„Ich sehe dich, siehst du mich?“, sagte Senta Berger in einem wunderbaren Film, der im Mai anlässlich ihres 80. Geburtstages auf arte ausgestrahlt wurde. Es geht um das Sehen und Gesehenwerden, auch um die Bereitschaft den anderen anzuerkennen, so wie er ist, ihn wahrzunehmen und auch um die Hoffnung, selbst ernst und wahrgenommen zu werden.
Was macht dieses Gefühl „Ich sehe dich“, gerade jetzt in Pandemie-Zeiten aus?
Die Kunst- und Kulturszene ist in der Krise besonders hart getroffen. Seit 14 Monaten vermissen wir Musikveranstaltungen, Theaterstücke, Kinobesuche, Ausstellungen und vieles mehr; langsam geht es nun mit Öffnungen aufwärts und doch müssen wir noch lange auf unsere gewohnte Normalität verzichten. Für die Künstler*innen bedeuteten die vielen Maßnahmen und Einschränkungen nicht nur eine wirtschaftliche Katastrophe, sondern sie vermissen auch ihre Arbeit, sie leiden unter den ausgefallenen Proben und Auftritten und ihnen fehlt der verdiente Applaus.
Die Pandemie wird die Kulturszene auch künstlerisch nachhaltig beeinflussen. Wie werden Maler*innen, Sänger*innen, Autor*innen, Schauspieler*innen die Erfahrungen und gesellschaftlichen Umbrüche verarbeiten?
Aus der Pädagogik wissen wir, dass Kunst, Theater und Musik heilsame Methoden bieten, um Erlebnisse zu verarbeiten, einen Abstand zu dem Erlebten zu gewinnen. Deshalb sehe ich auch eine Chance, dass Kunst und Kultur langfristig auf diese Krise reagieren kann, indem sie Emotionen in Bezug auf die Corona-Krise ausdrückt, gestaltet und festhält. Mit dem Gefühl der unterschiedlichen und geteilten Erfahrungen, kann wieder ein Gefühl der Gemeinschaft und ein Gesehenwerden aus der Sicht der Künstler*innen, aber auch aus dem Publikum entstehen. „Uns fehlt, was die Künstler uns sonst geben, und deshalb sollten umfangreiche Hilfen für die Künstlerinnen und Künstler geleistet werden“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit den Kunst- und Kulturschaffenden. Aber das alleine ist es nicht, es fehlt schlichtweg: „Das Gesehenwerden“, die „Anerkennung“ und die „Bühne“, das vergessen unsere Politiker*innen gerne.
Zugleich wächst die Sorge um unsere weltweit einmalige und nachhaltige Kunst- und Kultur-Vielfalt in Deutschland, die herausragende und zugleich besonders schützenswerte Bedeutung unseres Kulturerbes ist in Gefahr. Die Qualität unserer musikalischen Bildung leidet, wenn wir keine Basis mehr haben, wenn wir auf nichts aufbauen können. Das gemeinsame Musizieren darf nicht als verzichtbares Freizeitvergnügen eingestuft werden, es gehört zum Mensch-Sein dazu und sollte als besonders schützenswertes Kulturgut verstanden und gesehen werden. Daran müssen wir alle weiterhin arbeiten.
Der Satz „Sehen wir uns noch?“ stammt aus dem Buch von Laurens van der Post und handelt von einer Geschichte über einen Stamm aus Namibia, der ein Todesurteil an einem seiner Mitglieder vollstreckt – ohne physische Gewalt, einfach, indem er nicht gegrüßt wird. Die Grußformel des Stammes aber ist nicht etwa „Guten Tag“ oder Ähnliches, sie lautet: „Ich sehe dich.“ So ist es immer wieder wichtig, dass wir im Leben genau hinsehen, dass wir uns gegenseitig sehen, und dass dabei das in Augenschein Nehmen des Lebens nicht vergessen wird.
Herzlichst, Ihre Andrea Fink, Geschäftsführerin TKV Bayern