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Information, Aufklärung, Unterstützung

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Präsidiumsmitglied Edmund Wächter im Interview
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Seit Monaten wirken sich die Verordnungen im Zuge der Corona-Pandemie teilweise existenzgefährdend auf die Situation freiberuflicher Musikerinnen und Musiker aus. Der Flötist und Pädagoge Edmund Wächter spricht im Interview mit der neuen musikzeitung über die bestehenden Unterstützungs­angebote des Bundes und der Länder und deren mögliche Verbesserung und erläutert, wie sich der DTKV zusammen mit anderen Verbänden für Betroffene einsetzt.

neue musikzeitung: Die Lage vor allem unter freiberuflichen Musikerinnen und Musikern sowie für Musikpädagoginnen und -pädagogen ist aufgrund der Sicherheitsbestimmungen in Zusammenhang mit der Corona-Epidemie äußerst angespannt. Wie kommen nach Ihrer Einschätzung die Soforthilfen und der erleichterte Zugang zur Grundsicherung bei ihnen an?

Edmund Wächter: Einige sind dabei relativ glimpflich weggekommen, vor allem Musikpädagoginnen und -pädagogen, die online unterrichtet haben. Natürlich sind Schülerinnen und Schüler zum Teil weggeblieben, aber in einigen Bundesländern durften freiberufliche Pädagoginnen und Pädagogen auch weiterhin unterrichten, in Bayern zum Beispiel in Form von Hausbesuchen. Schülern von kommunalen Musikschulen gegenüber war das ungerecht.
Besonders getroffen hat es allerdings die konzertierenden Musikerinnen und Musiker, die von Muggen oder Aushilfen in Orchestern leben. Und gerade in den Großstädten sind das nicht wenige. Bei ihnen ist das Einkommen von einem Tag auf den anderen von hundert auf null zurückgegangen.
Die vom Bund bereitgestellte Corona-Soforthilfe war vor allem zur Deckung von Betriebskosten gedacht. Allerdings haben Musikerinnen und Musiker vergleichsweise geringe Betriebskosten. Sie finanzieren vielleicht einen Unterrichtsraum oder Instrumente, aber das Problem sind eher die Lebenshaltungskosten. Daher haben einige Bundesländer zeitlich begrenzte Soforthilfen gezahlt. Teilweise waren die Gelder allerdings schnell aufgebraucht, weil der Topf, aus dem sie bezahlt wurden, viel zu klein war.

Sicherheit – kurz- und langfristig

nmz: Beim erleichterten Zugang zur Grundsicherung werden sechs Monate lang beispielsweise auch die Wohnkos­ten übernommen, wenn das verfügbare Vermögen nicht erheblich ist. Wo liegt das Problem hier?

Wächter: Da gibt es vor allem eine psychologische Sperre. Viele fürchten den Absturz in Hartz IV. Dabei sehe ich den erleichterten Zugang zur Grundsicherung grundsätzlich positiv, auch wenn ich Einzelregelungen wie etwa die Berücksichtigung von Schmuck bei der Ermittlung des verfügbaren Vermögens schon hinterfrage. Hingegen finde ich es vernünftig, dass die Vermögensobergrenze, bis zu der Grundsicherung beantragt werden kann, bei 60.000 Euro liegt, für jedes weitere Mitglied im Haushalt bei 30.000 Euro, und dass beispielsweise Wohneigentum oder bei Berufsmusikern Instrumente nicht dazuzählen.

Der DTKV strebt außerdem eine Klärung an, dass diese Grundsicherung nicht mit anderen Hilfen, etwa den Zuschüssen durch die Länder, verrechnet wird. Manche unserer Mitglieder haben auch Angst, womöglich mehr zu bekommen, als ihnen zusteht, und diesen Überschuss dann später zurückzahlen zu müssen.

Insofern halte ich Information, Aufklärung und Beratung – auch vonseiten der zuständigen Behörden – für besonders wichtig. Denn wir Musikerinnen und Musiker stellen doch eine verhältnismäßig kleine und in ihren Bedürfnissen spezielle Gruppe auf dem Arbeitsmarkt dar.

nmz: Was kann Ihrer Meinung nach die Künstlersozialkasse (KSK), über die ja die meisten Mitglieder des DTKV sozialversichert sind, mittel- oder langfristig zu einer Verbesserung der finanziellen Situation beitragen?

Wächter: Die Künstlersozialkasse ist ein sozialpolitischer Segen, und der DTKV hat ihre Einrichtung und Gestaltung von Anfang an begleitet und unterstützt.
Das Problem hinsichtlich der Alterssicherung sehen wir allerdings darin, dass Versicherte ihre Sozialversicherungsbeiträge auf der Grundlage ihres geschätzten Nettoeinkommens entrichten. Bei einem niedrigen Einkommen – in der Sparte Musik zwischen 12.000 und 15.000 Euro im Jahr – bringt dieses Berechnungssystem zwar den Vorteil vergleichsweise niedriger Beiträge mit sich, aber eben auch den Nachteil sehr geringer Rentenanwartschaften.
Wenn ich zum Beispiel in ein Instrument investiere, mit dem Auto zum Unterricht fahre oder in meiner Wohnung unterrichte, können die Ausgaben, die ich ja auch steuerlich absetze und dann gegenüber der KSK von den Einnahmen abziehe, schon erheblich ins Gewicht fallen. Da kann es schon sein, dass nach 35 Jahren Berufstätigkeit 500 Euro gesetzliche Rente herauskommen. Das liegt deutlich unter den 30 oder 20 Prozent des Durchschnittseinkommens, das Voraussetzung für die aktuell angestrebte Grundrente ist.
Wir sehen die Möglichkeit zur Verbesserung darin, dass Versicherte freiwillig höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Natürlich kaufen manche zur Alterssicherung lieber eine Eigentumswohnung oder bauen – wenn sie können – ein Haus und zahlen weiterhin niedrige Sozialversicherungsbeiträge. Daher plädieren wir für die Möglichkeit einer freiwilligen Erhöhung der Beiträge in der Rentenversicherung beispielsweise durch deren Berechnung auf der Basis des Bruttoeinkommens. Arbeitnehmer dürfen ja auch ihre Rentenversicherungsbeiträge freiwillig aufstocken.

Der Unterricht hat sich verändert

nmz: Auch nach der Aufhebung des kompletten Shutdowns haben sich Bedingungen für Präsenzunterricht geändert. Was kommt auf Pädagoginnen und Pädagogen derzeit zu?

Wächter: Viele haben wie gesagt online unterrichtet, und viele Eltern haben diese Art des Unterrichts auch bezahlt. Ich habe bei manchen Schülerinnen und Schülern auch den Eindruck, dass sie die Zeit zuhause auch dazu nutzten, mehr als vorher zu üben, und entsprechende Fortschritte gemacht haben. Allerdings funktioniert der Unterricht an sich per Skype oder Zoom aufgrund der technischen Einschränkungen nur mit viel Disziplin wirklich gut. Fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler haben auch Aufnahmen geschickt und dazu eine Rückmeldung erhalten.
Abgesehen davon hat in den Bundesländern der Präsenzunterricht wieder begonnen, vor allem der Einzelunterricht, teilweise auch der Partner- oder Kleingruppenunterricht. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es schön, wenn sie wieder zusammenkommen können, auch wenn das Zusammenspiel auf Abstand schwierig ist.
Außerdem müssen alle darauf achten, einander nicht zu nahe zu kommen und sich die Hände zu waschen. Türklinken und andere Flächen, die angefasst werden, müssen regelmäßig desinfiziert und die Räume regelmäßig gelüftet werden. Wir empfehlen unseren Kolleginnen und Kollegen dringend, sich an diese Vorgaben zu halten, damit sich Unterrichtsräume nicht zu Ansteckungs-Hotspots entwickeln. Das würde nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch unserem Metier erheblich schaden.

nmz: Welche Unterrichtsformen sind immer noch eingeschränkt?

Wächter: Größere Gruppen wie Chöre oder Orchester können gegenwärtig noch nicht wieder proben. Es können also derzeit keine entsprechenden Konzerte stattfinden, dazu kommt das Verbot größerer Veranstaltungen, während demnächst kleinere Veranstaltungen mit entsprechenden Vorkehrungen wieder möglich scheinen.

nmz: Welche Folgen hat das?

Wächter: Eine gezielte Unterrichtsplanung wird hier immer wieder über den Haufen geworfen, so dass Spontaneität und Improvisationskunst von allen Beteiligten gefordert sind. Gewohnte und geplante Schülerkonzerte oder Ensembleproben werden abgesagt. Zwar bleiben die Kinder oder Jugendlichen oft in Kontakt – meine Flötenklasse beispielsweise per WhatsApp-Gruppe. Aber Wettbewerbe wie etwa „Jugend musiziert“ fallen auf Landes- und Bundesebene aus und lassen sich aus organisatorischen Gründen auch nicht nachholen. Und das ist für ambitioniertere Schülerinnen und Schüler ein großer Nachteil. Es braucht einfach Ziele und Höhepunkte. Selbst bei professionellen Musikerinnen und Musikern habe ich den Eindruck, dass das Fehlen des unmittelbaren Konzerterlebnisses ihre Motivation beeinträchtigt. Neben den finanziellen Einbußen und Sorgen fürchte ich eine gewisse Lethargie nach dem Motto „Wozu strenge ich mich eigentlich an?“.
Aus diesem Grund und um das Publikum zu erhalten gibt es wohl auch diese ganzen Streaming-Konzerte aus dem Wohnzimmer oder dem leeren Konzertsaal. Nur bringen sie den Darbietenden eben keinen finanziellen Nutzen. Auch die dabei fließenden Spenden sind kein Ersatz für ein reguläres Honorar.

Die inhaltliche Arbeit bleibt wichtig

nmz: Sie vertreten den DTKV im Bundesfachausschuss Bildung des Deutschen Musikrats (DMR). Wie sieht die Kooperation der Verbände, auch im Hinblick auf die Krise, aus?

Wächter: In diesem Ausschuss sind die verschiedensten Verbände vertreten, unter ihnen zwei, mit denen wir uns immer wieder austauschen, der Verband deutscher Musikschulen (VdM) und der Bundesverband der freien Musikschulen (bdfm). Und auch die Deutsche Jazzunion ist dabei. Es gibt sehr viele Schnittpunkte, da wir als Musikvermittelnde im schulergänzenden Bereich und auch als Konzertierende im Wesentlichen das Gleiche wollen, wobei sich das Instrumentarium, das Alter der Klientel und die stilistische Ausrichtung voneinander unterscheiden können. Musikpädagogik in der allgemeinbildenden Schule ist da eine andere Welt.
Eine Idee oder Lehre aus der Krise wäre, eine – beispielsweise beim Deutschen Musikrat angesiedelte – gemeinsame Plattform für Online-Angebote zu schaffen, für den Anfangsunterricht ebenso wie für Meisterklassen (vgl. Maiausgabe der nmz, Anm. d. Red.). Es soll ein einheitliches Angebot mit einem hohen technischen Standard sein, so dass die Plattform beispielweise auch von Ensembles für Proben genutzt werden kann. Hier könnte sich auch der Bildungsausschuss des DMR einbringen.
Vielleicht lässt sich als positive Folge des Shutdowns ja festhalten, dass wir gezwungen waren, uns mit den Möglichkeiten virtuellen Unterrichtens und Musizierens zu beschäftigen. Ich war am Anfang gar nicht begeistert davon, habe dann aber festgestellt, dass die Online-Formate durchaus auch Chancen bieten, nicht als Regel, aber als Ergänzung. Mit einem technisch ausgereiften Programm wäre etwa die Betreuung von Schülerinnen und Schülern während eines Auslandssemesters oder bei eingeschränkter Mobilität möglich.

nmz: Nun ist der DTKV ein bundesweiter Verband mit etwa 9.000 Mitgliedern. Es braucht nicht nur die Vertretung in Gremien, sondern auch eine wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit. Wie präsentiert sich der Verband derzeit?

Wächter: Für eine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im eigentlichen Sinn – um im Bewusstsein anderer präsent zu bleiben – fehlen dem DTKV die Mittel. Diese Aufgaben kann die Geschäftsführerin nicht noch zusätzlich schultern. Um mit Medien und anderen Ansprechpartnern in ständigem Austausch zu bleiben, wäre eine eigene Stelle erforderlich.
Unser Hauptmedium für den Außenauftritt, die neue musikzeitung, sehe ich in Form und Aufbau als reformbedürftig an. Nicht was den grundsätzlichen Inhalt angeht: Sie ist die einzige Zeitung, die Kulturpolitik mit Fokus auf die Musik als Hauptthema verfolgt. Aber an der Idee einer Reform arbeiten wir nun schon seit Jahren, sowohl was das äußere, an eine Tageszeitung angelehnte Erscheinungsbild angeht als auch die sehr unterschiedliche Qualität unserer Verbandsseiten.
Ich könnte mir ein digitales Format vorstellen, das online verfügbar ist, und dazu einen Newsletter. Dazu müsste uns allerdings erst einmal bekannt sein, wie wir mit allen unseren Mitgliedern in Kontakt treten können.

nmz: Wie empfinden Sie das Verhältnis zwischen den Landesverbänden und dem Bundesverband?

Wächter: Das Verhältnis ist je nach Landesverband unterschiedlich. Aber die Basis, das sind immer noch die Regionalverbände, hier geschehen die wichtigen Dinge. Starke, aktive Regionalverbände, die beispielsweise Veranstaltungen ausrichten, habe viele Mitglieder.
Grundsätzlich empfinde ich das Verhältnis zwischen Landesverbänden und Bundesverband als gut, auch wenn es natürlich immer wieder Auseinandersetzungen gibt. Aber die braucht es gelegentlich auch, um nicht in selbstgefällige Bedeutungslosigkeit zu verfallen.
Als Problem empfinde ich, dass manche Landesverbände den DTKV-Bundesverband als eine Art Gewerkschaft betrachten, die sich vor allem für die juristischen, sozialen und politischen Belange ihrer Mitglieder einsetzt. Das ist selbstverständlich wichtig. Aber gewisse Bereiche müssen auf Länder- oder Regionalebene gelöst werden und sind nicht delegierbar. Der Bundesverband kann helfen, beraten, vernetzen und muss die bundeseinheitlichen Themen bearbeiten, auch auf politischer Ebene.
Mindestens genauso spielen allerdings die kulturelle Ausrichtung und die Bildungsarbeit beim DTKV eine Rolle. Beides gehörte von Anfang an, seit 1847, zum Wesenskern der Tonkünstlerverbände und bringt uns heute noch Mitglieder, denen es in erster Linie um fachlichen Austausch, Auftritts- und Aufführungsmöglichkeiten und Weiterbildungsangebote geht. Heute kann man sich gar nicht vorstellen, dass in Verbandskonzerten des 19. Jahrhunderts bedeutende Sinfonien uraufgeführt wurden und es gleichzeitig ein Erholungsheim für Tonkünstler an der Ostsee gab. Dafür haben wir heute die Künstlersozialkasse.
Was ich damit sagen will, ist: Es gab in unserem Verband immer zwei Schienen, und die sollten wir als Musikfachverband auch beibehalten. Gerade diese künstlerische und künstlerisch-pädagogische Idee erfährt in manchen Landesverbänden meiner Auffassung nach seit einiger Zeit zu wenig Beachtung, dabei liegt gerade sie unserem Verband zugrunde.

Wichtige Informationen im Zusammenhang mit der Corona-Krise gibt es im Newsticker des DTKV unter www.dtkv.org sowie unter https://www.kuenstlersozialkasse.de/die-ksk/meldungen.html und
https://www.arbeitsagentur.de/corona-faq-grundsicherung

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