Mit folgenden Worten hat die Jury in Düsseldorf Irene Kurka am 9. Dezember 2014 den Förderpreis der Musik verliehen: „Seit vielen Jahren wirkt Irene Kurka als Solistin, in verschiedenen Ensembles, bei Oper/Musiktheater-Projekten, Oratorien und bedeutenden Neue-Musik-Aufführungen. Ihre ganz hervorragenden sängerischen Qualitäten stellt sie immer wieder unter Beweis, insbesondere auch bei zahlreichen Uraufführungen von namhaften Komponisten. Rundfunk-, Fernseh- und CD-Aufnahmen ergänzen ihr künstlerisches Profil. Darüber hinaus konzertiert sie erfolgreich deutschlandweit und international.“ Adelheid Krause-Pichler sprach mit der Künstlerin.
Adelheid Krause-Pichler: Wann hast Du Deine Stimme entdeckt?
Irene Kurka: Ich habe als Kind schon immer gesungen und mich auch auf der Bühne wohlgefühlt. Es fiel früh auf, dass meine Stimme klar und intonationssicher war. Mit elf Jahren sang ich Kinderrollen in Carmen, Rosenkavalier, La Boheme am Nürnberger Opernhaus.
Krause-Pichler: Bist Du in einer musikalischen Familie aufgewachsen? Wer hat Dich gefördert?
Kurka: Meine Eltern spielen beide ein Instrument und haben mich in jungen Jahren natürlich gefördert. Als es später darum ging, ausschließlich Gesang zu studieren, musste ich mich durchsetzen. Ich besuchte ein musisches Gymnasium, wo ich Klavierspielen lernte und in Musiktheorie und Gehörbildung unterrichtet wurde, was mir später im Studium gute Dienste leistete.
Dort kam ich auch in Berührung mit modernen Stücken wie der Sequenza von Berio, dem Gesang der Jünglinge von Stockhausen und John Cages Präpariertem Klavier. Und ich fühlte: Du wirst eines Tages eine Berio Sequenza singen, was ich dann auch tat.
Krause-Pichler: War seit Beginn des Studiums klar, dass solistische Kammermusik und zeitgenössische Musik im Fokus stehen?
Kurka: Anfangs dachte ich, dass ich eine klassische Opernsängerin würde. Aber die neue Musik kam immer wieder zu mir. Bereits in meinem Studium in Dallas in den Vereinigten Staaten war ich die einzige Studentin, die neue Musik sang. Da die dortige Universität auch Masterstudenten in Komposition hatte und diese Konzerte mit ihren Werken organisierten, kamen sie bald alle zu mir. Es hieß dann immer: „go to the crazy German“, die singt das. In der Folge kamen auch Kompositionsstudenten aus benachbarten Universitäten und Städten zu mir.
Ich mochte die neue Musik immer schon sehr gerne. Ich mag den Kontakt zu den Komponisten und dass wir uns gegenseitig inspirieren. Jedes Stück ist eine neue Herausforderung, weil jeder Komponist so unterschiedlich schreibt. Ich darf dabei viele Facetten meines Könnens zeigen.
Zum Sologesang, also Stimme ohne Begleitung, kam ich 2009. Nach ersten Erfahrungen in der neuen Musik suchte ich eine weitere Epoche. Ich wurde im Mittelalter mit Hildegard von Bingen fündig. Da die neue Musik und die mittelalterliche Musik viele Gemeinsamkeiten und natürlich auch Gegensätze haben, die wunderbare Programmkombinationen ergeben können, verbinde ich gerne die Musik von Hildegard von Bingen mit zeitgenössischen Kompositionen. So kam es auch zu einer CD mit Hildegard von Bingens Antiphonen und John Cages Sonnekus², die ich mit dem Bayerischen Rundfunk und der Edition Wandelweiser Records veröffentlicht habe. Bald erscheint eine weitere Solo-CD zum Thema Beten, die ebenfalls mit dem BR produziert wurde. Dieses Programm durfte ich auch beim Huddersfield Contemporary Music Festival und bei L’Auditori in Barcelona singen.
Krause-Pichler: Wofür kannst Du Dich in Deiner Arbeit besonders begeistern?
Kurka: Es macht mir große Freude, Projekte gemeinsam mit einem Komponisten zu entwickeln und an vielen Schritten der kreativen Entwicklung teilzuhaben. Ich habe dadurch ein gutes Gespür für Themen entwickeln können, auch zu der Frage, welche Komponisten zu welchem Thema passen. Immer mal wieder habe ich mir Herzensprojekte erfüllen dürfen, bei denen ich dann auch die Produktionsleitung übernahm: Stabat Mater, Salome-Extrakte, Das Innere des Äußeren, Beten sowie Hildegard von Bingen und John Cage.
Ich empfinde es auch als große Bereicherung, dass ich nun zusätzlich zu meiner intensiven Beschäftigung mit neuer Musik die mittelalterliche Musik in einem Masters of Music für Musik des Mittelalters an der Folkwang Universität der Künste in Essen studieren kann. Für mich geht dabei nicht nur erneut eine neue Welt auf. Die Beschäftigung mit dem Mittelalter hat auch direkten Einfluss auf meinen Zugang zur neuen Musik. Es gibt bereits Komponisten, die dies im Austausch mit mir wiederum für ihre Werke nutzen.
Krause-Pichler: Seit wann engagierst Du Dich besonders für Werke von Komponistinnen?
Kurka: Ich entscheide mich für Stücke, die mich persönlich ansprechen und deren Qualität mich überzeugt. Ich entdecke dabei immer wieder auch großartige Künstlerinnen und Komponistinnen. Aber entscheidend ist für mich die Faszination einer Komposition.
Meine erste Begegnung mit einer Komponistin war noch zu Schulzeiten im Zusammenhang mit Liedern von Fanny Mendelssohn Bartholdy. Ich sang ihre Lieder bei meinen Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen und nahm später auch zwei ihrer Liederzyklen auf.
Krause-Pichler: Empfindest Du die Rolle der Frau in der Musikerszene inzwischen überhaupt als gleichberechtigt, das heißt ist Frauenförderung in diesem Punkt nach wie vor notwendig?
Kurka: Ich arbeite mit Komponistinnen aus verschiedenen Generationen. Dadurch erlebe ich, wie viel hier bereits erreicht wurde – auch wenn die Arbeit an diesem Thema natürlich weitergeht und auch weitergehen muss. Mich selbst als Sopranistin betrifft es allerdings eher weniger, da man für einen bestimmten Part eine Sopranstimme sucht oder eben nicht.
Krause-Pichler: Wie siehst Du die allgemeine Problematik des Musikers in unserer Gesellschaft?
Kurka: Ich denke, jede Situation bietet wieder neue Möglichkeiten. Diese gilt es dann zu nutzen. Manchmal entstehen gerade durch auf den ersten Blick negative Veränderungen die positivsten Entwicklungen.
Krause-Pichler: Ist der interkulturelle Dialog befruchtend oder belastend für unsere Kultur?
Kurka: Da ich ein neugieriger Mensch bin, fasziniert mich immer das, was für mich neu ist – auch künstlerische Einflüsse anderer Kulturen.
Dabei ist es gut zu wissen, wo man sein musikalisches Zuhause hat, um dann neue Einsichten und Wege integrieren zu können.
Krause-Pichler: Wie würdest Du eine bessere musikalische Bildung gestalten: Familie – Kita – Schule – Begabtenförderung?
Kurka: In all diesen Bereichen sollte Musik Kindern zugänglich gemacht werden, nicht zuletzt weil es dem Menschen einfach gut tut. Besonders begabte Menschen wiederum finden immer ihren Weg. Dabei ist es auch eine gute und wichtige Erfahrung, Widerstände zu überwinden. Das habe ich selbst erlebt.
Krause-Pichler: Wie viel Wert sollte auf der musikalischen Tradition liegen?
Kurka: Was versteht man unter musikalischer Tradition? Unser Volksliedgut? Unsere klassische Musik? Natürlich ist es gut, wenn wir das noch kennen und auch singen können. Es gibt uns einen Bezug zu unserer Heimat und zu unseren Wurzeln.
Zugleich würde ich mich sehr darüber freuen, wenn in den musikalischen Einrichtungen und vor allem auch in den Musikhochschulen neue Musik viel selbstverständlicher und stärker gelehrt würde. Es gibt auch in der neuen Musik Stücke, die sind allmählich hundert Jahre alt. Ist das nicht auch schon eine musikalische Tradition?
Krause-Pichler: Wenn Du wählen könntest: welches sind Deine Wunschziele – große Opernbühne oder eigenes Ensemble?
Kurka: Im Moment freue ich mich am meisten darüber, wenn Veranstalter mich mit meinen Soloprogrammen buchen und ich das Publikum als Sängerin nur mit meiner Stimme alleine auf der Bühne berühren und überzeugen darf.