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Glückliche Momente des Hörens

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Herbstliche Höhepunkte im Musikstudio und Galerie Gabriele Paqué
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Im Rahmen der neuen Ausstellung des Künstlers Victor Shtivelberg „ Watching and Listening“ fanden bisher drei Konzerte statt, die jedes für sich gesehen eine Rarität auf dem Gebiet der „Alten Musik“ darstellten und somit sehr besonders und aufregend waren – genauso wie die Kunst, die an den Wänden hing.

Das erste Konzert fand am 28. September mit dem Duo Sigrun Stephan und Prof. Gerald Hambitzer statt. Sie spielten als Duo auf zwei Clavichorden. Ein Clavichord zu hören, ist schon etwas  Besonderes, aber zwei Clavichorde zu hören, ist eine absolute Rarität.

Und so versammelten sich auch viele Liebhaber der Alten Musik an diesem Tag im Musikstudio, um sich diesen Ohrenschmaus zu Gemüte zu führen. Natürlich sind Gerald Hambitzer, Professor für Alte Musik an der HfMT Köln, und Sigrun Stephan allerdings auch Garanten für ein besonders schönes Konzert. Ein Markenzeichen bei den Konzerten von Gerald Hambitzer und Sigrun Stephan ist übrigens das üppige Verschenken von Hustenbonbons vor dem Konzert! Auch der musikwissenschaftliche Teil dieses Konzertes kam nicht zu kurz, indem beide interessante Informationen zu den Instrumenten und selbstverständlich auch zu den Komponisten referierten. So wird es sicher den ein oder anderen überrascht haben, dass das Clavichord aus dem 14. Jahrhundert stammt, womit es eines der ältesten besaiteten Tasteninstrumente ist. Dies ist umso erstaunlicher, als es sich hierbei um ein Instrument handelt, das bereits einen stufenlosen dynamischen Anschlag erlaubt, was erst wieder mit dem Fortepiano Jahrhunderte später gelang! Zusätzlich erlaubt es den Interpreten eine Art von „Vibrato“, das in diesem Konzert von beiden Musikern wunderschön dargeboten wurde. In der Technik ähnelt es etwas dem Cembalo, indem auch hier die Saiten gezupft werden, doch es ist ein wesentlich leiseres Instrument. Da man höchstens einen mittelgroßen Raum damit bespielen kann, wird man es wohl auch nicht in einer Philharmonie antreffen. Doch sobald man sich an die Lautstärke gewöhnt hat, erlebt man ein klangvolles Instrument, das mit der richtigen Technik (wie viele alte Instrumente ist es unglaublich sensibel und vergibt dem Interpreten keinen Fehler) einen verhaltenen, aber nichtsdes­totrotz einen sanft den Raum ausfüllenden Klang erzeugt. Selbst der feine Bass bietet eine Tiefe, die man dem Instrument gar nicht zutrauen würde!

Wenn man Clavichord hört, dann denkt der Liebhaber natürlich sofort an Johann Sebastian Bach, der dieses Instrument nicht nur kannte, sondern innig liebte. Dieses Konzert war allerdings nicht ihm selbst, sondern vielmehr seinen Söhnen Carl Philipp Emanuel, Johann Christian und Wilhelm Friedemann gewidmet. Natürlich durfte auch Wolfgang Amadeus Mozart nicht fehlen, der seinerzeit in London auf Johann Christian Bach traf und von ihm gefördert wurde. Ebenso war der Komponist Christoph Schaffrath zu hören, der ebenfalls zu Zeiten der Bachs lebte und mit ihnen konkurrierte. Allen Werken, die zumeist im Duo vorgetragen wurden, teilweise aber auch solistisch interpretiert wurden, hauchten die beiden Musiker in wundersam gefühlvoller Weise Leben ein, ohne sich bei den teilweise sehr anspruchsvollen Passagen zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Vielmehr fügten sich alle Elemente der Musik an ihren vorgesehenen Platz, sodass die Werke möglichst realitätsnah gemäß der alten Aufführungspraxis wiedergegeben wurden.

Das Konzert am 26. Oktober wurde zu einem weiteren Highlight. Auch dieses Mal spielte Sigrun Stephan allerdings auf zwei verschiedenen Cembali, und mit dabei war Andreas Nachtsheim mit seiner großen Auswahl an Lauteninstrumenten. Auf dem Programm standen Werke bekannter und weniger bekannter Komponisten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, gepaart mit einer Lesung aus „Über den Umgang mit Menschen“ von Adolph Freiherr von Knigge, die von beiden Interpreten in Abwechslung zwischen den Stücken vorgetragen wurde.

Wenn man an diese Zeit denkt, fallen einem zumeist Komponisten wie Bach oder auch Händel ein, die mit Sicherheit nicht ohne Grund zu den bedeutendsten Vertretern ihrer Epoche gehören – auch Frescobaldi ist sicherlich noch für viele ein Begriff. Deren Werke stimmten die Zuhörer mit vertrauten Klängen auf einen wohligen Nachmittag ein, zumal Sigrun Stephan wieder einmal bewies, dass sie eine ausgewiesene Expertin für alte Tasteninstrumente ist und diese anspruchsvolle Literatur auf höchst spielerische Art zum Erklingen brachte, während Andreas Nachtsheim mit dem sonoren Klang der Laute mal begleitend wirkte und dann auch wieder die Führung übernahm. Meist spielten beide Musiker jedoch in gleichberechtigter Weise. Von nur einer Laute zu sprechen, wäre allerdings eine Untertreibung, denn es waren gleich drei verschiedene Instrumente zu hören, wobei zwei von ihnen der Bauweise der Instrumente aus Mitteleuropa entsprechen, während die dritte Laute durch den Bau des Korpus schon fast einer kleinen Gitarre gleicht. Wie Andreas Nachtsheim zum Schluss des Konzerts erklärte, handelt es sich dabei um eine spanische Bauweise, was darauf zurückzuführen ist, dass sich die Spanier von den Arabern, die die Gitarre ursprünglich nach Europa brachten und Spanien besetzt hielten, absetzen wollten. In Nordeuropa behielt man jedoch für eine lange Zeit die ursprüngliche Form des Korpus bei, weshalb hier oftmals eher die tränenförmige Variante mit diesem Instrument in Verbindung gebracht wird. Auch Sigrun Stephan hatte noch ein kleines „Baby-Cembalo“ im Gepäck, das einen überraschend hellen, lauten Ton produzierte und teils sogar gleichzeitig mit dem großen Cembalo erklang!

Doch nachdem die Zuhörerschaft sich mit Händel so allmählich in die Musik eingehört hatte, ertönten mehr und mehr Stücke auch weniger bekannter Komponisten, und schnell fragt man sich, warum man von ihnen denn nicht mehr zu hören bekommt! So brachten Stephan und Nachtsheim mit Werken von Komponisten wie Jan Pieterszon Sweeelinck, Gaspar Sanz oder Diego Ortiz eine lebendige und tanzbare Musik zum Vorschein, die man wohl selten in der Alten Musik erwarten würde.

Auch hierbei handelte es sich um höfische Musik, doch sind die Melodien vielmehr volksnahen Liedern und Tänzen entliehen, sodass diese Musik paradoxerweise geradezu modern klingt, gerade in Anbetracht der Zeit, in der sie verfasst wurde. Allein dafür lohnte es sich schon, den spätsommerlichen Herbsttag im Musikstudio zu verbringen – es gab ja schließlich, wie anfangs erwähnt, auch eine Lesung.

Adolph Freiherr von Knigge schrieb mit „Über den Umgang mit Menschen“ einen Ratgeber über menschliche Verhaltensweisen, der in Teilen einem frühen psychologischen Werk gleicht, nicht ohne den Leser aber dabei auch mit Witz und Scharfsinn zu amüsieren. Dies trugen Sigrun Stephan und Andreas Nachtsheim im Übrigen mit viel Charme vor und so rissen sie die Zuhörer unmittelbar in ihren Bann. Knigge behandelte Themen wie die vier Grundverhalten des Menschen (Choleriker, Phlegmatiker, Sanguiniker und Melancholiker) und deren individuelle Zusammensetzung in den Menschen.

Ein anderes Mal erzählt er vom Umgang mit Frauen: So solle ein Mann stets wohl gekleidet sein, ohne aber ins Pompöse abzudriften und er hat auf Kleinigkeiten zu achten. Sitzt die Kleidung nicht richtig, merkt das eine Frau sofort! Auch erheiternd war der Vortrag über den Umgang mit Verliebten und letztlich natürlich auch der Umgang mit Freunden. Ein spannender Abend, bei dem das Programm perfekt in sich abgestimmt war!

Das dritte Konzert am 16. November 2019 war allein Johann Sebastian Bach gewidmet. Prof. Gesa Lücker der Hochschule für Musik und Tanz in Köln war zu Gast mit ihren Studenten im Musikstudio Gabriele Paqué. Insgesamt 14 Spielerinnen und Spieler gaben abwechselnd vom Blatt oder sogar auswendig ein oder zwei Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Clavier Band II zum Besten. Das komplette Werk hintereinander gespielt zu hören, wurde zu einem großen Ereignis für die Studenten, die Lehrerin und auch für das Publikum. Zu keiner Sekunde stellte sich da etwa Langeweile ein. Dieses komplexe Werk bietet für den Spieler und Hörer höchste Anforderungen und man wird des Hörens oder Lernens niemals überdrüssig. Die 24 Präludien und Fugen hat Johann Sebastian Bach jeweils zu einem kleinen Kunstwerk erschaffen. Die wechselnden Tonarten in Dur und Moll chromatisch aufwärts sortiert, bieten eine Vielzahl von unterschiedlichen kompositorischen Ereignissen und Stilen, die den Spieler dazu befähigen sollen, sich auch in die unterschiedlichen Charaktere der Tonarten und Stile der Zeit zu üben. Dies ist leichter gesagt als getan. Stellen doch jedes Präludium und Fuge den Spieler vor eine immense Aufgabe, das Werk „richtig“ zu interpretieren und dies auch noch mit technisch sehr hohen Ansprüchen. Mit großem Fingerspitzengefühl, musikalisch informiertem Spiel der Alten Musik (dafür sorgte nicht nur Gesa Lücker, sondern bei einigen interessierten Studenten auch Gerald Hambitzer, Professor für Alte Musik an der Kölner Musikhochschule) sowohl klanglich als auch musikalisch-technisch hervorragend vorbereitet, spielten die Studenten von Gesa Lücker ein sehr eindrucksvolles Konzert an diesem Nachmittag. Es waren glückliche Momente des Hörens.

 

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