Bereits am 22. Juni 2022 erfolgte das Urteil zur Sozialversicherungspflicht einer Musikschullehrkraft. Insbesondere die Urteilsbegründung sorgte schon damals für Aufsehen. Spätestens aber nach der Anpassung des Kriterienkatalogs durch die Spitzenverbände der Sozialversicherungen, mit welchem eine abhängige Beschäftigung beurteilt wird, herrscht Klarheit, welches Ausmaß dieses Urteil angenommen hat. Seit dem 01.07.2023 gilt dieser aktualisierte Kriterienkatalog und kommt sowohl bei Statusfeststellungsverfahren, als auch Betriebsprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung zur Anwendung.
Honorarkraft an der Musikschule
Betroffen sind alle Bildungseinrichtungen öffentlicher und privater Träger, die Honorarkräfte beschäftigen. Mein Fokus soll heute auf den Musikschulen liegen.
Wie sollen die Träger und Inhaber mit diesem neuen Status Quo umgehen? Von Seiten des Verbands deutscher Musikschulen hieß es erstmal: Ab sofort keine Honorarverträge mehr erstellen und die bestehenden Honorarverträge so bald wie möglich in Festanstellungen umwandeln. Auch der Bund der freien Musikschulen äußerte sich ähnlich. Hier wurde den Mitgliedern auf zwei Online-Sitzungen mitgeteilt, es gäbe für die Weiterbeschäftigung von Honorarkräften keinen sozialrechtlichen Spielraum mehr.
Im DTKV, seit jeher der Vertreter der freiberuflich tätigen Musikerinnen und Musiker, waren die Meinungen gespalten – auf der einen Seite der Wunsch nach endlich mehr Festanstellungen und auf der anderen Seite die Sorge vor den Folgen für die Mitglieder, die bewusst freischaffend arbeiten wollen und müssen.
Neue Situation
Um die Frage zu klären, wie mit der neuen Situation umzugehen ist, lohnt ein kurzer Blick zurück.
Schon lange gibt es die Kriterien zur Definition einer „Scheinselbstständigkeit“ – also einer Honorarstelle, die, bei Licht betrachtet, eigentlich eine abhängige Beschäftigung sein müsste.
Die Deutsche Rentenversicherung und auch die Finanzämter bei Lohnsteueraußenprüfungen sollen nach diesen Kriterien prüfen. Auch nach dem Kriterienkatalog vor dem 01.07.2023, davon bin ich fest überzeugt, hätten viele Honorarkräfte an Musikschulen als scheinselbstständig eingestuft werden können. So wurde zum Beispiel nach einem Rahmenlehrplan unterrichtet, für Konferenzen der Lehrkräfte galt Anwesenheitspflicht, Musikschulleitungen und Fachbereichsleitungen hatten Weisungsbefugnis oder an Stelle von Rechnungen durch die Honorarkräfte wurde das Honorar von einer zentralen Abrechnungsstelle ermittelt und überwiesen. Trotzdem gab es in der gesamten Musikschullandschaft kaum Fälle von ermittelter Scheinselbständigkeit. Im Gegenteil, es wurde sogar der Status der Honorarbeschäftigung bestätigt (siehe Gitarrenlehrerurteil des Bundessozialgerichts v. 14.03.2018). Am 28.06.2022 urteilte das Bundessozialgericht dann fast gegensätzlich. Hier wurde nicht dem Honorarvertrag, sondern dem tatsächlich gelebten Beschäftigungsverhältnis die ausschlaggebende Gewichtung gegeben.
Die Richterinnen und Richter und ein Jahr später die Spitzenverbände der Sozialversicherungen gingen zwar nicht soweit, die Beschäftigung von Honorarkräften per se abzulehnen. Dennoch ist es für alle Musikschulbetreiberinnen und Betreiber eine Herausforderung, diesen Katalog zu erfüllen.
Lösung gesucht
Alle beteiligten Verbände und Musikschulbetreiber sind sich einig, dass eine Lösung gefunden werden muss. Wenn es die finanziellen Mittel der Trägerinnen und Träger hergeben, sollten und müssen auch deutlich mehr Festanstellungen geschaffen werden, insbesondere für umfangreiche Beschäftigungsverhältnisse.
Leider ist es aber so, dass in vielen Kommunen das Geld knapp wird. Das statistische Bundesamt verzeichnet im Jahr 2023 ein Defizit von 6,8 Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahlen ist es utopisch, von einer umfänglichen Erhöhung der Musikschulförderung auszugehen.
Auch für die vielen privaten Musikschulen kommt ein Wechsel zum Festanstellungsmodell kaum in Betracht. Diese Musikschulen arbeiten lediglich mit den Einnahmen durch die Unterrichtshonorare. Müssten sie künftig die arbeitgeberseitigen Sozialversicherungskosten aufbringen, können diese nur über noch höhere Unterrichtsgebühren oder aber über niedrigere Stundenlöhne für die Lehrkräfte realisiert werden. Beides erscheint bereits auf den ersten Blick unrealistisch. Es ist daher meines Erachtens dringend erforderlich, einen Zweischritt zu vollziehen.
Die Berufsverbände müssen gemeinsam an die Deutsche Rentenversicherung und die politisch Verantwortlichen herantreten und eine erneute Überarbeitung des Kriterienkatalogs zur Definition abhängiger Beschäftigung erwirken. Insbesondere der schwerpunktmäßige Blick auf das Bestehen von Unternehmerrisiken und Chancen muss hinterfragt werden. Bis zur Überarbeitung des Katalogs sollte die Anwendung des selbigen ausgesetzt werden. Bis dato ist allen Betreiberinnen und Betreibern von Musikschulen anzuraten, den aktuellen Kriterienkatalog zu berücksichtigen. Dieser bedeutet allerdings nichts weniger als eine Reform des Musikschulbetriebs.
Hier zu sehr ins Detail zu gehen, würde den Rahmen sprengen. Es bedeutet jedoch nicht, wie in letzter Zeit öfter gelesen, die Reduzierung auf einen Agenturbetrieb oder den zwingenden Verlust von Qualität.
Vielmehr ist es der Weg hin zu einem partnerschaftlichen Miteinander von Musikschulleitung und Lehrkräften. Um den neuen Katalog zu erfüllen, müssen die Honorarkräfte deutlich mehr Freiheiten bekommen, allerdings, das ist ebenfalls wichtig, auch mehr Eigenverantwortung übernehmen. Es muss persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und Raum für Eigenwerbung und Expansion der Lehrkräfte geben, die Kosten für Raummiete und Inventar müssen gerecht aufgeteilt werden und vieles mehr.
Fazit
Der aktuelle Kriterienkatalog hat bei strikter Anwendung durch die Deutsche Rentenversicherung das Potential, die Musikschullandschaft als Ganzes nachhaltig zu schädigen. Bedingt durch die aktuelle politische Lage und die damit verbundenen chronisch knappen Kassen, würden die Musikschulen schrumpfen und teilweise sogar ganz verschwinden. Das muss auf jeden Fall verhindert werden! Außerdem sollte niemand glauben, dieser Kriterienkatalog diene als Mittel zur Durchsetzung höherer Honorare oder gut dotierter Festanstellungen. Die Gründe dafür habe ich bereits genannt.
Mein oben genannter Zweischritt muss sofort umgesetzt werden und wir als Verbände sollten gemeinsam und entschlossen auf die Politik und die DRV zugehen.
Martin Behm ist Präsident des DTKV-Brandenburg und Musikschulbetreiber
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