Die erste Begegnung mit Hans Schmidt-Mannheim, der am 30. Januar 2021 seinen 90. Geburtstag feiern darf, bleibt unvergesslich und wirft zugleich ein charaktervolles Bild auf den jung gebliebenen Jubilar. Es war nach meiner Premiere als Konzertorganist in der Wagnerstadt Bayreuth, als ein freundlicher und mir sofort sympathischer Herr sich als Direktor der Fachakademie für Kirchenmusik vorstellte, herzlich gratulierte und mir schmunzelnd ein Formular des örtlichen Tonkünstlerverbandes in die Hand drückte mit der Bemerkung, ob das nicht etwas für mich sein könne? Nun, es war etwas für mich. Bald schon trat ich in den Bayreuther TKV ein, dessen Vorsitzender Schmidt-Mannheim damals war, und es entwickelte sich über die Jahre eine herzliche Freundschaft, welche in schönster Weise bis heute zu ihm und seiner Frau Uli Bestand hat.
Hans Schmidt-Mannheims reiches Leben ist naturgemäß in Kürze nicht wiederzugeben, aber einige Schwerpunkte seiner vielerlei Tätigkeiten sollen hier trotzdem zumindest angedeutet werden. Im Zentrum steht die Kirchenmusik in allen ihren Facetten, wobei die Orgel einen besonderen Stellenwert einnimmt. Sei es als Interpret, als herausragender Improvisator, der sich an schönen Instrumenten stundenlang ohne Unterbrechung spielend ergötzen kann – zur Freude der staunenden Zuhörerschaft –, als Herausgeber und Bearbeiter von Kirchenmusik bei renommierten Verlagen, als Orgelsachverständiger oder als bis heute aktives Mitglied bei den orgelspezifischen Berufsverbänden. Seine Kenntnisse auf diesem Feld sind überragend und haben sich auch in zahlreichen Fachartikeln niedergeschlagen.
Als weiteres Gebiet ist die Chorleitung zu nennen, zunächst im Rahmen seines ersten Kantorats ab 1950 in Mannheim, nachdem er Ausbildungsstationen in Heidelberg (Prof. Poppen, Wolfgang Fortner, Dirigieren bei Prof. Reinartz) und Mainz (Musikwissenschaft bei Prof. Schmitz) absolviert hatte. Auf das A-Examen 1962 folgte die Bestellung nach Bayreuth, wo er nach einer Dozentur für diverse Einzelfächer von 1976 bis 1994 als Direktor der heutigen Hochschule für evangelische Kirchenmusik wirkte. In Bayreuth gründete er den Madrigalchor, mit dem er zahlreiche Konzertreisen unternahm, das regionale Musikleben bereicherte und Aufnahmen mit Werken aller Epochen produzierte. Als erfahrener Chorleiter konnte er sein Wissen bei Workshops in Indien und Südafrika vermitteln, das letztgenannte ein Land, welches er mehrfach besuchte und dort auch in seiner Funktion als Spezialist für die Orgel Impulse setzen konnte. 1976 erfolgte auf Grund der vielen Verdienste seine Benennung zum Kirchenmusikdirektor.
Vermutlich würde Hans Schmidt-Mannheim sich selbst nicht als Komponist bezeichnen. Dennoch hat er bereits ein stattliches Werkverzeichnis vorzuweisen: Orgelwerke, insbesondere eine Riesenliste an Choralvorspielen, Chormusik, Kammermusik und Lieder, auch einige Orchesterwerke gehen als Gesamtes in die Hunderte. Er selbst sagt bescheiden, es sei „Gebrauchsmusik“ – nun, Komponiertes ist Musik, die „gebraucht“ wird, insofern steht er da in der Tradition aller Komponisten und braucht sich beileibe nicht zu verstecken. So denke ich z. B. an sein Werk für Cembalo solo „Spiele“, welches von mir anlässlich des Jubiläumskonzerts zu seinem 80. Geburtstag am ehemaligen Wirkungsort, der Bayreuther Kirchenmusikhochschule, aufgeführt wurde. Das Stück ist so einfallsreich gemacht, dass es von mir regelmäßig im Kompositionsunterricht an der Bayreuther Hochschule als exemplarisches Beispiel eines originellen kompositorischen Umgangs für dieses Instrument herangezogen wird.
Neben Tätigkeiten für Rundfunkanstalten, Platten- und CD-Einspielungen, als Juryvorsitzender bei „Jugend musiziert“ und diversen Nebenämtern lag das besondere Augenmerk auf seinem Wirken im und mit dem Tonkünstlerverband. Besonders hervorzuheben ist hier die Reihe der Akademiekonzerte, in welcher unter seiner Ägide über hundert Konzerte an der damaligen Fachakademie durchgeführt wurden. Was generell für den TKV ein wichtiger Fokus ist, nämlich die zeitgenössische Musik zu fördern, war auch Hans Schmidt-Mannheim stets ein wichtiges Anliegen. Für die komponierenden Bayreuther Kollegen setzte er sich dabei genauso ein wie für die mannigfaltigen Strömungen der etablierten Avantgarde. Bis heute hat er diese Neugier – oder besser: Wissbegier – behalten, so dass er nach wie vor eine Vielzahl von Konzerten besucht, um das aktuelle musikalische Schaffen zu würdigen; jetzt weniger als aktiver Künstler, sondern häufig als erfahrener Kritiker. Damit bleibt er auch mit seinen 90 Jahren stets am Puls der musikalischen Entwicklung unserer Tage und vorbildhaft für alle Menschen, die unter ihm gelernt und musiziert haben. Möge sein Unruhestand in diesem Sinne noch lange gehen, zur Freude aller, die ihn kennen und schätzen.