Seit 2004 bietet der Landesverband Bayerischer Tonkünstler jährlich einen Meisterkurs für Klavier des renom-mierten Pianisten Karl-Heinz Kämmerling an. An diesem Kurs nahmen 25 aufstrebende Pianistinnen und Pianisten teil, von denen sich neun im Alter von 13 bis 21 Jahren im Schlusskonzert vorstellten.
Bereits bei früheren Konzerten wurde die zunehmende Tendenz zu technischer Perfektion bei gleichzeitiger Vernachlässigung der musikalischen Gehalte konstatiert. Das galt auch für Teile des jüngsten Abends.
Der 13-jährige Amadeus M. Wiesensee stellte sich bei Claude Debussys Prélude „La Cathédrale engloutie“ (Die versunkene Kathedrale) weniger der technischen Bewältigung als vielmehr der Verinnerlichung der impressionistisch eingefärbten Studie, die ihm mit viel Einfühlungsvermögen überzeugend gelang. Anders der Kroate Javor Bracic, der die Tanzcharaktere der vier Sätze von Händels Suite g-Moll mal im akzentlosen Dauerlegato, mal in perlender Fingerfertigkeit einebnete. Die 21-jährige Armenierin Lilit Grigoryan begann Felix Mendelssohn Bartholdys ausgreifende „Variations sérieuses“ d-Moll op. 54 sensibel mit ausgeprägtem Klangsinn, verfiel aber zunehmend mit flinken Fingern, donnernde Knalleffekte nicht scheuend, der derzeitigen Tendenz im Klavierspiel: laut und schnell.
Mia Miljkovic aus Kroatien ließ im Kopfsatz „Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen“ aus Robert Schumanns Fantasie C-Dur op. 17 in ihrer Anfangsnervosität offen, was ihr wichtiger war: eine schön gesungene melodische Linie oder die dichte Begleitung. Dann aber löste sich die rechte Hand von der linken, und sie traf den Charakter des Satzes bestens.
Die technisch ausgereifte wie von tiefem musikalischen Verständnis durchdrungene Interpretation von Robert Schumanns „Carnaval” op. 9 der erst 15-jährigen Italienerin Sophie Pacini war eine veritable Sensation! Schumann zeichnet hier in 21 virtuosen Miniaturen die Charaktere hinter den Masken des venezianischen Karnevals nach, bindet seine geistigen Mitstreiter, den sanft strebenden Eusebius und den wild vorpreschenden Florestan, ein, ebenso seine erste Geliebte Ernestine von Fricken, deren Geburtsort Asch er mit der Tonfolge A-Es-C-H zitiert. Dazwischen streut er Walzer und schließt mit dem Tanz der Davidsbündler, seiner imaginären Künstlervereinigung. Dieses kleinteilige Bild verstand Sophie Pacini aus sorgfältigst gearbeiteten einzelnen Facetten zu einem überzeugenden Ganzen zusammenzufügen. Eine gedankliche Meisterleistung, gepaart mit technischer Souveränität! Wie die junge Pianistin Imaginiertes greifbar werden ließ, das gelingt Älteren nicht immer mit der unbekümmerten Direktheit Pacinis, die dem Jugendwerk „Carnaval“ gut steht.
Valentina Babor (17), musikalisch reif und ausdrucksstark, formte die kontrastreichen Gedanken des Kopfsatzes der 3. Klaviersonate f-Moll op. 5 von Johannes Brahms zu einer Einheit von bezwingender Ausdrucksdichte, dies pianistisch mit der wohl ausgeprägtesten Anschlagskultur aller neun Vortragenden. Ihr Forte ist rund, nie laut, entsteht geradezu zwingend aus klangvollen Piani. Sie präsentiert mit überlegener Technik die musikalischen Gehalte. Die Tarantella aus Franz Liszts „Venezia e Napoli“ ist als anspruchsvolles Virtuosenstück auch musikalisch nicht ohne Reiz; sie wurde in beiden Belangen eindrucksvoll von der Französin Justine Verdier gestaltet. Mona Ott verstand „La Campanella“, eine Paraphrase von Franz Liszt und Ferruccio Busoni über den Schlusssatz aus Paganinis 2. Violinkonzert, lediglich als Mittel zur Präsentation ihrer stupenden Technik. Katja Huhn gelang es, mit Einfühlungsvermögen zwei spröde Sätze aus der Klaviersonate Nr. 7 B-Dur op. 83 von Sergej Prokofieff zum Klingen zu bringen, bevor sie den Abend stimmungsvoll mit der hingehauchten Berceuse Des-Dur op. 57 von Frédéric Chopin beschloss.