Für Musikstudierende und angehende Musiker:innen der klassischen Musikszene gibt es verschiedene Berufsperspektiven in der Musikbranche. Karrieremöglichkeiten sind sowohl in der Orchestermusik als auch im solistischen Bereich vorhanden – ebenso beliebt ist der Bereich der Kammermusik. Musikstudentin und Cellistin Merle Geißler engagiert sich auf allen drei Gebieten: Neben ihrem Violoncello-Studium ist sie als Orchestermusikerin, aber auch als Solistin bei diversen Orchesterprojekten tätig. Gleichermaßen bereichert auch das Kammermusikspiel im Bereich Klaviertrio ihr Musikleben. Das Amelio Trio wurde beim 72. ARD-Wettbewerb im vergangenen September mit dem zweiten Preis in der Kategorie Klaviertrio ausgezeichnet. Merle Geißler berichtet über ihre Karriere als Cellistin und ihre Leidenschaft für das Kammermusikspiel sowie über die musikalisch intensive Reise des Amelio Trios während des ARD-Wettbewerbs.
„Immer Musik machen und Spaß haben!“
Kammermusik wird als Spiel im Ensemble mit unterschiedlichen Besetzungen definiert. In der Regel erstreckt sich die Größe der Besetzung vom Duo bis hin zu neun oder zehn Musizierenden. Die Besonderheit der Kammermusik ist das in kleinerer Runde stattfindende Zusammenspiel und die sich daraus ergebende Synchronität sowohl in musikalischer Hinsicht als auch auf sozialer Ebene. Um einen gemeinsamen Klangkörper aus verschiedenen Instrumenten zu erschaffen, ist das Zuhören und Aufeinander-Reagieren als eine der wichtigsten Komponenten der Kammermusik aufzufassen, die im Rahmen von Kammermusik-Studiengängen oder Meisterkursen bei namhaften Professor:innen und Musiker:innen vertieft werden können. Des Weiteren geschieht die Vermittlung künstlerischer, instrumentaler und sozialer Kompetenzen für Kammermusik innerhalb der Studiengänge und Meisterkurse anhand der gemeinsamen Erarbeitung des Literaturspiels, der Analyse, Klangvielfalt und Intonation an vielseitig aufgestellten Werken aller Stilrichtungen.
Dadurch ist beim Prozess des Musizierens ein Wechselspiel aus Eigenständigkeit einzelner Ensemblemitglieder und Teamfähigkeit des Ensembles gegeben. Auch Wettbewerbe gehören zu den Fördermöglichkeiten der aktuellen Musikbranche. Insbesondere ermöglichen sie die Förderung von Nachwuchsmusiker:innen, sodass eine optimale Positionierung im Musikgeschäft gewährleistet wird. Das Angebot an Wettbewerben vor allem im Bereich der Kammermusik ist breit aufgestellt – von „Jugend musiziert“ als Wettbewerb für jüngere Musizierende bis hin zum internationalen Musikwettbewerb der ARD, der als einer der renommiertesten und größten Wettbewerbe für klassische Musik gilt.
Die Kategorie Klaviertrio war beim diesjährigen ARD-Wettbewerb im September 2023 vertreten. Auch das Amelio Trio gehört zu den Preisträgern des 72. Musikwettbewerbs der ARD (2. Preis), weitere Preisträger sind das Trio Orelon (1. Preis) und das Trio Pantoum (3. Preis).
Merle Geißler, geb. 1999 in Bad Soden am Taunus, ist eine deutsche Cellistin und Mitgründerin des Amelio Trios, das neben ihr aus der Violinistin Johanna Schubert und dem Pianisten Philipp Kirchner besteht. Ihr Studienweg führte – begonnen mit einem Jungstudium an der HfMDK Frankfurt – für den Bachelor of Music zunächst an die Hochschule für Musik und Tanz Köln, wo sie im Sommer 2023 ihr Bachelorstudium im Hauptfach Cello erfolgreich abschloss. Ihr Cello-Studium setzt sie nun im Master an der Musikhochschule Lübeck fort.
Die Begeisterung für das Cellospiel entdeckte sie früh: einerseits durch ihre musikbegeisterte Familie, andererseits inspiriert durch ein Konzert von Steven Isserlis, das sie im Alter von fünf Jahren besuchte, woraufhin sie im folgenden Jahr mit dem Cellounterricht begann. Die Kammermusik begleitet sie dabei von Beginn an, zunächst in Duo-Formationen. In ihren Jugendjahren nahm sie an verschiedenen Orchesterprojekten teil und qualifizierte sich für das Landesjugendsinfonieorchester Hessen sowie für das Bundesjugendorchester. Die Erfahrung, mit anderen Gleichaltrigen musizieren zu können, die viel Begeisterung für Musik mitbrachten, prägte ihre Motivation zum weiteren gemeinsamen Musizieren sowie zum Musikstudium positiv. Das Amelio Trio gründete sich parallel zu ihrer Zeit im Orchester. Geißler lernte die Violinistin Johanna Schubert, die bereits häufig mit dem Pianisten Philipp Kirchner zusammengespielt hatte, im Jugendorchester Hochtaunus kennen und sie entschieden sich, im Jahr 2012 als Trio an „Jugend musiziert“ teilzunehmen. Sie harmonierten schnell und entdeckten viel Freude und Spaß an der Kammermusik, sodass sich das Trio weiterhin erhalten hat.
Den Zusammenhalt und die Freundschaft zwischen den Mitgliedern des Amelio Trios merkt man anhand Erzählungen Geißlers: „Das Schöne ist, dass beim Trio die anderen beiden da sind und man sich gegenseitig helfen kann. Das macht gerade das Kammermusikspiel aus, dass man nicht allein ist und die Freude dominiert.“ Unterschiedliche Meinungen zu Interpretationen führten zwar manchmal zu Diskussionen, diese sieht Geißler jedoch als relevant für die Weiterentwicklung des Trios an: „Für uns ist es sehr wichtig, dass wir alle Ideen ausprobieren. Einerseits aus Respekt – damit sich jeder gehört fühlt und zum Zusammenspiel etwas beitragen kann.“ Andererseits sei das Ausprobieren und die anschließende gemeinsame Entscheidung wichtig, welche Idee für das Trio am besten funktioniert.
Der Name des Trios setzt sich aus den Vornamen der Mitspieler:innen zusammen. Geißler berichtet: „Es ist eine Kombination aus unseren Vornamen, auch wenn man es nicht vermuten würde: ein ‚me‘ von Merle, ein ‚li‘ von Philipp und ein ‚io‘ von Johanna, und auch noch ein ‚A‘ davorgesetzt.“ Konzerte, Auftritte und Übertragungen bei verschiedenen Radiosendern, Meisterkurse und Wettbewerbe gehören auch beim Amelio Trio zu den Hauptaktivitäten. Das Trio sei mit Werken des romantischen Komponisten Johannes Brahms, die das „Trio-Leben“ geprägt haben, emotional eng verbunden. Während das Erarbeiten des Repertoires in Wettbewerbskontexten wenig Freiraum bietet, wird außerhalb der Wettbewerbstätigkeit die Gelegenheit genutzt, sich in der Programmauswahl freier aufzustellen: „Unter anderem möchten wir auch Stücke finden, die vielleicht nicht so oft gespielt werden. Gerade Stücke von Komponistinnen, die oftmals massiv unterrepräsentiert sind, zum Beispiel von Lili Boulanger oder Rebecca Clarke. Bei Wettbewerben dagegen ist viel Standardrepertoire gefragt.“
Intensive Vorbereitung –
herausragende Darbietung
Das vergangene Jahr 2022 wurde unter anderem für die Vorbereitung des Wettbewerbs genutzt, um das geforderte Repertoire zu erarbeiten, das unter anderem aus Werken bekannter Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven sowie Schubert und Brahms bestand, aber auch Werke der Neuen Musik enthielt. Diese Zeit beschreibt Merle Geißler als eine intensive Arbeitsphase: „So wirklich in die heiße Phase ging es dann Mitte Juli diesen Jahres. Da haben wir angefangen, uns wirklich jeden Tag zu sehen, zu proben und viel gemeinsam zu machen. Wir sind auf Meisterkurse gefahren, um optimal vorbereitet zu sein. Der Wettbewerb selbst war unglaublich stressig – wie eine Riesenachterbahnfahrt! Wir haben innerhalb der Wettbewerbsphase alle zwei Tage gespielt. Insgesamt waren es vier Runden. Es war ein Wechsel aus einem Tag Spielen und einem Tag Pause beziehungsweise Vorbereiten. Besonders nervenzehrend daran ist, dass man nicht weiß, wie lange man noch da sein darf. Es verlängert sich immer um zwei Tage bis zur nächsten Runde. Das ist dann eine schwierige Aufgabe, jedes Mal immer noch so körperlich und mental fit zu sein, dass man die beste Leistung abrufen kann. Aber das ist natürlich eine besondere Erfahrung – gerade beim ARD-Wettbewerb! Ich finde es toll, diese Erfahrungen erlebt und mitgenommen zu haben.“
Den Ausgleich zwischen Stress und Spaß in Wettbewerbssituationen schätzt sie als wichtig ein: „Es gibt natürlich Momente, in denen es schwer und sehr stressig ist. Im Endeffekt machen wir es aber, weil es uns Spaß macht, und so muss man an die Sache rangehen: Immer Musik machen und Spaß haben! Es hilft natürlich, wenn es am Ende auch funktioniert.“ Sie beschreibt vor allem den Auftritt im Prinzregententheater in München als einen Moment des Loslassens und freien Spielens, gerade das Trio in B-Dur (D 898) von Franz Schubert im Finale sei ein schönes Erlebnis gewesen, in dem bei allen Musiker:innen das Miteinander und die Freude am gemeinsamen Spielen im Mittelpunkt stand.
Bei der Vorbereitung hätten – wie das Trio auch in einem Video auf dem Instagram-Kanal des ARD-Wettbewerbs berichtete – Triospaziergänge oder ein gemeinsames Frühstück zum Entspannen abseits der Musik geholfen, insbesondere an den Konzerttagen. Beim Üben für Wettbewerbe und Auftritte spielt für das Amelio Trio der Raum eine große Rolle: „Beim Proben darf es nicht nur den kleinen Überaum füllen, sondern das ganze Theater. Deshalb denken wir uns in den Proben schon in die Konzert- und Bühnensituation hinein.“
Neue Musik als willkommene Herausforderung
Das knapp achtminütige Pflichtstück „Kaolin“ (2023) – eine von der 1974 in Stockholm geborenen Komponistin Malin Bång erstellte Auftragskomposition – war im Semifinale von den verbliebenen sechs Klaviertrios gefordert. Kaolin, benannt nach dem chinesischen Dorf Gaoling, ist ein natürlicher, mineralischer Rohstoff und dient als Grundlage zur Herstellung von Porzellan, aber auch Handcreme und Puder in der Kosmetik. Anhand klirrend-scharfer Klänge, rauschender Momente, perkussiver Geräusche und in beide Extreme kontrastierender Dynamik stellt Bång dies musikalisch dar. Nicht nur die außergewöhnlichen Spieltechniken an den Instrumenten, sondern auch die fehlende Möglichkeit, vorab eine Aufnahme anzuhören oder anzusehen, stellt eine besondere Schwierigkeit dar. Das Amelio Trio, das großes Interesse an Neuer Musik pflegt, zeigt dabei keine Scheu. Geißler berichtet mit großem Enthusiasmus über die Erarbeitung von Bångs Komposition: „Durch die fehlende Aufnahme wird es natürlich zu einer schwierigeren Sache. Aber genau deshalb finde ich es total spannend, zu sehen, wie jedes Ensemble das Stück umsetzt.“
Zur Analyse des Werks gehörten das Einlesen der Legende und das Verstehen des Notentextes, der aus einer Mischung aus grafischer und traditioneller Notation bestand und somit die Umsetzung von gewissen erweiterten Spieltechniken erforderte: „Das Zusammensetzen dauert ziemlich lange, es macht aber gleichzeitig unheimlich viel Spaß, zu tüfteln, mit welcher Spieltechnik man wie den besten Klang erzeugen kann, vor allem auch mit ungewöhnlichen Spieltechniken. Zum Beispiel, wie man den Bogen doch so drehen kann, dass der Klang zu dem passt, was im Stück verkörpert werden soll.“ Auch in ihrer solistischen Tätigkeit findet Geißler, deren Hintergrund in der klassisch-romantischen Musik liegt, insbesondere deshalb spannend, zu beobachten, wie vielfältig die moderne Klangsprache ist und bringt somit eine Offenheit für neue Klänge mit, die auch für das Spiel der romantischen Musik wichtig sei.
Und nach dem Wettbewerb?
Die gemeinsame musikalische Arbeit des Trios werde sich mit dem Erfolg beim ARD-Wettbewerb nicht verändern. Zugleich teilt Geißler mit: „Was sich dadurch schon geändert hat, ist, dass sich tolle Möglichkeiten ergeben, zum Beispiel Anfragen für neue Projekte. Es ist natürlich ein tolles Sprungbrett in das professionelle Berufsleben.“ Wettbewerbe stehen häufig in Verbindung mit Aufstiegsmöglichkeiten, zugleich werden sie gelegentlich aufgrund der durch Konkurrenz und Druck verursachten Stresssituationen kritisiert. Merle Geißler aber verbindet mit Kammermusik-Wettbewerben andere bedeutsame Komponenten, und zwar die der Erfahrung und des Zusammenhalts: „Wir haben durch den Wettbewerb in vielen Bereichen viele Erfahrungen sammeln können, beispielsweise in der Programmlänge: Wir haben vorher noch nie so viel Programm in so kurzer Zeit spielen müssen. Wir haben aber auch sehr viel über uns gelernt, zum Beispiel wie wir uns in so einer Stress- und Drucksituation verhalten und mit unvorhersehbaren Momenten umgehen, die doch sehr oft in Wettbewerben auftreten. Diese Zeit hat uns als Trio sehr viel enger zusammengeschweißt und das ist das, was schön ist und wir daraus mitnehmen. Das ist das, was am Ende zählt. Dass man mit einer guten Erfahrung herausgeht, ganz egal, wie der Wettbewerb ausgegangen wäre. Uns hat es sowohl als Trio als auch als Persönlichkeiten weitergebracht.“
Persönlich freut sich Geißler gerade auf Ihren Wechsel zum Masterstudium an die Musikhochschule in Lübeck. Von dem Orts- und Lehrerwechsel erhofft sie sich vor allem neue Motivation und künstlerische Inspiration. Für die kommende Zeit werde aber weiterhin das Amelio Trio den Kern ihres musikalischen Lebens darstellen. Das Trio freue sich auf die kommende Konzertsaison sowie die Realisation neuer Ideen und aller Projekte, die sich durch die Teilnahme am Wettbewerb in München ergeben haben. In der Saison 2023–25 ist das Amelio Trio zudem neues Ensemble in Residence bei „ProQuartet – Centre Européen de Musique de Chambre“ in Paris. Der Zusammenarbeit, dem Austausch und den kommenden Herausforderungen sowie den Konzerten in Frankreich – zu denen auch Musikvermittlungsprojekte, Zusammenarbeit mit Komponist*innen und Auftritte mit seltener gehörtem Repertoire gehören werden – blicken sie mit großer Freude entgegen.
Über weitere Termine und Auftritte des Amelio Trios kann man sich unter: www.ameliotrio.com informieren.
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