Was kann und soll neue Musik heute sein? Eine große Frage, die nach einer bedeutenden, gewichtigen Antwort zu verlangen scheint. Das Konzert des Münchner Tonkünstlerverbands in der Reihe „Studio für neue Musik“ mit dem Blechbläserquintett 4.1 und Christian Elin am Saxophon zeigte stattdessen, dass es auf komplexe Fragen manchmal auch simple Antworten geben kann – indem sie sich einfach auf die Suche machten. Suchen, Erforschen, Experimentieren und neugierig sein; damit lassen sich Antworten finden, ohne dass es vieler theoretischer Argumente bedarf.
Andreas Unterreiner und Manuel Eberle (Trompete), Andreas Fuchs (Horn und Cajón), Michael Hofnagel (Posaune) und Florian Mayrhofer (Tuba), das sind die jungen Musiker des Blechbläserquintetts 4.1, und mit jugendlichem Elan legten sie los. Als Denkanstoß für die Fragestellung des Abends diente gleich die erste Komposition von Andreas Unterreiner: die „Impulse-Suite“ mit den drei Sätzen „Flow“, „Fuge“ und „Final Dance“. Die drei Sätze bewegten sich zwischen changierenden Klangflächen und Melodien, strenger Form und rhythmisch-virtuoser Motivik, und bereits in diesem ersten Stück zeigte sich: Musik für Blechbläser muss nicht massiv oder gar „wagneresk“ sein, im Gegenteil. Filigran und vielschichtig verwoben sich die einzelnen Instrumentallinien zu einem dichten und doch transparenten musikalischen Gebilde.
Auch beim zweiten Stück „Prelude and Hymn“ war einer der Musiker der Komponist: Christian Elin am Sopransaxophon, der als Gast das Blechbläserensemble und den Konzertabend bereicherte. „Prelude and Hymn“ ist eigentlich ein Solo-Stück, in dem die Möglichkeiten der Mehrstimmigkeit auf einem Melodieinstrument ausgelotet werden. Das ist an sich nichts Neues. Schon im Barock wurde diese Idee häufig aufgegriffen – Bach war wohl der bekannteste Vertreter. So erinnerte Part I des Stücks auch an ein Bachpräludium. Allerdings klang es so, als ob Motive demontiert und neu und fremd zusammengesetzt wurden. Perlend strömten gebrochene Akkorde aus dem Saxophon und hüllten das Publikum in Klangwolken. Und dann begann das Experiment, denn der erste Teil geht eigentlich nahtlos über in den zweiten und dann in den dritten, doch nicht an diesem Abend. Nach Part I und II spielten auch die fünf Blechbläser mit, nah men Motive aus der Originalkomposition auf und führten sie weiter, setzten Kontraste und ließen ihrer Improvisationslust freien Lauf. Dass sie sich dabei durch den Raum bewegten, machte es noch interessanter zu hören und zu beobachten, wie die Musiker miteinander kommunizierten, sich die Bälle zuwarfen, sich trafen und trennten, bis die Improvisation wieder in Elins Komposition überleitete. Das Verweben eines auskomponierten Werks mit Improvisationen ist fraglos ein spannender – und hier überaus gelungener – Ansatz, sich auf die Suche nach dem Wesen neuer Musik zu begeben. In den „Charles-Chaplin-Fresken“ von Enjott Schneider wurden Motive aus dem Leben und den Filmen des großen Stummfilm-Komikers thematisiert und in manchmal melancholische, manchmal rasante und immer unterhaltsame Musik umgesetzt. Mit stimmungsvollen Reminiszenzen aus vergangenen Musikepochen arbeitete der Komponist Jörg Duda in den zwei Sätzen seiner „Serenade – Brass Quintet No. 1“. Die „Romance“ beschwor den romantischen Geist mit getragenen Waldhornklängen herauf, während die „Humoresque“ beinahe barock anmutete.
Im völligen Kontrast dazu stand „Pachamama I“, eine freie Improvisation. Wieder schufen die Musiker ein spontanes, sehr stimmungsvolles Stück Musik, das sich hinter keiner Komposition zu verstecken braucht. Die Struktur von Manuel Eberles „Pachamama II“ erinnerte ein wenig an Minimal Music: rhythmische und melodische Motive wurden immer wieder repetiert und bildeten die Basis für darauf improvisierte Soli. „Your song within me“ von Christian Elin dagegen – ein echter Song mit klarer Melodieführung und Begleitstimmen.
Die Vielfältigkeit des Konzertprogramms gab letztlich die Antwort auf die Frage nach dem Wesen von neuer Musik. Es ist nicht so leicht greifbar und muss es auch gar nicht sein. Neue Musik ist eine Möglichkeit – das könnte man vielleicht als erlebtes Fazit des Konzerts ziehen. Sie ist ein schillerndes Gewebe, in dem Spontanes und Improvisiertes sich mischt mit Althergebrachtem und Festgelegtem, wo melodische und geräuschhafte Elemente sich miteinander verweben und Stilrichtungen verwischen – und wo es keinen Widerspruch gibt, dass Ernsthaftigkeit und hohes Niveau auf Humor und Leichtigkeit treffen.