Kürzlich sprach ich mit einem Studenten über die Klaviermusik von Robert Schumann, wobei es konkret vor allem um die „Kreisleriana“ ging – ein Werk, das ich überaus liebe, seit ich es als Student an einem Klavierabend des damals schon hochbetagten Pianisten Wilhelm Kempff in unnachahmlicher Weise interpretiert hörte.
Auf meine Frage nach den literarischen Hintergründen von Schumanns Werk kam eine etwas erstaunte Reaktion; dass der Komponist in diesem Fall durch die Beschäftigung mit E.T.A. Hoffmanns „Phantasiestücke in Callots Manier“ zur Komposition angeregt wurde, schien dem jungen Mann unbekannt zu sein.
Nun kann man sicher darüber unterschiedlicher Meinung sein, ob beziehungsweise inwieweit es für eine musikalische Ausbildung wichtig ist, sich auch mit vermeintlich eher musikfremden Hintergründen der Kompositionen zu beschäftigen, oder ob es nur darum geht, sich die Werke durch intensives Üben anzueignen. Ich kann mich an manche Diskussion im Kollegenkreis zu diesem Thema erinnern, wo die Meinungen heftig aufeinander prallten, ob Studierende jede freie Minute nur zum Üben verwenden, oder ob sie sich auch mit historischen und gegebenenfalls auch literarischen oder sonstigen „unmusikalischen“ Aspekten der einzustudierenden Werke beschäftigen sollten.
Die Frage, ob Kenntnisse über historische Zusammenhänge für die Interpretation einer bedeutenden Komposition von Wichtigkeit sind, stellt sich heute erfreulicherweise kaum noch; da hat sich nicht zuletzt durch die diversen Originalklang-Bewegungen in den letzten Jahrzehnten viel zum Positiven verändert. Anders sieht es aber meinem Eindruck nach bei den verwandten Künsten, wie vor allem der Literatur, aus: auf den Gedanken, sich im Zusammenhang mit der Einstudierung einer Schumann’schen Klavierkomposition wie der „Kreisleriana“ auch mit E.T.A. Hoffmann zu beschäftigen (um beim genannten Beispiel zu bleiben), scheinen viele junge Musiker nicht zu kommen.
Dabei geht es ja nicht darum, eine Art wörtliche Vorlage für die Komposition zu finden; das wäre höchstens bei einigen Werken mit klar definiertem Programm der Fall. Das Studium literarischer Parallelen und Hintergründe aus dem Umfeld des Komponisten ermöglicht aber in vielen Fällen ein tieferes Eindringen und Verstehen seiner gedanklichen und emotionalen Welt. Dies wiederum dürfte einer schlüssigen und überzeugenden Interpretation unbedingt zugute kommen.
Im Übrigen macht es schlicht und einfach Freude, sich nicht nur mit großer Musik, sondern auch mit entsprechender Literatur zu beschäftigen!
Ulrich Nicolai, 1. Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Tonkünstler