Zwischen Senat, Kita-Einrichtungen und Musikpädagogen gibt es zur Zeit, genauer gesagt seit Monaten erhebliche Unstimmigkeiten. Die freischaffenden Musikpädagogen an Kitas bangen um ihre Existenz, die Senatsverwaltung befürchtet Ungerechtigkeiten und die Kita-Leitungen sind überfordert ob der drohenden Einschränkungen.
Was ist passiert? Ab 2018 sollen alle öffentlichen Kita-Plätze in Berlin kostenlos sein – für alle, ob arm oder reich. Im Gegenzug sollen alle extrabezahlten Bildungsangebote wie musikalische Früherziehung, Sprach- und Sportkurse (wie Schwimmunterricht) oder Ausflüge wegfallen.
Dieses Thema hat in Berlin große Wellen geschlagen und auch die Presse beschäftigt. So schreibt die Berliner Zeitung: „Die SPD-geführte Verwaltung wünscht kein soziales Auseinanderdriften schon in den Kitas. Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass das neue Gesetz ein bürokratisches Monster kreieren wird. Denn generell sollen sämtliche Zuzahlungen an Kitas künftig der Verwaltung gemeldet und dort offenbar auch überprüft werden. ‚Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet‘, sagt Torsten Wischnewski-Ruschin, Kita-Referent des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das erfordere einen enormen Personalaufwand. Er fragt sich, was passiert, wenn eine Kita mit den Kindern eine Exkursion binnen zwei Wochen plant und die dann nicht zustande kommt, weil die Genehmigung aussteht.
‚Viele Kita-Träger sind sehr verunsichert‘, sagte Wischnewski-Ruschin. Einige Betreiber hatten bereits in Aushängen die Eltern über die neue, wahrscheinlich ab Herbst gültige Rechtslage informiert. Doch unklar bleibt, was künftig noch erlaubt ist – und was nicht. Im Gesetzentwurf, der der Berliner Zeitung vorliegt, heißt es dazu: ‚Leistungen Dritter, die zu Zuzahlungen führen, sind während der Öffnungszeiten der Tageseinrichtung nicht zulässig, soweit nicht Ausnahmen in der Rechtsverordnung vorgesehen sind.‘ Derzeit definiert die Verwaltung, welche Ausnahmen festgelegt werden. Womöglich könnte die Regulierungswut sogar kontraproduktiv sein.“ (Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/26878894 ©2017)
Entsprechend besorgt sind die Musikerzieher, die bisher für die Musikstunden zuständig sind, daher erreichte uns dieses Schreiben der Musikpädagogen bereits im Frühjahr 2017:
„… mit großer Sorge verfolgen meine Kolleg/-innen und ich die aktuelle Debatte in den Berliner Medien zum Thema der totalen Beitragsfreiheit in den Berliner Kitas durch das neue Kitafördergesetz. Als freischaffende, professionell ausgebildete Musikpädagog/-innen unterrichten wir seit Jahren Musikalische Früherziehung an Berliner Kitas und können auf eine gewachsene, bewährte Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter/-innen der Kitas zurückblicken. Es sind Strukturen gewachsen, durch deren Abschaffung der aktuelle Mangel an Betreuung verschärft würde.
Außerdem sind wir bei Eltern und Kindern durch den regelmäßigen Unterricht, Konzerte und Musikprojekte sowie einen regen persönlichen Austausch zur Entwicklung der Kinder geschätzt und anerkannt. Dieses Zusatzangebot wird von den Eltern daher gewünscht und sehr gern und zahlreich wahrgenommen.
In einschlägigen Studien ist mehrfach nachgewiesen, wie wichtig die musikalische Früherziehung für die Entwicklung der sozialen Intelligenz, Kreativität und Fähigkeit zur Konzentration ist. In der vertrauten Umgebung der Kita, in kleinen Gruppen, eingegliedert in den konzentrationsstarken Vormittag und im engen Austausch mit den ErzieherInnen ist eine optimale, individuelle Förderung jeden Kindes gewährleistet.
Gemeinsam sind wir freien Musikpädagog/-innen immer wieder dabei, an einer hohen Qualität unserer Arbeit für die Kinder zu arbeiten und ihre musikalische Förderung optimal zu gestalten. Daher möchten wir den DTKV e.V. darauf aufmerksam machen, welche Angebotslücke entstehen könnte, wenn das Kita-FöG in der bekannt gewordenen Form eingeführt würde. Wir freischaffenden Musikpädagog/-innen leisten seit Jahren diese wichtige Basisarbeit, auf welcher die Berliner Musikschulen aufbauen.
Für uns freischaffende Musikpä-dagog/-innen, würde das neue Kita-FöG das Wegbrechen unseres Lebensunterhaltes bedeuten.“
Familiensenatorin Sandra Scheeres (SPD) will Ungerechtigkeit vermeiden, nennt jedoch die Zahlung der Eltern an die Kita für Extra-Bildungsangebote „Abkassieren“. Deswegen möchte sie es per Gesetz verbieten, dass Eltern zu teure Zuzahlungen an die Kita leisten müssen. Ein wiederum so gesehen verständliches Argument, das jedoch nicht zur Kürzung wichtiger musikalischer Grundbildung führen darf.
Welche Ausnahmen dürfen nun aber festgelegt werden? Für den Landeselternausschuss Kita ist ganz wichtig, dass die Kooperation der Kitas mit Sportvereinen oder Musikschulen nicht wegfallen. „Diese Kooperationen dürfen nicht als unzulässig verteufelt oder bürokratisch unmöglich gemacht werden“, heißt es dort. „Die Elternvertreter fordern nun Senatorin Scheeres auf, sich noch einmal mit ihnen zusammenzusetzen. Man will eine realistische Regelung. Eine Mutter aus Pankow wird noch deutlicher: „Es darf keine Bildungsverbote in Kitas gaben!“
Zu dem Konflikt äußert sich auch Andreas Abel in der Berliner Morgenpost vom 22. Mai 2017: „Es ist richtig, dass sich die Senatsjugendverwaltung der Sache annimmt und ein paar Barrieren einziehen will. Immerhin sind alle Kitas, die Zusatzangebote machen, öffentlich gefördert. Und alle bekommen dieselbe Förderung. In Kitas darf es kein Zweiklassensystem geben – und versteckte Zweitgebühren auch nicht. Andererseits sollte jetzt auch kein Regelwerk eingeführt werden, das alle Aktivitäten mit der großen bürokratischen Klatsche erstickt. Ein gemeinsames Frühstück in der Kita zum Beispiel sollte ohne Genehmigungstamtam der Verwaltung möglich sein, und eine kleine Ausflugskasse macht auch Sinn.
Der Landeselternausschuss hat vorgeschlagen, erst einmal Daten zusammenzustellen, was alles wo angeboten wird und zu welchen Preisen. Um sich dann mit der Verwaltung und Kita-Trägern in einer Arbeitsgruppe zusammenzusetzen und einen Konsens auszuloten. Das klingt vernünftig. Jugendsenatorin Sandra Scheeres möchte einen Senatsbeschluss noch vor der Sommerpause und ein neues Gesetz bis Jahresende. Mit der AG dauerte es wahrscheinlich etwas länger. Aber es würde sich wahrscheinlich lohnen.“
Bleibt die Frage offen, ob nicht das vom Deutschen Kulturrat und Deutschen Musikrat bereits lange geforderte Grundrecht auf musikalische Bildung für jeden Menschen dafür sorgen sollte, dass musikalische Früherziehung in den Erziehungskanon der Kitas gehört und damit in der Kita- Ganztagsbetreuung enthalten sein muss.