„Jugend musiziert“ ist sicher der profilierteste und bekannteste Musikwettbewerb Deutschlands. Doch sind Wettbewerbe immer ein bisschen ungerecht – viele Teilnehmer haben einen Preis verdient, manche scheitern wegen weniger fehlender Punkte, und nur wenige stehen am Ende nach drei Durchgängen ganz oben. Und wie (und ob überhaupt) das musikalische Leben nach gewonnenen Preisen und Studium weitergeht, das steht sowieso auf einem ganz anderen Blatt.
Wieder einmal beschritt Berlin bei der Wettbewerbsdurchführung neue Wege. Denn erstmals gab es in Berlin Jugendliche auf der anderen Seite der Barrikade und die originelle Idee der Jugendjury konnte in zwei Kategorien realisiert werden. Es war außerordentlich spannend für die jungen Leute, nun auf einmal in die Rolle der Punktrichter zu schlüpfen und gleichaltrige andere Teilnehmer bewerten zu sollen. Denn das Nachdenken über die Musik und über die Interpreten verändert sich naturgemäß sofort und radikal. Nähere Informationen zu diesem interessanten Modellversuch sind im Artikel von Catrin Gocksch zu finden. Es wäre zu wünschen, dass das Modell bundesweit Nachahmer findet.
Erstaunlich und kaum erklärbar sind die geringen Teilnehmerzahlen im Bereich der Popmusik. Gerade bei dieser Art Musik müsste es Talente ohne Zahl geben. Diese nehmen aber offenbar nicht am Wettbewerb teil, weil sie nicht erreicht werden. Ein Großteil der Jugendlichen in diesem Bereich kommt nicht über die „klassische“ Musikschule, sondern über AGs, freie Träger, Vereine, Schularbeit, Stadtteilarbeit oder von freien Lehrern. Es könnte sein, dass der Wettbewerb in diesen Kreisen noch zu wenig bekannt ist. Auch die Kategorie „Band“ leistet noch nicht das, was sie vom gesellschaftlichen Stellenwert dieser Musik her leisten müsste oder könnte. Sehr zu empfehlen ist das Berliner Modell einer Arbeitsgruppe Popmusik bei „Jugend musiziert“, die die Entwicklungen des Teilwettbewerbs Popularmusik analysiert, Schlüsse daraus zieht und Initiativen entwickelt, um die Entwicklung voranzutreiben.
Es gibt aber leider ein Problem, für dessen Beseitigung es keine einfachen Antworten gibt, nämlich die Entwicklungen innerhalb der einzelnen Instrumente. Klavier und Streicher sind immer stark in Menge und Leistung, auch um den Klassik-Gesang, die Flöten, Geigen und Gitarren braucht man sich keine Sorgen zu machen. Fagott und Oboe dagegen sind auf dem Rückzug; Hörner, Posaunen und Tuba scheinen vom Aussterben bedroht. Generell scheint es in den Großstädten ein Problem mit dem tiefen Blech zu geben. Das Problem dahinter ist, dass die Theater und Orchester des Landes alle Instrumentengattungen in gleicher Leistungsbreite brauchen und auch die Ausbildungsplätze an den Hochschulen vorgehalten werden müssen. Denn im Gegensatz zum normalerweise vermittelten Bild des strahlenden Solisten ist Deutschland vor allem ein Land der Orchester, die die Musikkultur maßgeblich prägen. Die Ausbildungsstrukturen sind genau auf die Bedürfnisse der Theater und Orchester ausgerichtet und das ist gut so. Denn der wertvolle Schatz der über 50 Orchester muss unbedingt erhalten bleiben.
Noch ein Wort zur Wertung „Jugend komponiert“: Das ist in der Regel eine kaum beachtete, aber besonders spannende Veranstaltung, bei der glücklicherweise die Glaubenskämpfe vergangener Jahrzehnte nicht mehr ausgefochten werden und die Gräben der „Materialdiskussion“ zugeschüttet sind. Ich wurde bei meiner einzigen Teilnahme an einem solchen Wettbewerb für Schüler vor 40 Jahren noch aufgefordert, ich möge exakt zeigen, wo meine Zwölftonreihen anfangen und aufhören. Dergleichen wäre heute zum Glück undenkbar. Die Teilnehmer konnten Stücke auf CD einreichen oder mit Freunden selbst vorspielen. Danach gab es ausführliche, intensive und sehr offene Gespräche mit den Teilnehmern. Die Spannweite der Stücke reichte von herkömmlicher Kammermusik über echte Neue Musik bis hin zu Theaterperformances im Sinne des „Instrumentalen Theaters“. Diesen zarten Pflänzchen der komponierenden Jugend gebührt insgesamt mehr Aufmerksamkeit.
Dankenswerterweise konnte der Berliner Verlag Neue Musik gewonnen werden, einige Preise zu vergeben und einige der Stücke zu publizieren.