtig hielt. In meinem Falle, also im Falle eines Komponisten, sind dies meistens Komponistenkollegen, die unter Umständen auch schon ein paar Jahrhunderte tot sind und plötzlich ins eigene Blickfeld rücken. Mit Claudio Monteverdi hatte ich vor zehn Jahren schon einmal ein solches Erweckungs-Erlebnis, in kurzer Zeit eröffnete sich mir eine Dimension künstlerischen Denkens, die ich kurz zuvor für nicht existent erklärt hätte.

Meist ist ein rundes Jubiläum der Anlass und deshalb liebe ich diese standardisierten Erinnerungsrituale, denn sie erinnern die Theater, Orchester, Musikschulen, den Rundfunk und die Verlage daran, dass womöglich eine musikalische Potenz im modernen Kulturbetrieb etwas unter Wert abgehandelt wird. Im gerade vergangenen Jahr beging die Musikwelt den 300. Todestag von Carl Philipp Emanuel Bach, einer der komponierenden Söhne vom Superstar des Barock, Johann S. Bach. Dieser, dessen Musik mir seit Kindesbeinen vertraut war, lebte als Thomaskantor in Leipzig. Denn ich besaß einen herrlichen Knabensopran und wollte Thomaner werden. Meine Mutter traf daraufhin aus der Partei aus und in die Kirche ein. Leider konnte ich keine Noten lesen und wusste nicht, zu was Terzen, Quarten und dergleichen gut sein sollten. Es klappte also nicht, und meine Mutter trat aus der Kirche wieder aus und in die Partei ein, bis sie wegen beharrlichen Fehlens hinausgeworfen wurde.

Vermutlich hätte ich mich niemals mit Carl Philipp beschäftigt. Denn die Berliner Musikgeschichte begann und endete aus der Sicht der Professoren der Leipziger Musikhochschule mit Weber und bot weiter nichts Erwähnenswertes. Doch das Schicksal findet Mittel und Wege und sandte eine Botin, im konkreten Falle die künstlerische Leiterin des Musikgymnasiums Carl Phillip Emanuel Bach Berlin.

Und obwohl dieses Gymnasium seit 25 Jahren den Namen von Carl Philipp trägt, hat sich doch noch niemand näher mit diesem Komponisten beschäftigt. Denn seine Werke sind nicht besonders populär, gelten als schwierig und auch ein bisschen undankbar für die Spieler.

Immer mal hörte ich: „Wir müssten uns doch eigentlich mal damit beschäftigen“, aber es kam nie dazu. Erst als Anfang des Vorjahres wieder ein schulinterner Dussmann-Wettbewerb stattfand, kam die Idee auf, dem Wettbewerb das Motto Carl Philipp zu geben, und vorrangig Musik dieses Komponisten zu spielen. Die Jury bestand aus führenden Musikern der Staatskapelle, der Hofkapelle des alten Fritz, das Umfeld war ideal, die Schülerleistungen beeindruckend.

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