Die Omnipräsenz des Internets stellt den konservativen Musikjournalismus und somit auch Zeitungen wie diese auf den Prüfstein. Zeit für ein Resümee, fanden die Musikjournalisten Robert Jungwirth (KlassikInfo) und Michael Schmidt (BR-Klassik). Vor kurzem kam ihr Buch mit Essays von ihnen und anderen Musikjournalisten, Musikerinnen, einem Operndirektor, einer Pressesprecherin und einem Musikphilosophen heraus.
An dem Thema der Digitalisierung scheiden sich bekanntlich in allen Bereichen des Lebens die Geister. Die Vorteile sind nicht wegzudenken, der Preis ist oft eine gewisse Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit. In dieser Essay-Sammlung liegt die echte Erkenntnis allerdings im Detail und der Wendigkeit der Perspektiven auf das Thema.
So stellt sie sich als augenöffnende Lektüre nicht nur für Journalisten, sondern für alle, denen Musik irgendetwas bedeutet, vor. Auf der einen Seite beklagen sich Robert Jungwirth oder Sabine Siemon (ehemalige Pressesprecherin des Rheingau Musikfestivals) über die prekäre Situation der klassischen Rezensenten: So gebe es beispielsweise in den USA nur noch elf festangestellte Musikredakteure im ganzen Land. Qualität schwindet durch Werbetexte statt kritischer Auseinandersetzung, Dilettantismus in Online-Blogs oder oberflächliche Social Media Posts. Fördermaßnahmen müssten da her, um noch bestehende Strukturen des Qualitätsjournalismus zu retten. Denn: Das musikalische Angebot war noch nie so vielseitig wie heute.
Auf der anderen Seite betonen Frizz Lauterbach (Professor für digitale Kommunikation), Jürgen Christ (Leiter des Landeszentrums Musikjournalismus in Baden-Württemberg) und Michael Schmidt die neuen, digitalen Möglichkeiten. Nicht zuletzt, da alle drei an Hochschulen den Nachwuchs im Musikjournalismus aufbauen.
So sei es nach Frizz Lauterbach notwendig, dass sich der Journalismus relevanten, digitalen Entwicklungen stelle: Ein reflektiertes „Zusammenspiel von Mensch und Maschine“ biete eine spannende, neuartige Vermittlung von Musik – auch mit Tiefgang.
Trends zu Podcasts oder Zeitschriften und online-Angebote mit diversen, stark fokussierten Zielgruppen, WebPodcasts oder multimediale Interaktivität erweitern das vielseitige Aufgabengebiet eines Musikjournalisten. In Funkhäusern und Ausbildungsstätten sei dieser Wandel durchaus positiv. Das Angebote für vielseitig (tief) informierte Rezipienten sei wichtig, da sie weiterhin Wegweiser inmitten der Überfülle an musikalischem Angebot suchen.
Künstler wie Yaara Tal (Pianistin) und Wolfgang Rüdiger (Fagottist) stellen die soziale Vermittlerrolle des Journalismus heraus und befürchten mit dem Schwinden der Kritiker oder dem öffentlichen Diskurs ein Schwinden der Qualität in der Kunst. Ihr Kollege Manos Tsangaris (Komponist) geht noch einen Schritt weiter: „ein Musikleben, [...] ist ohne kritische Rezension nicht denkbar.“ Seine Kompositionen brauchen das Publikum und den öffentlichen Diskurs zum Überleben. Auch den Intendanten blieben nach Bernd Feuchtner (ehemaliger Operndirektor) wichtige Erstaufführungen verborgen, weil niemand darüber berichtet. Sein Appell: Die Kultur und der Journalismus solle seinem Publikum wieder mehr zutrauen.
Völlig am Ruder reißt nicht zuletzt Harry Lehmann (Musikphilosoph), er widerspricht allen bisherigen Autoren: Die klassische Musik an sich sei in der Krise; sie habe ihre identitätsbildende Funktion für das Bildungsbürgertum verloren. Zudem sei die Digitalisierung ein Machtverlust aller journalistischer Institutionen und eine Demokratisierung durch das Netz.
Fazit: Die Frage nach der Zukunft des Musikjournalismus kann in den Essays nicht unbedingt geklärt werden. Doch die Anregung zu Gedankengängen durch Bestandsaufnahmen, Appelle und die Betonung der Notwendigkeit eines Musikjournalisten hinterlassen insgesamt einen eher positiven Nachgeschmack.