Die Quintettbesetzung begann am Ende des 18. Jahrhunderts ihren Siegeszug durch die Fürstenhöfe, Salons und Privatkammern. Ist es doch eine Besetzung, klein aber fein, mit der man nahezu alles realisieren kann: Kammermusik mit zwei Celli oder zwei Bratschen zu den hohen Streichern, aber auch Konzerte des alten Stils mit Streichquartett als Ensemble plus Solist. Entsprechend war der Ansporn für die Komponisten groß, derartige Werke zu schreiben oder bekannte Stücke großer Meister für den Hausgebrauch zu bearbeiten.
Auf der neuen CD des Labels Ars Vivendi mit dem Twins-Quartett Mozart-Salzburg und der Flötistin Adelheid Krause-Pichler werden mehrere Möglichkeiten ausgeschöpft und selten gespielte Werke vorgestellt. Hierzu zählt das Flötenkonzert von Ernst Eichner ebenso wie das Wiener Flötenquintett von Joseph Martin Kraus, das frühe erste Streichquartett Mozarts und die Bearbeitung zweier Mozart-Ouvertüren durch August Eberhard Müller (1767–1817). A. E. Müller, Dirigent, Komponist, Pianist, Flötist und Musikpädagoge, wurde nach der Ausbildung zum Organisten und Orchestermusiker 1789 mit 22 Jahren zum Musikdirektor in Magdeburg ernannt; in der Berliner Musikalischen Zeitung war darauf zu lesen, dass man den Musiker nicht nur „als überaus fertigen und gründlichen Clavier- und Orgelspieler … sondern auch als einen Komponisten, der theils schon jetzt unerwartet viel leistet, theils für die Zukunft noch weit mehr verspricht“, einzuschätzen habe. Ab November 1794 leitete er die Logenkonzerte in Magdeburg. In diesen Konzerten erklangen nun mehrere Werke Mozarts erstmals in Magdeburg.
Wolfgang Amadeus Mozart komponierte sein erstes Streichquartett mit 14 Jahren auf der großen Italienreise 1770 in Lodi (Lombardei). Das zunächst dreisätzige Werk wurde 1773/74 durch den vierten Satz „Rondeau“ vervollständigt. Auf dieser Reise mit seinem Vater, die über Verona und Florenz nach Rom führte, wurde Mozart bekanntlich von Papst Clemens XIV. 1770 zum „Ritter vom goldenen Sporn“ ernannt, ein Titel, von dem er nie Gebrauch machte. Dieses erste Streichquartett steckt voller musikalischer Überraschungen aber auch voller einfacher, schlichter Strukturen. Die Interpretation des Twins-Quartetts verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise die Auseinandersetzung mit den Effekten der Dynamik, des Wechsels zwischen naiven Liedstrukturen und strenger Durchführung. Joseph Martin Kraus (1756–1792) wurde nach Bildungsreisen über Dresden, Wien, Triest, Venedig, Rom und Paris Kapellmeister am Hof des schwedischen Königs Gustav III. und Direktor der Königlich Schwedischen Musikakademie. Sein innovativer frühklassischer Stil brachte ihm auch den Namen „Schwedischer Mozart“ ein. Das Gesamtwerk des Komponisten umfasst über 200 Partituren, darunter Kirchenmusik, Bühnen- und Ballettmusik, mehrere Opern, Sinfonien, Kantaten und Lieder sowie einige Kammermusikwerke. Das Flötenquintett besticht in erster Linie durch großangelegte, beinahe orchestrale Harmonik, durch außergewöhnliche Korrespondenz der Stimmen sowie eine klare stilistische Tendenz zu der bereits die frühe Klassik durchströmenden Romantik. Die große Geste der Kraus’schen Musik in kleiner kammermusikalischer Besetzung weist den Komponisten als wegweisenden Neuerer aus.
Ernst Eichner lebte von 1740 bis 1777. Geboren in Arolsen, erhielt er seine Ausbildung in der Nähe der fürstlich-waldeckschen Hofkapelle. Ab 1762 war er als Violinist Mitglied der Hofkapelle von Pfalz-Zweibrücken, die engen Kontakt zur Mannheimer Kapelle pflegte. Ab 1767 unternahm Eichner Konzertreisen nach Paris und London als Fagottvirtuose. Ab August 1773 stand er in Diensten des Kronprinzen von Preußen in Potsdam. Seine kurz vor dieser Zeit entstandenen Werke für Flöte (das Konzert sowie sechs Flötenquartette) weisen auf Bewerbungskompositionen des immer noch von der Flötenmusik Friedrichs II. beherrschten Hofes hin. Noch 1772 berichtet Charles Burney von der Kammermusik des Königs im Neuen Palais in Potsdam, in denen Friedrich II. drei (!) Konzerte hintereinander mit hoher Virtuosität absolvierte. Bereits im Frühjahr 1777 starb Eichner in Potsdam mit nur 37 Jahren. Er hinterließ 37 Sinfonien, Solokonzerte und diverse Kammermusik.
Das Flötenkonzert besticht durch unterhaltsame, fast volkstümliche Sätze, daneben jedoch durch empfindsame, der Flöte auf den Leib geschriebene Partien sowie vollmundige Streicherbegleitung. Dass das Konzert in mehreren Orchesterversionen (in kleiner Besetzung als auch mit alternativem Bläseraliquotsatz) gedruckt wurde, zeigt bereits die variablen Besetzungs- und Aufführungsmöglichkeiten der Zeit auf. Die Musikerinnen Elena Issaenkova, Violine I, Tatjana Issaenkova, Violine II, Elena Alekseeva, Viola, Irina Smirnova, Violoncello, zeigen neben größtem virtuosen Können und perfektem Zusammenspiel in erster Linie interpretatorisches Stilempfinden sowie nahezu analytische Darstellung, sowohl der Form, als auch der dynamischen und klangspezifischen Gegebenheiten.
Eine CD, mit der der Hörer die Nischen der frühklassischen Musikkultur entdecken kann.
Ars Vivendi: Fühklassische Kammermusik; Twins-Quartett Moskau-Salzburg, Adelheid Krause-Pichler, Flöte
LC 07082 / AV 2100266
Produktion Digital Media Service GmbH 2014