Romane, Biografien, Gesamtausgaben, Reiseberichte, Bildbände und Fachliteratur säumen die Treppe. Im ausgebauten Dachgeschoss des Hauses, das Dirk Hewig mit seiner Familie am Stadtrand Münchens bewohnt, ist jedes Fleckchen genutzt für die Bücher, die sich in einer langen Leseleidenschaft angesammelt haben. Hier ist Hewigs Arbeitsbereich, und die Bücher bezeugen, dass es auch ein Leben außerhalb der vielen Funktionen im Musikleben, die er lange Jahre bekleidet hat, gibt. Nun hat Dr. Hewig anlässlich seines 75. Geburtstages sein Ehrenamt abgegeben, um sich den Dingen zu widmen, die bislang hintanstehen mussten: Lesen, Kunstausstellungen besuchen, Italienisch lernen und vieles mehr.
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: „Ära Hewig“
Geboren wurde Dirk Hewig in Rheine/ Westfalen und wuchs im niedersächsischen Nordhorn auf. Die Eltern musizierten, der Bruder war ein guter Pianist, entschied sich aber gegen ein Musikstudium. Er selbst widmete sich anfänglich weniger musikalischen Neigungen, studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie in Freiburg, Münster und München und schloss sein Jurastudium mit einer rechtshistorischen Dissertation an der Universität München ab. 1969 trat er in den bayerischen Staatsdienst ein. Die Begegnung mit der Pianistin Sylvia Tröscher, mit der er seit 1975 verheiratet ist und zwei Kinder hat, verstärkte sein Interesse an der Musik. 1983 wurde er unter Kultusminister Prof. Hans Maier Leiter des Musikreferats im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Dieses Amt füllte er auch unter den nachfolgenden Ministern bis zu seiner Pensionierung 2003 aus. Hier war er zuständig für die Einrichtungen musikalischer Berufsausbildung, die Förderung nichtstaatlicher Orchester, die allgemeine Musikförderung und Festivals sowie für Nachwuchsförderung. Vieles konnte er in diesen zwanzig Jahren bewegen, so dass wir mit vollem Recht von der „Ära Hewig“ sprechen dürfen. Die Existenz der Bamberger Symphoniker konnte gesichert werden durch die Erhebung zur „Bayerischen Staatsphilharmonie“, die Konservatorien Augsburg und Nürnberg wie auch die Kirchenmusikschulen in Bayreuth und Regensburg erhielten den Hochschulstatus, die Konservatorien Würzburg und München wurden in die örtlichen Musikhochschulen integriert (in München verzögerte sich allerdings der Prozess und gelang erst fünf Jahre nach Dr. Hewigs Ausscheiden aus dem Ministerium).
Die Errichtung des Orff-Zentrums in München und des Richard-Strauss-Instituts in Garmisch-Partenkirchen sowie Auf- und Ausbau der Bayerischen Theaterakademie August Everding erfüllen Dr. Hewig ein wenig mit Stolz. Erstmals wurden auch Jazz und Popularmusik in die staatliche Förderung einbezogen unter anderem durch die Gründung des Jazzinstituts in Regensburg und des Landes-Jugendjazzorchesters Bayern. Die „Neue Alte Musik“ fand unter anderem eine Heimat in Regensburg und in Neuburg an der Donau. Die bayernweiten Festivals anlässlich der Jubiläen bedeutender Bayerischer Komponisten wie Orlando di Lasso, Richard Strauss, Werner Egk und Karl Amadeus Hartmann haben bis heute nachhaltige Wirkung gezeigt.
Kunst des Zuhörens, Integrierens und Gestaltens
Dirk Hewigs Qualitäten liegen im Zuhören, im offenen Ohr für jedes ernsthafte Anliegen sowie in der persönlichen Begegnung. Basis für seine Entscheidungen war immer der Rat von Fachleuten und Praktikern. Hier nennt er neben vielen anderen die ehemaligen Präsidenten und Direktoren bayerischer Musikhochschulen und Konservatorien Diethard Hellmann, Bertold Hummel, Erich Rösner und Martin Maria Krüger sowie Alexander L. Suder, den „Erfinder“ und langjährigen Präsidenten des Bayerischen Musikrats und dessen Nachfolger Wilfried Anton. War Dr. Hewig überzeugt von einer Sache und deren Umsetzbarkeit, ließ er keine Gelegenheit aus, sie mit sachlicher und freundlicher Argumentation durchzusetzen. Bei einer unsachlichen Diskussion hingegen konnte er auch heftig werden, was umso mehr Wirkung erzielte, als dass dies äußerst selten geschah. Seine Erfahrung und Kompetenz war nach der Wende bei der Neustrukturierung der Musikhochschulen in den neuen Bundesländern gefragt.
Vielseitiges ehrenamtliches Engagement
Was lag näher, als Dirk Hewig nach seiner Versetzung in den Ruhestand zu bitten, sich weiterhin ehrenamtlich für das Musikleben einzusetzen. Neben seiner Tätigkeit als Präsident der Deutschen Mozartgesellschaft und als stellvertretender Vorsitzender der Neuen Bachgesellschaft Leipzig und des Bayerischen Volksbildungsverbandes leitete er den Tonkünstlerverband Bayern von 2003 bis 2009. Dem Präsidium des Deutschen Tonkünstlerverbands gehörte er seit 2005 an – erst als Vizepräsident, die letzten drei Jahre als Präsident. In dieser Zeit initiierte der DTKV erfolgreiche Petitionen zur Umsatzsteuerbefreiung außerschulischen Musikunterrichts sowie zur Sicherung der Künstlersozialkasse, deren Forderungen mittlerweile weitgehend im Bundesgesetz verankert sind. Den traditionellen D-A-CH-Tagungen verlieh er seine Handschrift und sah in diesen Symposien eine wichtige Standortbestimmung zu aktuellen Fragen des Musiklebens. Darüber sollten Resolutionen und Dokumentationen auch politisch Verantwortliche informieren und Kontakte zu ihnen herstellen. Einige Baustellen, auf denen sich Dr. Hewig besonders engagiert hat, werden wohl auch seine Nachfolger noch lange beschäftigen, zum Beispiel die Situation der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen, das Urheberrecht oder das Kopierverbot von Noten.
Wir, die wir mit Musik zu tun haben, bedauern den Rückzug Dirk Hewigs aus seinen Ehrenämtern, sind aber sehr dankbar für alles, was er für das Musikleben in Bayern und Deutschland bewirkt hat. Dies findet auch Anerkennung in zahlreichen Ehrungen: Ehrensenator der Hochschule für Musik und Theater München, Goldene Stimmgabel sowie Carl-Orff-Medaille des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen, 1. Bayerischer Jazz-Preis, Silberne Mozart-Medaille der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, Ehrenvorsitzender des Tonkünstlerverbands Bayern sowie Ehrenpräsident des Deutschen Tonkünstlerverbands. Sein neuer Lebensabschnitt wird – so sagt Dirk Hewig selbst – neben manchen Verlusten auch viel Positives bringen; so erlaubt nun die freie Zeit, die schönen Augenblicke bewusster zu genießen. Wir wünschen ihm dazu alles erdenklich Gute und sind sicher, dass er ein bisschen auch weiterhin das Musikleben mit Interesse, Rat und Meinung begleiten wird.