Wer unbedarft die Erste Symphonie Sergej Prokofieffs hört, die berühmte „Symphonie Classique“ op. 25, würde sie mit Sicherheit auf Anhieb in die Zeit der Wiener Klassik einordnen. Erst ein genauerer Blick, ein präziseres Hören oder gewisse Grundkenntnisse verhelfen, sie ins 20. Jahrhundert zu verorten.
Kleinode zwischen Mozart und Minimal
Ähnlich mag es wohl mit den Klaviersonaten des in Münster geborenen Wahl-Münchners Franck Adrian Holzkamp gehen, die in ihrer fragilen Wendigkeit nur allzu schnell in die zeitliche Nähe zu Mozart gerechnet werden könnten, oder dann – aus einem anderen Winkel betrachtet – der Minimal Music zugeordnet werden in Nachbarschaft zu Philip Glass oder John Adams. Nun erweisen sich beide Assoziationen durchaus als stimmig, und doch lässt erst ein genaues Hinhorchen die feine Handschrift des 1966 geborenen Holzkamps erkennen, die sich plötzlich ganz deutlich von den zuvor genannten Namen abhebt.
Die Musik Franck Holzkamps zeichnet sich aus durch ihre Leichtigkeit und Unbeschwertheit, besser gesagt eine Freundlichkeit. Die Töne nehmen den Hörer in den Arm, können gar tröstend wirken oder einem einfach ein liebevolles Lächeln ins Gesicht zaubern. Anstatt Pathos, Weltschmerz oder vorgetäuschter Größe herrscht hier ein Ausdruck vor, der sich am besten mit väterlicher Fürsorge beschreiben ließe: Tiefe, ernst empfundene Liebe und Zuneigung, Ehrlichkeit und die besten Wünsche. Dies entspricht auch dem Wesen des glücklich verheirateten dreifachen Vaters, der seine Familie immer zuoberst stellen würde. Seine Musik besitzt Weite und kreiert lang anhaltende Stimmungen, die aber immer wieder durch wendige Einwürfe und kecke Ideen bereichert wird. Überwiegend bleibt sie der klassischen Tonalität treu, unternimmt nur selten Ausflüge in unbekanntes Terrain – was nicht bedeutet, dass nicht plötzliche Modulationen oder grelle Akkorde auch Abgründe aufreißen könnten.
In seinem bald 300 Werke umfassenden Oeuvre befinden sich fünf Klaviersonaten sowie vier Sonatinen für das Instrument. Der Reigen begann 1998 anlässlich des 18. Geburtstags seiner späteren Ehefrau mit der „Sonate in G für Alexandra“ (w191), erblühte über 20 Jahre später wieder zunächst mit einer Sonate in B (w272) 2019 anlässlich des 80. Geburtstags seiner Mutter und dann 2020 mit drei Sonaten: in d (w274) in Verehrung von Mozarts Klavierkonzert KV 466 und seinem Don Giovanni, in C (w 277) und in F (w 278). Während die Sonaten stets bestimmten Personen gewidmet sind, stehen den Sonatinen drei Städte und ein Fluss Pate: Es gibt die Wiener (w 96; 1990), die Passauer (w 122; 1991), die Göttinger (w 224; 2004) und die Wesersonatine (w243; 2009); letztere, auch Sonatina Visurgia genannt, wurde am 7. Oktober in einer Orchestration als Sinfonietta Visurgia uraufgeführt.
Die Sonaten haben bis auf sein einsätziges, bogenförmig konzipiertes Erstlingswerk durchweg dreisätzige Kontur in der klassischen Aufteilung schnell – langsam – schnell und verwenden auch klassische Formmodelle. Klangteppiche aus Achtel- oder Sechzehntelnoten säumen den Untergrund, wobei gerne eine oder mehrere dieser liegenbleibt, um bei aller Einfachheit der Begleitung schon Fülle zu generieren. Darüber erheben sich sanfte Melodien auf Dreiklangsbasis: Holzkamp beginnt gerne im Piano und lässt erst allmählich die Spannung aufkeimen. Es treten Durchgänge hinzu, die Dissonanzen häufen sich, bis sich auf einmal rhythmische Spannung entlädt und Kontraste schafft.
Ähnlich wie viele Sonaten der Wiener Klassik und auch des späteren Neoklassizismus lassen sich die Werke Franck Holzkamps auch von ambitionierten Laien bewältigen; und doch warten sie immer wieder auf mit kleinen Überraschungen, die das Üben prickelnd machen, auch Profimusiker auf Abenteuertour schicken und einem in jedem Fall ein gewitztes Lächeln ins Gesicht zaubern.
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