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Die Honorarempfehlungen der Koalition der Freien Szene Frankfurt
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Die Koalition der Freien Szene Frankfurt hat mit ihren kürzlich erstellten Flyern neue Standards in Bezug auf die Honorarempfehlung für Instrumental- und Gesangsunterricht und Auftritte im Rhein-Main-Gebiet gesetzt. Anlässlich der Veröffentlichung sprachen wir mit Caroline Jahns, einer der Sprecherinnen der Koalition der Freien Szene Frankfurt.

neue musikzeitung: Seit wann gibt es die Koalition der Freien Szene Frankfurt und wieso wurde sie ins Leben gerufen?
Caroline Jahns: Die Koalition der Freien Szene Frankfurt  wurde 2018 gegründet. Sie ist ein spartenübergreifender Zusammenschluss aller Künste, da wir alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Wir engagieren uns für mehr Sichtbarkeit der Freischaffenden, mehr Handlungsspielraum, bessere Einkünfte, eine auskömmliche Altersvorsorge, Vernetzung untereinander und Nutzung von Synergieeffekten. Wir machen dabei keinen Unterschied zwischen Mainstream und Underground, zwischen Hoch- und Popkultur, denn inzwischen gibt es hier fließende Grenzen. Wir möchten vor Ort etwas bewegen. Das können wir nur in Zusammenarbeit mit der Stadt und den Bürger*innen. Die etablierten Verbände arbeiten meist nur regional oder überregional und bilden die Nöte der städtischen Künstler*innen nicht ausreichend ab.
nmz: Welches sind die speziellen Probleme, mit denen freie Musiker*innen in Frankfurt zu kämpfen haben?
Jahns: Da gibt es zwei große Probleme, die existenzbedrohend für Viele sind: die Einkommenssituation und die Raumsituation. Wenn man über Einkommen in der Kulturbranche spricht, muss man klar sagen, dass in unserer Gesellschaft kulturelle Angebote großteils subventioniert werden und auch subventioniert werden müssen. Das ist für große städtische Institutionen eine Selbstverständlichkeit. Subventionen sind wichtig, damit etwa auch sozial schwächer Gestellte am Bildungs- und Kulturangebot teilhaben können. Freischaffende werden allerdings nicht subventioniert. Sie zahlen Proben-, Unterrichts- und Konzerträume selbst, sie tragen die Anschaffungskosten für ihre Instrumente, ihre Versicherungsbeiträge etc. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich die Freien aber an den Preisen der subventionierten Institutionen orientieren. Daher können sie kaum kostendeckend arbeiten. Das führt zu einer Benachteiligung der Freischaffenden.

Verschärfend kommt die Raumsituation hinzu. Das Raumangebot für Proben, Unterricht und Konzerte in Frankfurt ist rar und von freischaffenden Musiker*innen kaum zu finanzieren. Es gibt nur wenige Einrichtungen die günstig genug sind. Diese sind jedoch ausgelastet oder die Nutzung scheitert an ungünstigen Regularien und Regulierungswegen. Die Räumlichkeiten der städtischen SAALBAU dürfen etwa nur von Vereinen und für nichtkommerzielle Veranstaltungen genutzt werden. Damit kommen diese Räumlichkeiten für ein professionelles Unterrichts- und Konzertangebot nicht in Frage. Eine Entlastung dieser angespannten Situation könnte zum Beispiel erreicht werden, wenn sich mehr Schulen für außerschulische Unterrichtsangebote zu bezahlbaren Preisen öffneten. Selbst die Vermittlungsplattform RADAR, die in Frankfurt Leerstände für die kreative Szene aufspürt, hat kaum ein Angebot für Musiker*innen, da die Geräuschkulisse durch die Musikausübung einen Störfaktor für Mitmieter oder Nachbarn darstellt. Aktuell verschlimmert die missliche Lage, da der Marbach-Bunker aufgrund von fälligen Sanierungen nicht mehr für die freie Musikszene zur Verfügung zu stehen droht.
nmz: Wie hat sich eure Arbeit durch Corona verändert?
Jahns: In der Pandemie haben sich in der freien Musikszene viele neue Konzertformate in Frankfurt entwickelt: 1:1 Concerts, die Nachbarschaftsmusik, die Treppenhauskonzerte, den Musik­liederdienst, Barock² und der Adventskalender der Freien Musikszene. Damit hat die freie Musikszene Frankfurt eine musikalische Basisversorgung in dieser Zeit geleistet. Das Angebot wurde durch die Hörer*innen sehr dankbar angenommen. Für den vorhandenen Bedarf gab es nie genug Plätze.
nmz: Warum ist die Herausgabe von Honorarempfehlungen für Instrumental- und Gesangsunterricht und Auftrittshonoraren für das prosperierende Frankfurt notwendig?
Jahns: Die Honorarflyer stellen einen wichtigen Schritt dar, um sowohl die Öffentlichkeit über die Arbeitsleistung von Musiker*innen zu informieren als auch die Musiker*innen selbst dafür zu sensibilisieren, auf bessere Verdienstmöglichkeiten und die Wertschätzung ihres Berufs hinzuwirken. Denn wie in ganz Deutschland sind auch in Frankfurt kostendeckende Honorare keine Selbstverständlichkeit.
nmz: Eure Flyer präsentieren keine „nackten“ Zahlen, sondern auch Hintergrundinformationen. Warum habt ihr euch entschlossen, diese mit in eure Flyer aufzunehmen?
Jahns: Das Verhandeln von angemessenen Honoraren ist nicht immer einfach. Oft haben wir Musiker*innen nicht die richtigen Argumente parat und sind uns unserer Arbeitsleistung nicht bewusst. Deswegen haben wir in einer AG – maßgeblich dabei: Sylvia Demgenski und Moritz Schneidewendt – die beruflich erforderlichen Tätigkeiten unserer Arbeit aufgelistet und deren Berechnung vorgenommen. Oft denkt man bei Konzerten nur an die rein musikalische Arbeit vor Ort. Dabei gehen dem Konzert zum Beispiel in der Regel tägliches Üben, viele Proben und Repertoirerecherche voraus. Auch die Arbeitsleistung für den Unterricht reicht weit über die reine Unterrichtszeit hinaus: Neben dem eigenen Üben sind die Vor- und Nachbereitung zu bedenken, die Elterngespräche, die Terminverwaltung, die Veranstaltung von Schülerkonzerten …
nmz: Welche Forderungen habt ihr, die die Situation speziell der freien Musikszene Frankfurts verbessern könnten?
Jahns: Wir wünschen uns von der Stadt Frankfurt, dass faire Honorare Eingang in die Förderungs- und die Veranstaltungspraxis finden. Außerdem sollten sich die Fördersummen und Bedingungen der Förderungen an der tatsächlichen Lebenswirklichkeit der Musiker*innen orientieren. Auch wünschen wir uns, dass die Stadt weitere Orte für die Freie Szene erschließt, Konzepte zur Pioniersnutzung entwickelt, existierende Angebote öffnet, sowie für ihre eigenen Liegenschaften Mieten in kulturverträglicher Höhe erhebt.

Wie in anderen Innenstädten passiert auch in Frankfurt zurzeit eine große Transformation: Durch Entlassungen in großen Unternehmen gibt es Leerstände in großen Gebäuden, Traditionsgeschäfte schließen, Pop Up Läden entstehen etc. Da auch die großen Kulturinstitutionen Frankfurts ein immer größeres Interesse haben, die Stadtgesellschaft in ihre Kulturangebote aktiv einzubinden, können hier notwendige Synergieeffekte mit der Freien Szene entstehen. In den Visionen zu einer zukunftsorientierten Innenstadt sollte die Stadt die Freie Kulturszene unbedingt in Planung und Ausgestaltung mitbedenken, um lebenswerte und nachhaltige Angebote zu schaffen. In diesem Jahr hat die Koalition der Freien Szene für alle Kunstsparten einen detaillierten Forderungskatalog erstellt und außerdem für die freie Musikszene eine Unterschriftenaktion gestartet. Wir freuen uns sehr, dass die darin formulierten Positionen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben und viele Mitglieder der Freien Szene nun zur Mitarbeit am Kulturentwicklungsplan der Stadt eingeladen sind.

Das Interview führte Ute-Gabriela Schneppat.

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