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Komponisten aus Berlin und Warschau

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Studio Neue Musik im Großen Salon der Schwartzschen Villa Berlin-Steglitz
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Das Konzept für diese äußerst interessante Veranstaltung entwickelte sich aus der Idee, einen kammermusikalischen Dialog mit Werken von Komponisten aus der polnischen Hauptstadt und aus Berlin zu präsentieren. Das Konzert beinhaltete Werke von warschauer Komponisten, wie Witold Lutoslawski, Grazyna Bacewicz und Augustyn Bloch sowie von den Berliner Komponisten Rainer Rubbert, Stefan Lienenkämper, Samuel Tramin und Gabriel Iranyi.

Für dieses Projekt konnten drei renommierte Musiker aus Berlin gewonnen werden, die sich für Aufführungen von Werken der Neuen Musik besonders engagieren: die Violinistin Marianne Boettcher (UdK-Berlin), die Pianistin Yuko Tomeda und der Violoncellist Wolfgang Boettcher (UdK-Berlin).

Marianne Boettcher studierte in Berlin und ergänzte ihre Studien bei Henryk Szeryng in Genf. Heute leitet sie als Honorarprofessorin eine Violinklasse an der Universität der Künste Berlin. Umfangreiche Konzerttourneen führten sie wiederholt in die USA, nach Russland und Japan sowie in fast alle europäischen Länder. Sie wurde mehrfach eingeladen, Meisterkurse zu geben (in Wien, Tallinn, Rheinsberg und Prag). Für ihr Engagement erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wolfgang Boettcher begann seine Karriere als Preisträger des renommierten ARD-Wettbewerbes. Als Solist konzertierte er weltweit mit berühmten Orchestern und Dirigenten. Bis 1976 war Boettcher Solocellist der Berliner Philharmoniker, um sich dann ganz seinen vielfältigen solistischen und kammermusikalischen Verpflichtungen sowie einer Professur an der Hochschule der Künste zu widmen. Zahlreiche Komponisten haben Werke für Wolfgang Boettcher geschrieben. Yuko Tomeda wurde in Tokio geboren und entstammt einer Musikerfamilie. Privatunterricht bei den Professorinnen Aiko Iguchi und Kazuko Sumi. Sie besuchte das Musikgymnasium der Tokioter Musikhochschule und setzte ihre Ausbildung 1982 an der ehemaligen Hochschule der Künste (heute UdK) bei Professor Erich Andreas und György Sebök fort. Sie ist Preisträgerin verschiedener Wettbewerbe, unter anderem erhielt sie eine erste Goldmedaille des internationalen Wettbewerbes „Maria Canals“ in Barcelona. Konzerte führten sie nach Italien, Spanien, Österreich und Japan.

Faszinierendes für Violoncello

Auf Ersuchen des berühmten Violoncellisten Mstislav Rostropowitsch schrieben zwölf Komponisten – Beck, Berio, Boulez, Britten, Dutilleux, Fortner, Ginastera, Halffter, Henze, Holliger, Huber und Lutoslawsi – Huldigungswerke für Violoncello solo über die Buchstaben des Namens des Dirigenten und Förderer Neuer Musik Paul Sacher. In diesem Umfeld entstanden 1976 auch die „Sacher Variations“ von Witold Lutoslawski, eines der faszinierendsten Stücke für Violoncello solo. Seine Komponisten-Kollegin Grazyna Bacewicz erntete mit ihren Werken viel internationale Beachtung, darunter auch für ihre zwei Sonaten für Violine solo – diese zählen heute zu den wichtigen Werke dieser Gattung. Der dritte im Programm vertretene polnische Komponist Augustyn Bloch – bekannt auch als Leiter des Festivals „Warschauer Herbst“ und seine enge Beziehung zu den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik. Bloch komponierte die „Supplicationi“ für Violoncello und Klavier 1984 für die Interpreten Wolfgang und Ursula Trede Boettcher: die beiden Musiker realisierten sowohl die Uraufführung wie auch mehrere Wiederaufführungen des Werkes europaweit.

Die vier Berliner Komponisten in diesem Programm sind bekannte Namen der Berliner Neue-Musik-Szene: Rainer Rubbert, Samuel Tramin, Stefan Lienenkämper und Gabriel Iranyi.

Die Idyllen von Rainer Rubbert wurden 1987 ursprünglich für Viola und Violoncello komponiert: Hier erklangen sie mit Violine, in einer Version, die eigens für die Geigerin Marianne Boettcher entstand.

In fünf Sätzen wird die Fragilität, die Flüchtigkeit, aber auch die Fragwürdigkeit von Idyllen musikalisch thematisiert. Der Komponist Rainer Rubbert lotet sehr unterschiedliche Gefühls­ebenen durch eine Vielfalt von instrumentalen Artikulationen und fantasiereichen Strukturen aus.

Samuel Tramins Duo II „Verzerrte Zeit“ für Violine und Klavier – eine Uraufführung – ist  durchgängig als Parallelität zweier Linien gestaltet. Harmonisch/melodisch beruhen diese Linien auf einer Kette aus den drei Intervallen -2,+2,-3. Nach einem kurzen Prolog mit aufstrebenden Rubato-Figuren in der Violine, welche von kurzen Einwürfen des Klaviers konterkariert wird, exponiert der Hauptteil im halben Tempo zwei weitere Bewegungstypen: eine extrem verlangsamte Form aus weitgespannten Intervallen und einer Repetitionsfigur.

Drei Bewegungstypen

Im weiteren Verlauf entwickeln sich die drei Bewegungstypen kontinuierlich, wobei die sich stetig weiter ausdehnende langsame Bewegung sukzessive in die beiden anderen Bewegungstypen aufgenommen wird.

Im kurzen Epilog, wieder im Eingangstempo, bezieht sich das Klavier noch einmal auf die Rubato-Figur des Anfangs, während die Violine mit kurzen Gesten aus dem Stück heraustritt.

Der Komponist Stefan Lienenkämper erläutert zu seinen „5 Studien über den mystischen Akkord“ für Klavier solo (2015–2017) wie folgt: „Die 5 Studien tragen die Satzbezeichnungen: zart, sprechend, metrisch, schnell, fließend, geheimnisvoll, betrachtend, weit und entfernt. Die Stücke sind in Auseinandersetzung mit dem so genannten mystischen Akkord von Alexander Skrja­bin, einem sechstönigen Klang (c, f#, b, e’, a’, d’’) anlässlich seines 100. Todestages 2015 entstanden. In der geplanten Neufassung 2017 geht es um die Erweiterung und Ergänzung des ursprünglichen, durch Prof. Alexander Meinel uraufgeführten Werkes.“

„Saitenquelle“ ist das erste Stück aus dem Zyklus „Denkbilder“ (2013) für Vio­loncello solo von Gabriel Iranyi. Aus einem durch „sul ponticello“-Artikulation entstandenen kurzen Impuls entwickeln sich immer längere Segmente, die in einer aufsteigenden motorischen Bewegung münden. Als Gegenpol erscheint – fast „aus dem Nichts“ – eine kurze mikrotonale Kantilene. Die weiteren Entwicklungen beziehen asymmetrische Gruppierungen mit ein, während der Epilog die Kantilene in neuem diastematischen Aspekt erscheinen lässt.

Die „3 Moments musicaux“ von Gabriel Iranyi entstanden 2015 als Zyk­lus für Violine und Violoncello. Die drei kontrastierenden Stücke lassen sich als Folge beschreiben: I. Selbstgespräch, auch dissoziativ, II. schnelle Hemiolen-Bewegungen, in einer nicht vorhersehbaren Sukzession, und III. reflexive Musik über  Verfremdung perfekter Konsonanzen (Unisono und Oktave), Spiegelbewegung eines chromatischen Passus und konfliktreiche Auseinandersetzung. Die Widmungsträger sind die beiden Interpreten der Uraufführung: Marianne und Wolfgang Boett­cher.

Ein Abend voller Konzentration und Energie, ein Erlebnis mit neuen Klangkonstruktionen und vor allem professioneller Virtuosität und Ausdruckskraft.

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