2.600 ungedruckte Originalkompositionen von 130 zeitgenössischen Künstlern, die dem Deutschen Tonkünstlerverband angehören, umfasst das Manuskriptarchiv des DTKV, das von der Humperdinck-Stiftung in Siegburg unterstützt wird. Seit nunmehr 35 Jahren wird „Musik unserer Zeit“ gesammelt, zugänglich gemacht, verbreitet, und schlichtweg erfahrbar gemacht -hierzu gehört eine Reihe von Konzerten in verschiedenen Landesverbänden (bislang in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Thüringen), in denen unbekannte Werke aus dem Archiv präsentiert werden. Im September konzertierten im Hauptstadtstudio Berlin Musiker des DTKV ein eindrucksvolles Programm: Gotthard Kladetzky am Flügel, Hanna Krieger, Gesang, Adelheid Krause-Pichler, Flöte und Blockflöte sowie zwei junge Akademistinnen der Staatskapelle Berlin: Michelle Kutz, Violine und Anna Schemuth, Violoncello.
Zu Beginn erklang ein imposantes Klavierwerk von Werner Türk (*1956): die „Fantasia für Klavier“, komponiert 2018, in dessen Verlauf der Pianist seine virtuose Klangkunst darbieten konnte. Gotthard Kladetzky beendete das Musikstudium in seiner Heimatstadt Köln bei dem renommierten Konzertpianisten Claudio Arrau. Seit 1975 unterrichtet Kladetzky an Musikschulen sowie von 1982 bis 2019 gleichzeitig auch an der HfMT Köln und gab dort zahlreiche Konzerte. Besonders in Erinnerung bei den Musikfreunden bleiben die zyklischen Aufführungen der Klavierwerke von Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin,
Liszt, Brahms und Ravel. Er spielte aber auch in vielen Städten Deutschlands und Europas sowie in Südafrika und machte viele Rundfunkaufnahmen und über 20 Schallplatten- oder CD-Aufnahmen. Die wichtigsten Auftritte waren in der Berliner Philharmonie und in deren Kammermusiksaal sowie in der Stadthalle von Cape Town. Seit 1980 ist Gotthard Kladetzky Mitglied im DTKV (ehemals VDMK) und über 25 Jahre Mitglied im Vorstand und zuletzt Vorsitzender des BV Bonn/Rheinsieg. In dieser Funktion ist er in zahlreichen Fachgruppen und besonders als Juror bei „Jugend musiziert“ tätig.
Fünf Lieder von der Komponistin Brunhilde Sonntag (1936–2002) nach Gedichten von Paul Celan und Rose Ausländer für Sopran und Klavier „Fernen / Zwiegestalt / Der Gast / Einverständnis / Erinnerung“ zeigten die dramaturgisch betonte Seite der modernen Liedkomposition, die von Hanna Krieger, begleitet von Gotthard Kladetzky vorgetragen wurden. Die Sopranistin Hanna Krieger absolvierte ihr Gesangsstudium an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln mit mehreren Abschlüssen; aktive Teilnahme an internationalen Meisterkursen sowie Interpretationskursen für zeitgenössische Musik, in der Folge erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben; Konzerttätigkeit mit den Schwerpunkten Oratorium, Kunstlied, zeitgenössische Musik und „Musik und Literatur“ in vielen Ländern Europas sowie Amerika; zahlreiche Uraufführungen; Hochschuldozentin (davon 24 Jahre Fachleitung für Gesang an der Bergischen Universität Wuppertal), Leitung von Liedkursen und Jurorentätigkeit bei Wettbewerben.
Ein Solowerk für Alt-Blockflöte von Rudolf Mors (1920–1988) gehört zu den eher außergewöhnlichen Manuskripten im Archiv. Die „Kleine Suite“, komponiert 1986, erinnert stilistisch eher an die Zeit der sogenannten „Neudeutschen“ der 1960er-Jahre, mit vier Tanzsätzen dem Typus der damals beliebten Gesellschaftsmusik nahe. Die Flötistin Adelheid Krause-Pichler hatte sich dieser Darbietung angenommen und das kleine Werk zu Gehör gebracht.
Mit dem Duo für Violine und Violoncello op. 14/2 von Friedward Blume stellten sich die jungen Streicher – Musikerinnen der Staatskapelle – vor, die für dieses Konzert gewonnen werden konnten. In den drei Sätzen des Opus konnten beide brillante Klangkunst entwickeln, gepaart von sauberer Intonation und exakter Technik.
Michelle Kutz begann im Alter von acht Jahren, Violine zu spielen. Mit elf Jahren war sie bereits Jungstudentin bei dem Berliner Philharmoniker Axel Gerhardt an der Universität der Künste Berlin und setzte später ihre Ausbildung bei Professor Friedemann Wezel in Leipzig fort. Ihr Bachelor-Studium absolvierte sie in der Klasse von Professor Mark Gothoni an der Universität der Künste Berlin. Mit einem Magisterabschluss beendete sie ihr Studium schließlich in der Klasse von Prof. Boris Brovtsyn an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien. Zuletzt war sie Stipendiatin bei der Sommerakademie der Wiener Philharmoniker in Salzburg. Seit 2013 war sie vielfältig als Konzertmeisterin diverser Orchester tätig. 2017 erspielte sie sich einen Zeitvertrag bei der Dresdner Philharmonie und ist aktuell Akademistin in der Staatskapelle Berlin.
Die Violoncellistin Anna Schemuth absolvierte von 2012 bis 2017 ihr Bachelor-Studium an der Hanns-Eisler-Hochschule Berlin und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Konzerte mit der Orchesterakademie der Staatskapelle Berlin. Sie ist derzeit Akademistin in der Staatskapelle. Auf die gelungene Streich-Duo-Präsenz folgte der Liederzyklus für Hohe Stimme und Klavier „Tageszeiten“ (2017) des Komponisten Werner Türk nach Texten von Erich Türk mit den Liedern „über Nacht / kein Vogel / Morgenrot / Spinnacker“, vorgetragen von der erfahrenen Sopranistin Hanna Krieger. Die „Variationen über ein türkisches Liebeslied“ sind dem Land und den Menschen gewidmet, die die Komponistin Ursula Görsch (*1932) während ihres Aufenthaltes in der Türkei kennengelernt hatte. Das Stück für Flöte und Klavier zeigt sich als unterhaltsam – spritzige, improvisierende Variation. Adelheid Krause-Pichler und Gotthard Kladetzky performten dieses erheiternde Werk.
Die Flötistin studierte bei Aurele Nicolet, Nikolaus Delius, Heinz Hoefs, Andreas Blau und Hans-Martin Linde; musikwissenschaftliche Abschlüsse als Magister Artium und Dr. phil. 1976 bis 1996 war sie Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Berlin, an der Hochschule der Künste Berlin und an der Universität Rostock. Autorin einer Dokumentation über Komponistinnen in Deutschland. Rundfunkaufnahmen und CD-Produktionen mit Erstaufführungen aus dem 18. Jahrhundert sowie diverse Uraufführungen ihr gewidmeter Stücke.
Zum Abschluss des Abends erklang das Trio op. 101 für Violine, Violoncello und Klavier des Komponisten Ernst Kutzer (1918–2008). Ganz in der Tradition der für diese Besetzung typischen Klangfülle, in vorwiegend romantisch-impressionistischem Stil, beschloss dieses nennenswerte Klaviertrio den interessanten Konzertabend.
Es zeigte sich bei dieser Veranstaltung wiederum, dass viel mehr kompositorische Schmuckstücke in Schubladen ihrer Schöpfer oder Archiven schlummern, nur weil sie nicht gedruckt wurden.
Das Manuskriptarchiv des DTKV ist deshalb in besonderer Weise als wertvoll zu bezeichnen.